Heft 3/1999 - Artscribe


Pierre Huyghe

28. April 1999 bis 13. Juni 1999
Secession / Wien

Text: Andreas Spiegl


Pierre Huyghe hat sich auf vier Arbeiten beschränkt, um den Hauptraum der Secession geradezu unprätentiös und doch sehr kalkuliert zu bespielen. Zwei Videoprojektionen (»L´Ellipse«, 1998; »The Stand-Ins«, 1998), eine »Wandarbeit« mit gleichnamigem Titel und eine Lichtinstallation an der verglasten Decke (»Atari«, 1999). Wenn man so will, vier Arbeiten, die vollkommen getrennt voneinander an jeweils einer Wand beziehungsweise an der Decke gezeigt wurden und dennoch auf eine inhaltliche Nähe - Pierre Huyghe spricht auch von »Linien« - zwischen diesen schließen lassen. Diese Linien skizzieren ein Interesse an Fragen der Zeitlichkeit. Was bleibt von einer modernen und teleologischen Zeitvorstellung, wenn wir heute um deren Problematik und um die Krise der Moderne wissen? Wie gehen wir mit Werken und in diesem Fall vor allem mit Filmen aus der Moderne um, wenn sich die Bedingungen ihrer Rezeption verändert haben?

In einer früheren Arbeit hat Pierre Huyghe diese Frage unter anderem mit einem »Remake« (1995) beantwortet. Darin wurde Hitchcocks »Rear Window« nochmals »gedreht« - mit Freunden und in deren Wohnungen. Da das Ziel dieses Unterfangens kaum darin bestehen konnte, Hitchcocks Version ernsthaft zu verbessern oder auf einen aktuelleren Stand zu bringen, erzählt die Adaption eher von einer Form der Realitätswahrnehmung unter Bedingungen des (einst) Filmischen selbst. Im Unterschied zum Nouveau Realisme oder zur Nouvelle Vague, die den Film möglichst nah an die Bedingungen der Realität heranzuführen und deren Abstand zu verkleinern suchten, »dreht« es sich hier um eine Umkehrung - um den Versuch, eine Vorstellung von Realität selbst dem Filmischen und damit dem Konstruierbaren nicht der Identität, sondern der Rolle anzunähern: In der Videoprojektion »Stand-Ins« spazieren SchauspielerInnen durch den Central Park, die den Eindruck von zufällig durch das Bildfeld wandernden PassantInnen erwecken, um deren »Rolle« im Leben, das heißt um deren fiktives Potential zu unterstreichen.

»Ellipse« besteht aus drei Projektionen, wobei die linke und die rechte Projektion Szenen aus Wim Wenders Film »Der amerikanische Freund« zeigen, die im »Original« allein durch einen Schnitt getrennt sind. Links erfährt der Schauspieler Bruno Ganz in seinem Pariser Hotel, dass er den Arzt auf der gegenüberliegenden Seite der Seine besuchen soll; rechts sieht man Ganz beim Arzt. Diese beiden Projektionen rahmen eine Art »Ein-Schnitt« in der Mitte, für den Huyghe den Schauspieler 20 Jahre später gebeten hat, nun den im originalen Schnitt vorenthaltenen Weg in Realzeit zu absolvieren. Obgleich in Wenders Film konzeptionell enthalten, erfährt der Film eine Ergänzung, die weniger als Korrektur, denn als Klärung wie Verunklärung der filmischen Zeitlichkeit gleichermaßen zu verstehen ist. Der einst mentale Raum im Schnitt wird genauso sichtbar, wie dieser Zeitsprung von 20 Jahren die dem Film immanente Zeit und deren Vergangenheit erst sichtbar macht. Während an der Narration des Originals nichts geändert wird, verändert sich die Wahrnehmbarkeit der filmischen Zeit und deren Verhältnis zur »realen« Zeit.

Damit berührt Huyghe ein eigentlich mediales und formales Problem, das nach den Immanenzen, Grenzen und Überlappungen von filmisch konstruierter Fiktion und vermeintlicher Realität Ausschau hält. Sein Versuch, den einen »Zeit-Raum« in den je anderen zu verlängern, indem er beide in sukzessiver Folge nebeneinander projiziert, scheint nachvollziehbar, aber nicht konsequent: Denn die Übersetzung der vermeintlich »realen« Wegstrecke, die doch von einem anderen »Zeit-Raum« erzählen sollte, ins Filmische, unterliegt selbst den Bedingungen filmischer Konstruktion. Das deleuzesche Thema einer wechselseitigen Beziehung von Virtuellem und Aktuellem, von Faktischem und Fiktivem, das generell als Ausgangsbasis für Pierre Huyghes Arbeit gesehen werden kann, stellt sich letztlich als Kreislauf heraus: »verschieden und doch ununterscheidbar«. Was als Öffnung oder Übergang zwischen heterogenen Zeit-Räumen gedacht war, erweist sich als zirkulärer Siegeszug des Virtuellen, das des Aktuellen allein bedarf, um noch etwas vor der Kamera zu haben. Zirkulär ist auch die Abwechslung, die die zum Computerspiel »Atari« transformierte Glasdecke verspricht: Zwei Partner spielen mit einem Lichtfeld Ping-Pong. Was als zeitlicher Prozess erscheint, ist die infinite Variation in einem unveränderlichen System. Wenn die Ausstellung einen kritischen Impuls vermittelt, dann liegt dieser in der verallgemeinerbaren Tendenz, das Virtuelle als Aktuelles zu fassen - um mit Musil zu sprechen: in einer Politik des Möglichkeitssinns. Wenn die Ausstellung kritisiert werden kann, dann nur deshalb, weil sie verabsäumt, das hegemoniale Interesse an einer Politik des Fiktiven und vermeintlich Möglichen zu adressieren.