Heft 3/2002 - Netzteil


Alternative Kartografien

Über die Internetprojekte »./logicaland« und »theyrule«

Matthias Dusini


Das kollektive Simulationsspiel »./logicaland« wurde von den Wiener GrafikerInnen und ProgrammiererInnen Maia Gusberti, Michael Aschauer, Nik Thoenen und Sepp Deinhofer anlässlich der Biennale Turin im Frühjahr 2002 entwickelt. Das Thema des von Michelangelo Pistoletto initiierten Festivals junger Kunst hieß »Big Social Game«. Zum Gastland erklärte man heuer das Internet. Eine überarbeitete Version von »./logicaland« wurde Anfang September auf der Ars Electronica in Linz vorgestellt. Das Festival widmete sich unter dem Titel »Unplugged« der Frage, inwiefern die unterschiedliche Verteilung von Informationstechnologien neue Ausschlüsse produziert und welche Möglichkeiten bestehen, um dieses Gefälle zwischen armen und reichen Ländern aufzuzeigen bzw. auszugleichen.

»Soziale Statistiken und Grafiken bildeten für uns eine grundsätzliche Herausforderung. Vor allem interessierten uns die kulturell und politisch unterschiedlichen Sichtweisen, die bei Weltdarstellungen angewendet werden. Wir planten, ein kollaboratives Weltmodell herzustellen, und dabei sind wir auf die Simulationsmodelle der siebziger Jahre gestoßen«, berichtet Maia Gusberti. Eines der bekannteren Simulationsmodelle war das »World 3«-Modell. Es wurde für die Publikation »Die Grenzen des Wachstums« des Club of Rome (1974) entwickelt, um den globalen Ressourcenstand zu berechnen. Der Club of Rome bestand aus einer Gruppe unabhängiger Wissenschaftler, die den Fortschrittsoptimismus der Nachkriegszeit erstmals in Zweifel zogen.

Für das Online-Spiel »./logicaland.net« griff die Wiener Netzkunstgruppe auf das Modell »Regional World« zurück, dessen Quellkode im Internet stand und daher für die Idee eines Gemeinschaftsspiels adaptiert werden konnte. »Regional World war die erste Simulation, die regionale Entwicklungen berücksichtigt hat. Es erschien uns, auch wenn es für eine Versicherungsgesellschaft entwickelt wurde, deren Hauptinteresse in Folge der Energiekrise der frühen siebziger Jahre den Energieressourcen galt, als das kompakteste verfügbare Modell.«

Bereits in den sechziger Jahren hatte Buckminster Fuller sein »World Game« projektiert, ein Simulationsspiel mit einem Computer, der mit allen relevanten Informationen zur Lage und Menge der Weltressourcen gefüttert wurde. Gespielt werden sollte auf einer Weltkarte in der Größe eines Fußballplatzes, umgeben von einem erhöhten Balkon für die SpielerInnen. Mittels Fernsehsatelliten sollten die World Game-Turniere in alle Welt übertragen werden. Fuller schlug das Projekt als Beitrag der USA zur Weltausstellung in Montreal 1967 vor - und bekam eine ablehnende Antwort. »Es musste erst die so genannte Ölkrise der Jahre 1972/73 kommen, um computergestützten Globalsimulationen jene Anerkennung zu bringen, die World Game versagt geblieben ist«, schreibt Joachim Krausse.1 Popularisiert wurden Fullers Ideen dann in der publikumswirksamen Wanderausstellung »Unsere Welt - ein vernetztes System«, die von Frederick Vester produziert und von 1978 bis 1996 in unterschiedlichen Versionen im deutschsprachigen Raum gezeigt wurde.

In »./logicaland.net«, der kleinen Version von Fullers wissenschaftlichem Welttheater, können die TeilnehmerInnen in Spielrunden zu 22 Stunden einige Parameter der Finanz- und Ressourcenverteilungen von 185 Staaten manipulieren. Ausgangsdaten sind dabei jene Startwerte aus dem Jahre 2000, die dem »CIA World Fact Book 2001« entnommen wurden. Durch die Möglichkeit, die Investitionen für Industrie, Landwirtschaft oder Hightech zu verändern, werden die UserInnen gleichsam zu stimmberechtigten WeltbürgerInnen, die das Schicksal eines Landes mitbestimmen können. Der Server der SpielbetreiberInnen bezieht die Parameteränderungen nämlich in seine Zukunftsberechnungen mit ein. »Bisher war bei der Beteiligung augenfällig, dass die meisten BesucherInnen ein- bis zweimal kommen, dann aber nicht wiederkehren«, sagt Michael Aschauer. »Im begleitenden Forum gab es einmal einen kurzen Brasilien-Hype, um das Land groß werden zu lassen, aber der ging rasch wieder zu Ende.«

