Heft 2/1998 - Bildbegriffe, Bildproduktion


Was wollen Bilder?

Interview mit dem Literatur- und Kunstwissenschaftler W.J.T. Mitchell zu Fragen des "Pictorial Turn" und der "visuellen Kultur"

Georg Schöllhammer


Mit seiner Rede von einem »Pictorial Turn«, einem fundamentalen Wandel des Verhältnisses westlicher Gesellschaften zu den Repräsentationen, den Bildern und Images, die sie produzieren und umgeben, ist W.J.T. Mitchell, Professor für Literaturwissenschaft an der University of Chicago, in den letzten Jahren zu einem der einflußreichsten und meistzitierten Autoren im Feld der Repräsentationstheorie geworden. Der Begriff ist mittlerweile auch im Kunstfeld ein unterschiedlichst interpretiertes Icon. Im Gespräch plädiert Mitchell für einen neuen, nicht relativistischen Umgang mit Bildern, für »verantwortungsvolle Repräsentationen«

Georg Schöllhammer: Ihr 1994 erschienenes Buch »Picture Theory« hat nicht nur in der akademischen Welt Debatten provoziert. Das Buch, eine Aufsatzsammlung, stand auch unter dem Eindruck des Medienspektakels des Golfkrieges, der Diskussionen, die das Rodney-King-Videotape in der US-amerikanischen Öffentlichkeit auslöste, des gerade beginnenden Booms von Internet und Virtual reality und nicht zuletzt des ultrakonservativen Backlash der damaligen amerikanischen Politik. Sie beschrieben in »Picture Theory« einen Paradigmenwechsel der Gegenwartskultur, den Sie »Pictorial Turn« nannten – ein Begriff, der mittlerweile in verschiedene Kontexte von Auseinandersetzungen um Repräsentationspolitik diffundiert und dabei sehr unscharf geworden ist.

W.J.T. Mitchell: So wie ich den »Pictorial Turn« interpretiere, geht es um den Moment, in dem eine Gesellschaft um ihr Bildrepertoire zu fürchten beginnt. Visuelle Repräsentationen, sogar verbale »Figuren« und »Bilder«, können nicht mehr als gegeben betrachtet werden, sondern werfen plötzlich Probleme auf, die sich nicht ignorieren lassen. Als Symptome eines »Pictorial Turn« können mithin sämtliche ikonoklastischen Bewegungen gelten, aber auch alle Anstrengungen, sich einmal mehr der Überlegenheit von Sprache und Diskurs gegenüber dem Visuellen zu versichern. Ein weiteres Symptom zeigt sich in den Versuchen, die Bildmedien mittels Gesetzen und Verboten einzuschränken. Diese negativen, angstbesetzten Reaktionen entstehen oft in direktem Wechselspiel mit einer gewissen »Euphorie des Sichtbaren«, einer utopistischen Spekulationswut über die erlösende und umwälzende Macht der Bilder. Blickt man ein wenig zurück und erinnert sich der Potentiale, die vor nicht allzu langer Zeit der Holographie und Virtual reality angedichtet wurden, dann zeigt sich, wie sehr hier übertrieben wurde. Der Punkt ist der, daß während des »Pictorial Turn« Bilder, Medien und visuelle Repräsentationen einen übertriebenen Status zugesprochen bekommen; ihre Potentiale, Gutes oder Schlechtes zu bewirken, werden überzeichnet. Dementsprechend war mein Versuch, die Aufmerksamkeit auf unsere zeitgenössische Spielart des »Pictorial Turn« zu lenken, weder von dem Wunsch diktiert, das Phänomen zu bejubeln, noch es zu verwerfen. Vielmehr wollte ich eine kritische und historische Untersuchung anstoßen, die den »Pictorial Turn« auf den vielen Ebenen der Kultur analysiert, wo er sich vollzieht: in Medien, Wissenschaft, Technologie und philosophischer Reflexion.

Schöllhammer: Eines dieser Untersuchungsfelder ist jenes, in dem nach der Art und Weise gefragt wird, wie bilderzeugende Medien die Position der BetrachterInnen mitkonstruieren und wie der Blick der BetrachterInnen von ihnen konstruiert wird. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, werfen Sie diesem Ansatz einen verkürzenden Determinismus vor.

