Heft 3/1999 - Neue Kolonien


Institutionelle Perspektiven

Über die kulturpolitischen und ökonomischen Verhältnisse polnischer Kunstinstitutionen

Jan Verwoert


Beim Versuch, die Zusammenhänge des polnischen Kunstgeschehens zu verstehen, stößt man unweigerlich auch auf die Frage nach den kulturpolitischen und ökonomischen Verhältnissen der dortigen Kunstinstitutionen. 1

Beim Blick auf die infrastrukturellen Bedingtheiten des polnischen Kunstbetriebs fällt einem als Außenstehenden zu allererst die praktische Nichtexistenz eines Kunstmarktes auf. Von den fünf Untergrundgalerien zum Beispiel, deren Tätigkeit 1990 die Ausstellung »Die Galerien der 80er« in der Warschauer Nationalgalerie Zacheta dokumentierte, existiert mittlerweile nur noch die Galeria Zderzak (Stoßstange). Sie und die Galerie Starmach, die überwiegend mit modernistischer Malerei der fünfziger und sechziger Jahre handelt, sind die einzigen kommerziellen Galerien des Landes, die einem westlichen Modell entsprechend funktionieren. Beide sind in Krakau zu finden. Zderzak vertritt als einzige neben »Klassikern« auch zeitgenössische KünstlerInnen und nimmt an internationalen Messen teil. Die Galerie, die 1985 von Marta Tarabula als nicht kommerzielle Untergrundgalerie gegründet wurde, agiert seit 1989 kommerziell.
Auf die Frage, was die Situation einer kommerziellen Galerie für aktuelle Kunst in Polen ausmacht, antwortet Marta Tarabula: ihre Einsamkeit. Da keine Öffentlichkeit für zeitgenössische Kunst geschaffen worden sei, stelle sie auch für Sammler keinen »sicheren Wert« dar. Eine Antwort auf die Frage, ob denn trotzdem eine Alternative zum westlichen Kunstmarkt für Polen denkbar wäre, habe sie nicht. Die zu Zeiten des Sozialismus geförderte Form von Kunstmarkt sei eine Farce gewesen: Staatlich finanzierte Galerien kaufen einander auf staatlich finanzierten Messen mit staatlichen Geldern Kunst ab.
In kulturpolitischer Hinsicht gewann in den letzten Monaten die Situation des Zentrums für zeitgenössische Kunst, der Galeria Laznia (»Badehaus«), in Gdansk starke Bedeutung: Die Galeria Laznia geriet wegen zwei ihrer Ausstellungen in rechtliche Schwierigkeiten und unter massiven Beschuss von Seiten rechtskonservativer Kreise – siehe den nebenstehenden Text von Ryszard Kluszczynski. Aneta Szylak, Direktorin der Galerie, kommentiert diese Situation folgendermaßen: »Nach meiner mehr als einjährigen Erfahrung als Direktorin eines öffentlichen Ausstellungshauses kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass in Polen die Abhängigkeit einer Kunstinstitution von öffentlichen Geldern Politikern Tür und Tor für Intervention und Kontrolle öffnet«. Viele von ihnen wollten nur Kunst finanziert sehen, die »moralisch korrekt« sei. Natürlich blieben demokratische und linksgerichtete PolitikerInnen weiterhin Befürworter des freien künstlerischen Ausdrucks und somit auch der Galeria Laznia. Dennoch plant Szylak derzeit die Gründung eines Förderkreises von Intellektuellen, KünstlerInnen, PolitikerInnen und Privatiers als Lobby und Schutz gegen politische Eingriffe. Auch die Suche nach privaten SponsorInnen werde verstärkt. Durchaus bemerkbar mache sich in diesem Zusammenhang aber, dass es in Polen kaum »altes« Geld im westlichen Sinne gebe und die RepräsentantInnen des »neuen« Geldes wenig Interesse an Kunst hätten. Größere Wirtschaftsunternehmen seien letztlich oft nicht minder konservativ als die entsprechenden politischen Kreise.
