Heft 3/1999 - Netzteil


Kunst zwischen Medien (V)

Teil fünf der Serie über frühe österreichische Medienkunstprojekte

Reinhard Braun


»Nie ist ein Arrangement technologisch, es ist geradezu das Gegenteil der Fall. Die Werkzeuge setzen eine Maschine voraus, und die Maschine ist immer sozial, bevor sie technisch wird. Da ist immer eine soziale Maschine, die die technischen Elemente auswählt oder zuteilt, die Verwendung finden.« (Gilles Deleuze, Claire Parnet)

Medien stellen in je spezifischer Weise kulturelle Tatsachen her. Sie verknüpfen und verketten diese mit anderen kulturellen Formationen und Artefakten: »Nicht als Vehikel eines Inhalts, sondern durch die Form und Operation selbst induzieren Medien ein gesellschaftliches Verhältnis.« (Jean Baudrillard) Von da her stellt sich jede Frage an die komplexen Zusammenhänge wie jene von Kultur, Medien und Kunst nicht allein vor dem Hintergrund einer Technikimplementierung (das »Hardware Requirement«), sondern vor dem Hintergrund einer immer schon vorhandenen Technizität kulturellen Austausches - eines Austausches, in den selbstverständlich auch jede künstlerische Produktion involviert ist. Was damit zur Diskussion steht, ist die Kennzeichnung der je konkreten - diskursiven - Bedingungen, unter denen im Rahmen künstlerischer Verfahrensweisen technologische Prozesse zum Einsatz gelangen, sowie die Frage, inwiefern diese Bedingungen die Ebenen des Austausches mit und innerhalb der Kultur verschieben beziehungsweise solche Verschiebungen anzeigen: Denken wir nur an die experimentellen kommunikativen Handlungsfelder in den Projekten von Robert Adrian X, an die politischen Optionen bei VALIE EXPORT und Richard Kriesche, die epistemischen Ansätze Peter Weibels - in all diesen Fällen geht es um Aspekte gesellschaftlicher Transfers, Kommunikation und Repräsentation. Die »Revolution« ist also immer eine kulturelle, keine technologische. Insofern zeichnen sich in diesem mehr oder weniger spezifischen künstlerischen Terrain, das mit dem Begriff »Kunst zwischen Medien« nur vage umschrieben ist, ebenso jene Bruchstellen und offenen Horizonte ab, von denen eine immer schon mediatisierte und sich zunehmend technologisierende Kultur insgesamt gekennzeichnet und durchzogen ist - Bruchstellen und Verschiebungen, die auf eine ständige Neuordnung kultureller Zuschreibungssysteme verweisen, das heißt, auf permanent stattfindende Neukonfigurationen kultureller Ordnungen. Die Genealogie, die in diesen Beiträgen zu skizziert werden sollte, ist also keineswegs eine künstlerische im engeren Sinn, eher ist das Gegenteil der Fall: Im Mittelpunkt stand das »zwischen«, die Konjunktion, Negation, Exklusion und Diversifikation. Worauf aber richtet sich dieses Bindeglied, diese Trennung, um sinnvollerweise von einer Genealogie sprechen zu können, ohne damit gleich eine Homologie konstruieren zu wollen? Was die beiden Pole Kunst und Medien - unter anderem, aber doch zentral - aufeinander zu beziehen scheint, lässt sich immer noch als Repräsentation umschreiben.