Mitchell: Ich bin schon der Ansicht, daß zwischen dem »Pictorial Turn« und der explosionsartigen Ausbreitung visueller Technologien und Techniken der Sichtbarmachung Zusammenhänge bestehen. Ich glaube aber nicht, daß der »Pictorial Turn« ein Phänomen ist, das sich auf das ausgehende 20. Jahrundert beschränken läßt. Kulturgeschichtlich betrachtet, dürfte es schon einige »Pictorial Turns« gegeben haben. Deshalb ist es auch wichtig, dieses Konzept in komparativen und historischen Kategorien zu fassen. Wir sollten einem gewissen »Präsentismus« gegenüber skeptisch sein, der unsere Obsession mit dem Visuellen als einzigartig und historisch beispiellos erachtet. Gleichfalls sollten wir der Versuchung widerstehen, den »Pictorial Turn« rein auf eine Frage der Technologie zu reduzieren. Neue Technologien, insbesondere digitale Bildmedien, sind ein relevanter Faktor, aber ich würde zögern, sie als einzige oder hinreichende Ursache des aktuellen »Pictorial Turn« anzugeben. Als sich die Israeliten von ihrem unsichtbaren Gott abwandten, um einer Skulptur, dem Goldenen Kalb, zu huldigen, vollzogen sie einen »Pictorial Turn«. Dasselbe läßt sich von den Griechen sagen, als sie damit begannen, das Bild in der Begrifflichkeit Platos zu denken: An die Stelle des »Seins« traten jetzt die Kategorien des »Scheins« und der »Erscheinung«.1

Schöllhammer: Ihr Hinweis auf die Notwendigkeit einer tieferen historischen Analyse scheint jedenfalls fruchtbar gewesen zu sein. Mittlerweile hat sich unter dem Begriff »Visual Culture« eine Art interdisziplinärer akademischer Offensive formiert, die klassischen Disziplinen wie der Kunstgeschichte oder der Semiotik die methodologische Relevanz zur Untersuchung des komplexen Bildinventars der Gegenwart abspricht. Auch der Schritt von Cultural Studies aus dem Schattendasein einer kultursoziologischen Diszplin ins Zentrum akademischer Diskurse scheint unter anderem über diese Suche nach neuer methodischer Offenheit erklärbar zu sein. Daneben ist aber auch sichtbar, wie schnell dieses neue Feld da und dort nach der Kanonisierung seiner Terminologie schielt, danach, einzelne seiner Methoden zu generalisieren.

Mitchell: Es kann niemanden wundern, daß in solchen Perioden Disziplinen – oder Krisen innerhalb der Disziplinen – entstehen, die sich mit der scheinbaren Revolution im neuen Feld des Sichtbaren auseinandersetzen. Die Untersuchung dessen, was »visuelle Kultur« genannt wird, ist zugleich das Symptom der zeitgenössischen Obsession mit Bildlichkeit und Medien wie auch ihre diagnostische Analyse. Wie Sie richtig sagen, handelt es sich dabei um eine Art »Angriff der Interdisziplinarität auf das bestehende akademische Gefüge«, der oft mit den Cultural Studies in Verbindung gebracht wird, den ich aber auch zu Genderstudies und Untersuchungen über Sexualität, Rasse und Ethnie und einer Fülle von Entwicklungen innerhalb der Zeichen- und Repräsentationstheorie in Beziehung setzen möchte. Was mich an dem Ganzen ein bißchen stört, ist die Tendenz, neuere Entwicklungen dieser Art vorschnell zu professionalisieren und disziplinär einzubinden – also davon auszugehen, daß wir uns alle über die Implikationen einer Idee im klaren sind und nicht mehr über sie nachzudenken brauchen. Ich stimme Ihnen zu, daß man gegenüber der vorschnellen Kanonisierung von Schlüsselbegriffen und -methoden sowie gegenüber der Verfestigung von Forschungsprogrammen und Lehrinhalten skeptisch bleiben sollte. Es besteht sogar eine Tendenz, davon legt eine kürzlich erschienene Sonderausgabe von »October« (Nr. 77) auf beredte Weise Zeugnis ab, die Debatte über das Konzept einer visuellen Kultur ausschließlich als innerakademisches Gefecht aufzufassen. Sowohl der Fragebogen, den »October« ausschickte, als auch viele der Antworten schienen davon auszugehen, daß es sich hier lediglich um die Fragestellung handelt, ob die Kunstgeschichtsinstitute durch ein (angeblich) ahistorisches, anthropologisches Kulturkonzept zum Verschwinden gebracht werden und man KunsthistorikerInnen ihres wissenschaftlichen Rüstzeugs beraubt, indem man sie in fatalem Ausmaß mit entmaterialisierten Bildern statt mit authentischen Kunstwerken konfrontiert. Dieser Prozeß der Entmaterialisierung und Enthistorisierung, der an keiner Stelle durch ein Beispiel belegt wird, wird dann als Verschwörung dargestellt, mit dem Ziel, die Subjekte auf die nächste Stufe des Konsumkapitalismus vorzubereiten.