Orientiert man sich weiter in der Landschaft der nicht kommerziell geführten Galerien, so fällt vor allem die Prominenz der im Zentrum von Warschau gelegenen Galeria Foksal auf. Sie wurde 1966 von den Künstlern Tadeusz Kantor, Henryk Stazewski, Zbigniew Gostomski und den KritikerInnen Wieslaw Borowski, Mariusz Tchorek und Anka Ptaszkowska gegründet. Mit dem Namen Foksal verbindet sich also eine lange Tradition von Fluxus- und analytischer Konzeptkunst. Borowski ist weiterhin amtierender Direktor. Das Programm von Foksal – Ausstellungen, Veröffentlichungen und Vorträge – gestaltet jedoch nun eine Gruppe jüngerer KuratorInnen: Adam Szymczyk, Joanna Mytkowska und Andrzej Przywara. Kulturpolitisch gesehen, genießt Foksal dabei eine relative Unabhängigkeit von öffentlichen Mitteln. Partiell wird sie zwar noch von einer städtischen Behörde finanziert, die Frustration über deren Schwergängigkeit führte vor einiger Zeit jedoch zur Gründung einer Stiftung, im Rahmen derer Foksal nun Sponsoren für ihre jeweiligen Projekte anwirbt. Szymczyk beschreibt diese Situation als positiv: Foksal verfüge über ein »weniger politisiertes Arbeitsfeld« als andere staatlich oder städtisch finanzierte Kunstinstitutionen in Warschau.2 Der Einfluss konservativer Kräfte sei gering. Foksal habe dementsprechend große Handlungsfreiheit.
Die Frage, ob denn die markante Vergangenheit von Foksal aktuelle kuratorische Entscheidungen beeinflusse, verneint Szymczyk – es sei nicht im Interesse der Galerie, nur das symbolische Kapital ihrer Geschichte zu verwalten. Im Gegenteil. Viele osteuropäische Galerien verlegten sich zu stark darauf, auf internationalen Messen entweder die historischen Arbeiten ihren nationalen Avantgarde oder ihre eigene »heroische Vergangenheit« als Gegner des politischen Regimes zu Markte zu tragen. Die Verantwortung für die lokale Vermittlung von aktueller Kunst bliebe dabei auf der Strecke. Die Aufgabe von Foksal läge deshalb einfach darin, »vor Ort gute Ausstellungen zu machen«. Wichtig in diesem Zusammenhang sei auch, das Interesse einer, wie er es nannte, »young urban culture« zu gewinnen. Das Popmagazin »Machina« biete hier ein gutes Forum für Beiträge über aktuelle Kunst. Ein Interesse dieser Öffentlichkeiten bestehe durchaus: Auf Anfrage der Veranstalter wurde zum Beispiel eine Installation von Pawel Althammer – ein weißer Zeltvorbau, der den Garten der Galerie Foksal temporär zum White Cube machte – unlängst für ein Clubbing genutzt.
Positiv sieht auch Lukasz Gorcyca von der jungen Kunstzeitschrift »raster« – bei allen Vorbehalten gegenüber globalistischen Homogenisierungstendenzen – eine Auseinandersetzung mit den Medien der Popkultur. Der dem Pop innewohnende Sinn für Vermitteltheiten und Ironie schaffe eine heilsame Alternative zu der in vielen Bereichen polnischer Kunst vorherrschenden Fixierung auf authentizitätsverliebte Aktionismen und sensualistische Body Art. Als gelungene Form der Ironisierung liest sich da eine Performance des Gdansker Künstlerkollektivs CUKT, die als fiktives Einsatzkommando im Strassenbau oder in Technoopern auftreten: Im Zuge eines Teach-ins malten sie mit SchülerInnen Roman Opalkas seit Jahrzehnten mühevoll Tag für Tag entstehende Zahlenbilder nach. Die leidvolle Lebenswirklichkeit des Roman Opalka: ein Spaß für den ganzen Kunstkurs.

 

 

1 Für die Gespräche, die die Grundlage dieses Textes bilden, bedanke ich mich bei Mara Tarabula, Aneta Szylak, Adam Szymczyk, Joanna Mytkowska, Andrzej Przywara und Lukasz Gorcyca. Für Information und Rat zudem vielen Dank an Joanna Kiliszek vom polnischen Institut Leipzig.
2 Das Zentrum für zeitgenössische Kunst im Ujazdowski Schloß und die Warschauer Galerie für zeitgenössische Kunst Zacheta wären hier das Beispiel.