Sah sich das Individuum im Hinblick auf sein Erfasstwerden durch Medienverhältnisse - die immer auch Machtverhältnisse implizieren - lange Zeit in einen Prozess der Aneignung durch Bildformationen verstrickt, so stellt sich diese Verstrickung heute als - beinahe »natürliches« - Angeschlossensein dar. Medien spiegeln dabei der Öffentlichkeit keine - verzerrten, entstellten - Bilder zurück, um sie durch Verführung oder Überredung, das heißt, ideologische Tricks, neu zu formieren, sie intervenieren bereits auf der Ebene der Herausbildung (oder Verhinderung) solcher Öffentlichkeiten: Bildung, Konsum, Arbeit, Politik, Freizeit - sie alle finden nicht nur unter Medienbedingungen, sondern buchstäblich innerhalb von Medienverhältnissen statt. Die Gesellschaft als Ganzes scheint wie ein »Netzwerk von endlichen Automaten [zu funktionieren], in denen die Kommunikation von einem Nachbarn zum anderen hergestellt wird, in denen Stränge oder Kanäle nicht schon vorgegeben sind, in denen alle Individuen austauschbar und nur durch einen momentanen Zustand definierbar sind, so dass (...) das Endergebnis unabhängig von einer zentralen Instanz synchronisiert wird. Eine Transduktion intensiver Zustände löst die Topologie ab.« (Gilles Deleuze, Félix Guattari) Nicht der Große Bruder Bildschirm konditioniert das Bewusstsein, sondern die »Stränge oder Kanäle« der Netzwerke, »Panoramas von Maschinen und verschalteten Apparaten« (Hans Ulrich Reck) organisieren Individuen im ihrem Verhältnis zu kollektiven Gruppen und schließlich in ihrem Verhältnis zu sich selbst: virtualisierte Regulierungsverhältnisse. »Informationstechnologien erfordern ein neues Modell sozialen Wandels.« (Timothy Druckrey)

Damit sind Fragen der Referenz operational zu stellen - und nicht mehr ontologisch, wie man es noch bei manchen medienkritischen Arbeiten der sechziger und siebziger Jahre tun konnte - etwa Peter Weibels »Die Eroberung der Natur«, 1973 (»3 Modalitäten der Ontologie: Realität, gefilmte Realität (videoaufgezeichnete Realität) und videoaufgezeichnetes Videoband«), worin es um die Ordnung verschiedener Repräsentationen, bezogen auf ihren »Abstand« zu Wirklichkeit, ging. Repräsentation ist nicht mehr durch eine Differenz zwischen Realität und Bild, oder Realität und Netz, gekennzeichnet, sondern zunehmend durch die operative Verschaltung von - jeweils medialem - Vorbild und Nachbild. Die Verschiebung der Diskurse im Zusammenhang mit Kunst und Medien deutet auf eine Verschiebung dieser Fragestellung hin: nicht inwiefern Wirklichkeit und Medienbild ontologisch, politisch, ideologisch geschieden sind oder einander zuarbeiten, sondern in welcher Weise sie sich gegenseitig bedingen und produzieren. Welche permanente Radikalisierung dieser Rückkoppelung zeichnet sich ab, zumal »ein struktureller Unterschied zwischen der panoptischen Autorität der Moderne und den transoptischen Diskursen der Postmoderne« (Timothy Druckrey) existiert? Lassen sich viele frühe Video-/Medienprojekte als Kritik einer zu jener Zeit neuen, mediengestützten gesellschaftlichen Panoptik interpretieren, so findet dieser Diskurs um die Beziehungen zwischen Kultur, Subjekt und Medien gegenwärtig inmitten beschleunigter, virtualisierter Bilder und Kommunikationsverhältnisse statt, die die Welt der Erfahrung überhaupt erst konstruieren.