Schöllhammer: War das der Grund, warum Sie in einem jüngeren Essay der Rede von der Macht der Bilder provokativ entgegnet haben, man müsse doch zuerst fragen: »Was wollen Bilder?«, wobei man möglicherweise sehr schnell sehen werde, wie wenig Macht sie eigentlich besäßen. Dort stand der Aufruf nach einem Wechsel von der Frage danach, was Bilder tun, zu der danach, was sie wollen, von Macht zu Begehren, von einem Modell der dominanten Macht, der es entgegenzutreten gilt, zu einem Modell des Subalternen, das man befragen muß.

Mitchell: Bei all dem akademischen Geplänkel und pseudopolitischen Herumgetue liegt die echte Gefahr darin, daß die grundlegenden Fragen im Hinblick auf visuelle Kultur in Vergessenheit geraten. Als ich die Frage »Was wollen Bilder?« aufwarf, leitete mich die Absicht, von der Alltagsroutine der Bildinterpretation und der mit ihr verbundenen Bildzersetzung wegzukommen. Die Siege, welche die ritualisierte Rhetorik des Ikonoklasmus erringt, indem sie kulturelle »Idole« oder »Simulakren« zerstört, sind vollkommen wertlos. Ich weiß, daß meine Frage nach dem Begehren der Bilder ein bißchen frevelhaft und unmöglich klingt. Sie beruht auf der Zurückweisung eines gewissen kritischen Automatismus, nämlich des Anspruchs, wie Bruno Latour das ausdrückt, zwischen belebten und unbelebten Dingen, Fakten und Fetischen, Subjekten und Objekten klare Unterscheidungen treffen zu können. Bilder sind großartige Beispiele für das, was Latour als »Faktische« (Fetisch plus Faktum) bezeichnet: hybride Objekte, die auf der Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion, Tatsache und Glaube schwanken.2 Bilder sind sowohl »autonom« als auch »konstruiert«, gefunden und gefertigt, Imitate und Produkte.

Schöllhammer: Aber ist nicht eben jetzt in westlichen Gesellschaften diese Frage nach der Macht noch immer relevant? Spielt nicht in den Normalisierungsanstrengungen und den damit verbundenen Ausschlußverfahren minoritärer oder devianter Gruppen der Gesellschaft die Frage nach der Sichtbarkeit, also nach der Repräsentation und der Macht über sie, eine bedeutende Rolle? Ist die Mauer zwischen denen, die in den überall sichtbaren Bildern der Waren fetischisierenden Konsumgesellschaft repräsentiert sind, und denen, die von dieser Repräsentation ausgeschlossen werden, nicht höher geworden, und ergibt sich daraus nicht die Notwendigkeit, Repräsentationen für das zu suchen, was nicht mehr repräsentiert wird?