Das eigentliche Ziel wurde dennoch erreicht, nämlich »das Internet als Globales Tool der Partizipation ad absurdum zu führen«. Am deutlichsten wird dies an jener Grafik, auf der die Standorte der MitspielerInnen verzeichnet sind. Afrika und Südamerika tauchen darauf kaum auf. »Es ging uns vor allem auch um den gestalterischen Aspekt«, sagt Maia Gusberti. »Wie kann ich komplexe global-ökonomische Zusammenhänge visualisieren und die Wahrnehmung der eigenen, individuellen Verstrickungen und Möglichkeiten im Netz des >sozialen Systems< schärfen?«

Ebenfalls auf der Ars Electronica 2002 wurde das Simulationsspiel »They Rule« präsentiert. »Sie sitzen in den wichtigsten Vorständen Amerikas. Viele von ihnen sitzen in Regierungsausschüssen. Sie fällen Entscheidungen, die unser Leben berühren. Sie herrschen.« Diese Sätze tauchen auf der Startseite auf. »Sie« sind die Führungskräfte der amerikanischen Wirtschaft. Ähnlich wie die ErfinderInnen von »Logicaland« beziehen sich Josh On/Futurefarmers auf eine historische Vorlage: das Buch »The Power Elite« von C. Wright Mills aus dem Jahr 1956, worin die Querverbindungen zwischen den Protagonisten der amerikanischen Machtelite geschildert werden.

»They Rule« versucht mit den Möglichkeiten des Internet, das Machtfeld aus Politik und Wirtschaft anschaulich zu machen. »Das ist keine Verschwörung. Sie sind stolz darauf zu herrschen. Dennoch sind ihre Verknüpfungen der Öffentlichkeit bisher verborgen geblieben.« Die unsichtbare Hand über den Machtfeldern des amerikanischen Neoliberalismus können die UserInnen nun offen legen. Sie können sich in den Führungsetagen der wichtigsten amerikanischen Unternehmen umsehen und sich zu den »Nebenjobs« der Vorstände durchklicken. Sie können aber auch eigene Informationen hinzufügen und ein eigenes Machtkartell in grafischer Form erstellen, das unter einer eigenen Überschrift der Einsichtnahme durch die MitspielerInnen offen steht.

Als ein Parameter für die Bedeutung der ManagerInnen führt ein eigener Button zu den Spendenausgaben etwa von Paolo Fresco oder Andrea Jung, die beide im Vorstand von General Electric sitzen. Um dem Spiel das Anrüchige einer konspirativen Geheimliste zu nehmen, führt ein Link direkt zu einer Suchmaschine, wo die betreffende Person mit ihrer offiziellen Netzadresse zu finden ist.

1975 hat der belgische Künstler Marcel Broodthaers einen Miniaturatlas in der Größe einer Zündholzschachtel gestaltet und darin alle Länder gleich groß abgebildet, so dass die Schweiz nicht kleiner als Argentinien erscheint. Broodthaers empfahl den Atlas ausdrücklich KünstlerInnen und Militärs zum Gebrauch. Auch der seit der documenta X wiederentdeckte Künstler Öyvind Fahlström hat in seinen Bildern alternative Weltkarten entworfen. Am konkretesten hat Alighiero e Boetti Anfang der siebziger Jahre den Zusammenhang zwischen globaler Kartografie und lokaler Ökonomie hergestellt, als er in Afghanistan Teppiche mit Weltkartenmotiven knüpfen ließ, auf denen die Landflächen mit den Mustern der Landesflaggen gefüllt wurden.

Die auf der Ars Electronica gezeigten Low Budget-Versionen der im Internet verbreiteten Community Games greifen auf jene interaktiven Möglichkeiten zurück, die durch das World Wide Web möglich geworden sind. Sie stehen aber auch in jener Tradition künstlerischer Kartografierungen, in der ein subjektiver Gestus von Unvollständigkeit und Willkürlichkeit den Gültigkeitsanspruch der von Wirtschaft und Wissenschaft entwickelten Modelle in Frage stellt.

 

 

1 Joachim Krausse: Buckminster Fullers Vorschule der Synergetik. In: R. Buckminster Fuller: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften. Hg. v. Joachim Krausse. Dresden 1998, S. 214-306.

http://www.logicaland.net
http://www.theyrule.net