Dieser Prozess der zunehmenden Verschränkung von kulturellem Austausch, technologischer Entwicklung und künstlerischen Praktiken lässt sich allerdings nicht auf die Figur des »Mediums« in einem technischen Sinn reduzieren, es geht dabei vielmehr um die Frage nach der ständigen Umarbeitung der Parameter für die Konstruktion eines kollektiven Wirklichkeitshorizontes. »Falls es überhaupt einen gemeinsamen Nenner der postmodernen Diskurse gibt, so den, dass mit dem Aufstieg eines Modells der (natur-) wissenschaftlichen Visualisierung der Verlust eines jeden totalisierenden Modells, der >wirklichen< Welt wie deren Repräsentation, einhergeht.« (Timothy Druckrey) »Neue« - visuelle, telekommunikative oder interaktive - Medien intervenieren in diesem Sinn in die Herstellung verbindlicher kultureller Repräsentationen, die nicht nur als Bilder zu verstehen sind, sondern auch Handlungsmomente, Kommunikation und die Produktion von Wissen und Erfahrung umfassen. Sie intervenieren dabei allerdings als soziale beziehungsweise kulturelle Maschine, nicht als technologisches »Gadget« im engeren Sinn. Von einer Umarbeitung der Repräsentationsverhältnisse zu sprechen, heißt, die veränderten Semantiken von Wirklichkeitsproduktion in Betracht zu ziehen - Semantiken, die niemals nur medienimmanent entschieden oder entwickelt werden, sondern in verschlungenen Prozessen kultureller Kommunikation, als »Transfiguration gegenseitig unerfüllter Bedeutungen«. (Eduardo Kac)

Das Auftauchen medientechnischer Produktion, die sozusagen neuartige Wahrnehmungsgegenstände, semantische Figuren und Handlungsfelder in die kulturelle Zirkulation von Zeichen, Sinn und Kommunikation einschleust, wird etwa in Gebhard Sengmüllers Projekt »TV Poetry« evident, das auf der Ars Electronica 1993 und der Medienbiennale Leipzig 1994 zu sehen war. Ausgangspunkt dieser automatisierten Textproduktion sind Fernsehprogramme beziehungsweise die darin auftauchenden Textkomponenten. Im Sekundentakt wählen die Empfangsgeräte ein neues Programm, von diesem wird ein Standbild abgenommen und die in diesem Bild vorhandenen Textpassagen durch Texterkennungssoftware gefiltert, weiterbearbeitet und dargestellt. Der durch »TV Poetry« automatisch, das heißt, maschinenproduzierte »Text« ergibt aber keinen Sinn, keine Erzählung, keine Dramaturgie, sondern eine durchaus alogische und paralogische Zeichenreihe: »LINDY SI CLA IR SPURLOS VERS SCHUNDEN WADONNA« (aus einem Sample vom 3. Jänner 1993 zwischen 19.00 und 23.00 Uhr).

In dem durch Medientechnologien als Kulturtechniken initiierten neuen Dispositiv der Koppelung von Bild, Repräsentation, Gegenstand, Raum, Information, Handlung und Subjekt zeichnet sich das eigentliche Feld der Genealogie ab, die den »Gegenstand« dieser Artikelserie bildet: Innerhalb von Mediensphären kreisen Subjekt und Medien gleichsam beständig umeinander, sind unlösbar aufeinander bezogen. Für Repräsentationsverhältnisse bedeutet dies, dass Medien kein Raum oder Werkzeug der Speicherung, Simulation, Manipulation, Fiktionalisierung oder Dokumentation von Abbildungen sind, in denen »wir« »uns« und »die Welt« wiedererkennen - oder rekonstruieren - könnten: Mediale Repräsentationen produzieren selbst Wirklichkeit und Erfahrungen über die Welt. Die Dichotomie zwischen Wirklichkeit und medialer Gegenwirklichkeit hat sich aufgelöst: Präsenz statt Repräsentation, Kommunikation statt Verführung, Ereignis statt Rezeption - »images which talk back«. Die »Split:Reality« VALIE EXPORTs als Konfrontation eines Individuums mit einer medientechnischen Maschine hat sich in eine hybride mediale Syntax des Realen verwandelt, in der sich »echtgeschöpfte Realitätsvokabeln« (Hermann Broch) als Nachbilder medialer Konstellationen erweisen - als »Circle Connection« des Subjekts mit seinem eigenen Begehren?

»Wird der Mediendiskurs je scheitern, völlig irren, sodass jeder auf der Stelle beschließt, etwas Vernünftigeres zu tun? Davon kann man wohl ausgehen.« (Agentur Bilwet)