Mitchell: Wenn Sie fragen: »Besteht nicht die Notwendigkeit, eine Bildtheorie mit der Anstrengung, das Nichtrepräsentierte zu repräsentieren, kurzzuschließen?«, dann vermute ich, daß Sie die bekannte Liste von Minderheiten und Opfern der gegenwärtigen politischen und ökonomischen Systeme im Hinterkopf haben. Wäre die Frage offen politisch formuliert – Sollten die Armen über einen ausreichenden Lebensstandard verfügen? Sollten die Opfer rassischer oder sexueller Diskriminierung gleiche Rechte bekommen? –, dann wäre meine Antwort ein klares Ja. Doch weil es sich um eine Frage der Repräsentation handelt, muß meine Antwort zweideutig ausfallen. Erstens verbürgt Repräsentation keinesfalls Gerechtigkeit, wie das Ihre Frage impliziert. Das Mißtrauen der Avantgarde gegenüber der Repräsentation beruhte auf bitteren Erfahrungen. Sie hatte sich sowohl an der unerbittlichen Macht abgearbeitet, mit der die Massenkultur sämtliche Repräsentationen schluckt und den eige-nen Zwecken unterwirft, egal wie sehr diese zunächst Grenzen zu überschreiten schienen. Die Avantgarde hat aber auch begriffen, wie eingeschränkt die politische Repräsentation ausfällt, die als liberale Arznei gegen soziale Krankheiten verabreicht wird. Uns auf eine Bildtheorie verlassen zu wollen, deren Ziel es ist, die »Unrepräsentierten zu repräsentieren«, schiene mir ziemlich naiv.
In meinen Augen ist die Repräsentation nicht die Antwort auf die Frage, egal ob politisch, ethisch oder epistemologisch gemeint, sondern genau die Form, in der die Frage gestellt und durchgearbeitet, ja gelebt wird. Aus diesem Grund binde ich die politischen und ethischen Fragen an die Repräsentation selbst an – in Form der Frage: »Was wollen Bilder?« Vielleicht läßt sich mit dieser Frage der Drang zügeln, Repräsentationen als gegebene, von einem selbst irgendwie unabhängige Größen anzunehmen, die es einem ermöglichen, auf einem sicheren moralischen oder politischen Terrain zu diskutieren. Im Grunde geht diese Frage davon aus, daß das seitens der jetzigen kritischen Repräsentationstheorien »Nichtrepräsentierte« oder nicht adäquat Repräsentierte die Repräsentation selbst ist – insofern nämlich, als die Repräsentation in der Politik der visuellen Kultur von heute zugleich die Rolle des Sündenbocks als auch des Allheilmittels zu spielen hat. Zu den am auffälligsten unterrepräsentierten Elementen bei unseren Diskussionen über Bilder gehören die Bilder selbst. Wir gestatten ihnen nie, sich selbst zu repräsentieren, sondern nötigen sie dazu, als Symptome gesehen zu werden, die es zu entschlüsseln, zu dekodieren und interpretieren gilt, die in neue Zusammenhänge gestellt und einer erbarmungslosen ikonoklastischen Kritik unterzogen werden. Statt der gewöhnlichen Hermeneutik schlage ich eine Umgangsform vor, die Susan Sontag einmal als »Erotik« bezeichnet hat.

Schöllhammer:Also eine ästhetische? Hatten Sie solche Praxen vor Augen, als Sie in »Picture Theory« von einem neuen Konzept von Repräsentation sprachen, das Repräsentation nicht als Objekt versteht, sondern als Praxis, als Prozeß, als System des Tausches an dem die Dinge, die Bilder oder Images teilhaben?

Mitchell: Für die Praktiken, die sich aus meinen Vorschlägen ergeben, habe ich keine »Pläne«. Ich glaube, daß die TheoretikerInnen der Dichte und Materialität bestehender künstlerischer Praktiken große Aufmerksamkeit zukommen lassen und das Werk der KünstlerInnen selbst als eine Form theoretischer Aktivität, die sich in der Regel in einem nonverbalen Medium vollzieht, begreifen sollten. Egal ob ErzählerIn oder PhotographIn, KünstlerInnen praktizieren die Fleischwerdung von Theorie: Sie fabrizieren Theorie, indem sie Repräsentationen schaffen. Die Konzepte, die ich in die Diskussion über visuelle Kultur eingeführt habe – Begriffe wie das »Metabild« und das »Hypericon« oder den »Imagetext« sowie den »Pictorial Turn« –, sind alles synthetische Konzepte, die aus einer großen Bandbreite theoretischer Diskussionen und künstlerischer Praktiken zusammengestückelt wurden. Es handelt sich dabei um nichts weiter als Versuche, deutlich zu machen, was wir tun, ohne es zu wissen. »Was wollen Bilder?« ist eine provokante Frage, aber diese Frage stammt nicht einmal von mir. Mir ist gesagt worden, daß »Was wollen Bilder?« ein besserer Titel für das Buch »Picture Theory« gewesen wäre, und so habe ich die Frage einfach übernommen. Mir gefällt die Idee, daß die besten Fragen jene sind, die wir längst schon stellen, ohne es zu merken. Aus diesem Grund bevorzuge ich eine immanente, alltägliche Form der Theorie, eine, die der Textur von Praktiken dicht auf den Fersen folgt, auch wenn sie mit den Praktiken nie einfach identisch wird, sondern eher innerhalb der Praktiken ein subtiles Moment der Reflexion und Distanzierung darstellt. Mein Versuch, »Theorie abzubilden«, »to picture theory«, ist für mich ein Weg, den Theoriekorpus mit seinem zwangsläufigen Angewiesensein auf konkrete Beispiele, Bilder, Szenen, Technologien und soziale Formationen, so lebendig wie möglich zur Geltung zu bringen.

