Heft 3/1999 - Lektüre



Zeynep Çelik:

Urban Forms and Colonial Confrontations

Algier under French Rule

Berkeley, Los Angeles, London (University of California Press, 245 S., $ 45,-) 1997 , S. 83

Text: Michael Zinganel


Zeynep Çelik analysiert die Entwicklung der städtebaulichen Maßnahmen und des Wohnbauprogramms während der französischen Besatzung in Algier als integrale Komponenten des kolonialen Diskurses, als disziplinierende wie beschwichtigende Werkzeuge im Konflikt zwischen Kolonialmacht und Kolonialisierten, die - ob militärisch oder sozial motiviert - trotz immenser Anstrengungen seitens der Kolonialmacht letztendlich nicht imstande waren, die Unabhängigkeitsbestrebungen aufzuhalten.

Im Gegensatz zur radikalen Umgestaltung und Gentrifizierung, wie sie Haussmann unter Napoleon III. in Paris - gewissermaßen als Kolonialisierung der eigenen Unterschichten - rigoros durchführen konnte, erfolgte die mit der Eroberung im Jahre 1830 anlaufende koloniale Urbanisierung Algiers als Trial-and-error-Projekt in mehreren Etappen: Die Casbah, der traditionelle maurische Stadtkern, stellte sich für die Kolonialisierer städtebaulich - durch enge, verwinkelte und vielfach auch getreppte Gassen mit fensterlosen Häuserschluchten - wie sozial - durch den Ausschluss aus dem Privatleben der Kolonialisierten - als abweisend dar. Während sich das Familienleben um einen zweistöckigen, offenen Innenhof orientierte, waren die zum Meer hin abfallenden Dachterrassen der einzelnen Wohnungen miteinander verbunden. Der Anspruch auf Privatheit, wie ihn die Abschottung zur Straße und der intime Innenhof vermittelte, löste sich in den Dachgeschoßen wieder auf. Die Wohnung bildete den unverwundbaren Raum gegen die Interventionen der Kolonialisierer, den Ort autonomer Identitätsbildung und Erhaltung. Im antikolonialen Prozess erlangten daher die Wohnung und die Frau, der dieser Ort »traditionell« zugewiesen wurde, zusätzliche Bedeutung. (Tatsächlich haben sich Frauen auch am bewaffneten Widerstand beteiligt und den Männern der Befreiungsarmee die Flucht-, Nachschub- und Kommunikationssysteme über die Dachterrassen während der Belagerungen der Casbah geöffnet.) Von Seiten der Kolonialisierer wurde daher die algerische Frau als das Symbol der kulturellen Identität Algiers bewertet, deren Geist und Körper zu kontrollieren eine »unerfüllte Sehnsucht« darstellte - eine Assoziation, die von KünstlerInnen und ArchitektInnen auf die Stadt selbst ausgedehnt wurde.

Der anfänglichen Fragmentierung der Casbah durch Straßenachsen, die sie vom Hafen abtrennte und die wichtigsten Moscheen isolierte, folgte eine anhaltende Phase der »rücksichtsvollen« Apartheid. Eingekreist von komfortabel ausgestatteten klassizistischen Stadtteilen für die französischen Besatzer blieb die »idyllische« Casbah isoliert und sich selbst überlassen. Bis die zunehmende Landflucht die Wohndichte dermaßen erhöhte, dass an ihren Rändern Barackenlager (bidonvilles) entstanden und die ohnehin bescheidene hygienische Versorgung zusammenzubrechen drohte.

Die Kolonialbehörde anwortete mit einem umfangreichen Wohnbauprogramm für die kolonialisierte Bevölkerung in neuen Stadtteilen an der Peripherie, für deren Gestaltung die Mythisierung von Architektur und Lebensstil der Casbah die Inspiration der (bis auf eine einzige Ausnahme) auschließlich männlichen französischen Architekten bildeten. Die engen Gassen wurden rationalisiert, Dachterrassen und Innenhöfe kollektiv nutzbar gemacht und Elemente von traditionellen Wohnungsgrundrissen übernommen: etwa die zentrale Wohnküche oder die Loggia - als Verweis auf den individuellen Innenhof -, die ein WC, das gleichzeitig auch als Dusche verwendet wurde, beinhaltete. Übernommen wurde damit aber auch - unreflektiert - die »traditionell« schlechte sanitäre Ausstattung sowie die Festlegung der gendered spaces. Die Frau zu unterwerfen, sie in neuen Wohnprojekten auszusiedeln, wurde als Schlüssel zur Befriedung der Kolonie angesehen. Je mehr neue Wohnungen geschaffen wurden, desto organisierter wurde jedoch auch der Widerstand.

Zeynep Çeliks umfassende Untersuchung1 überzeugt durch die Kombination von Modernismuskritik mit Gender- und Kolonialdiskurs, unterlegt mit ungewohnt detailreichem Planmaterial, Architekturaufnahmen, Originalzitaten von »wohlmeinenden« Politikern und Planern, aber auch mit Beispielen aus Literatur und bildender Kunst.

 

 

1 Auszüge aus Çeliks Studie wurden unter dem Titel »Gendered Spaces in Colonial Algier« vorveröffentlicht in: Agrest, Conway, Weisman (Hg.): The Sex of Architecture. New York: Abrams 1996.