Schöllhammer: Viele jener Kunstpraxen, die man heute als repräsentationskritisch oder im weitesten Sinn »politisch« bezeichnen könnte, mißtrauen der Möglichkeit, Bilder in solch einem Verhältnis zu befragen, mag sein aus der Erfahrung, daß sie ihre »kritische« Produktion so oft zynisch von denen, gegen die sie gerichtet waren, appropriiert sahen. In ihrem Kampf um eine identitätskritische Position und um Handlungsfähigkeit ist eine der Hauptfragen die nach einer Strategie, Bilder gegen die Veruntreuung der Kontexte, in denen und für die sie produziert wurden, zu schützen und gleichzeitig ihre Konstruiertheit zum Thema zu machen. An welche Art der Produktion mit Bildern dachten Sie, als Sie von der Notwendigkeit »verantwortungsvoller« Repräsentation sprachen?

Mitchell: Hinsichtlich der Repräsentationspolitik, so wie ich sie verstehe, mache ich keine Anstalten, als politischer Guru aufzutreten. Meine politischen Ansichten, nicht anders als mein Zugang zu wirklicher politischer Macht, sind ziemlich gewöhnlicher Art und eingeschränkt. Woran mir aber liegt, ist zu einer Reflexion des Wechselverhältnisses von ästhetischen und politischen Repräsentationsformen – »stehen für« und »stellvertreten« – als miteinander verknüpfter Praxisfelder zu gelangen. Diesem Ziel kommt man meines Erachtens nicht über eine Phantasiepolitik näher, die großartige Siege feiert, indem sie sich schlauer dünkt als die verkommenen Produkte der Kulturindustrie. Dieses Spielchen ist längst zur Routine geworden; die Siege sind allzu einfach und zu vorhersehbar. Die Frage »Was wollen Bilder?« habe ich aufgeworfen, um das Spiel der Politisierung von Repräsentationen schwieriger und unvorhersehbarer zu gestalten. Die Leichtigkeit, mit der wir mit Interpretationen zur Hand sind, wollte ich ein bißchen unterbinden, vor allem unsere Fähigkeit, im Nu die ideologische Agenda hinter einem Bild oder einer Erzählung zu dekodieren. Die Frage, worauf die Dinge selbst ihr Begehren richten könnten, ist bewußt erschwerend, unzugänglich und pervers. Es ist kaum möglich, aus ihr eine Methode zu machen, der sich »neue Sichtweisen« abgewinnen lassen.

Schöllhammer: Dennoch scheint sich für Sie dahinter auch noch eine andere Frage zu verbergen?

Mitchell: Ein Punkt, der mir im Zuge einer Neubewertung der Repräsentationspolitik am Herzen liegt, ist die Möglichkeit, die Kategorie Wahrheit (wieder) verankern zu können. Uns sind die Klischees des Relativismus und Konstruktivismus derart vertraut geworden, daß für KulturanalytikerInnen der Begriff einer »verantwortungsvollen Repräsentation« – im Sinne einer Aktivität zur Erzeugung wahren und nützlichen Wissens – nahezu utopisch klingt. Aus diesem Grund scheint mir der Zeitpunkt gekommen, um zu fragen, welche Repräsentationsstrategien die Chance haben, ethisch und epistemologisch »verantwortlich« auszufallen, das heißt, adäquat, aufrichtig, wirksam und sogar verifizierbar oder falsifizierbar zu sein. Wir finden das natürlich nur heraus, indem wird das Risiko »unverantwortlicher« Repräsentationen eingehen, womit ich die verspielten und wilden Produktionsformen meine, die wir Kunst und Theorie nennen.

 

Übersetzt von Roger M. Buergel

 

1 Siehe Jean-Pierre Vernant: Mythe et Pensée chez les Grecs. Maspero 1965.
2 Siehe Bruno Latour: A Few Steps toward an Anthropology of the Iconoclastic Gesture. In: Science in Context 10 (1997), S.63–83, sowie mein Kapitel: The Rhetoric of Iconoclasm. In: Iconology. Image, Text, Ideology. Chicago 1986.
Siehe das Interview: Bruno Latour. Dinge handeln – Menschen geschehen. In: springer 4 (1995), S.12–15.