Heft 4/1999 - Bewegungen
»Gender Studies in Arts and Culture«1 nannte sich Ende Oktober ein Workshop im slowakischen Moravny nad Váhom, zu dem Referentinnen unterschiedlicher mittel- und zentraleuropäischer feministischer Positionen aus Praxis und Theorie eingeladen waren. Gemeinsam mit KunstgeschichtestudentInnen der Universität Bratislava reflektierte man über internationale und lokale Ansätze einer feministischen Kulturpraxis. Die Vortragenden kamen aus Ungarn, Kroatien, Tschechien, England, Deutschland und der Slowakei: Kunsthistorikerinnen, Philosophinnen, Architekturtheoretikerinnen und Kuratorinnen. Diese interdisziplinäre wie interkulturelle Spannbreite versprach Chancen für zukünftige Forschungs- und Kunstprojekte in der Region wie auch eine kritische Reflexion der nach wie vor fast ausschließlich vom anglo- und frankophonen Diskurs geprägten Auseinandersetzungen.
Leonida Kovac, Kuratorin der Contemporary Art Gallery in Zagreb, stellte unter dem Titel »Who‘s Body? Who‘s Desire?« die Analysen der kulturellen Konstruktion »von dem, was als Frau gilt«, ins Zentrum ihres Vortrags: Das ästhetische Paradigma der Subversion, wie es durch das Künstlersubjekt der Moderne und der entsprechenden kunsthistorischen Einordnung repräsentiert ist, basiere nicht nur auf der Geschlechterdiffernz, sondern konstruiere diese gleichzeitig mit. Kovac fragte daher mit aller Deutlichkeit: Was liegt hinter der Ästhetik?
An Hand von drei künstlerischen Positionen zeigte Kovac dann beispielhaft auf, wie die Fragestellung der sozialen Konstruktion von »Weiblichkeit« von zentraleuropäischen KünstlerInnen aufgegriffen wurde. Während die Polin Katarzyna Kozyra über die Konstruktion des Blicks arbeite, analysiere die in New York lebende Budapesterin Orshi Drozdik in ihren Arbeiten das Konzept der Identitätskonstruktion im Diskurs von Autobiografie und Medizin. Um Strategien sozialer Konstruktion von »Weiblichkeit« gehe es auch in Sanja Ivekovics beeindruckenden Foto- und Videoarbeiten aus den sechziger Jahren, die zwar damals im Kontext von Videokunst international präsent gewesen seien, aber noch auf ihre zeitgemäße Einordnung in einer feministischen Kunstkritik warteten. Kovac wies darauf hin, wie sehr das Feld der Kunstgeschichte einer kritischen Revision zu unterziehen sei, da der Fachbereich in Ost- und Westeuropa immer noch jegliche Theorie sozialer Kontextualität verneine.
Auch Jana Oravcová stellte unterschiedliche slowakische Künstlerinnen aus verschiedenen Generationen vor. Dabei überraschten vor allem die Arbeiten von Anna Daucikova und Jana Zelibská. Daucikovas Videos setzen sich – eine Ausnahme in der Region – explizit mit Homosexualität auseinander. Jana Zelibská hatte, von der Popart beinflusst, bereits in den sechziger Jahren großformatige Wand- und Rauminstallationen zu Blickkonstruktionen entwickelt. Gerade solche Positionen zentraleuropäischer KünstlerInnen aus den Sechzigern und Siebzigern – das war eines der Resümées des Workshops – bedürften dringend einer kunsthistorischen Neubewertung. Die scheinbare Geschichtslosigkeit feministischer Positionen in den post-kommunistischen Ländern könnte zur Herausforderung für eine jüngere Generation von KunsthistorikerInnen werden und für eine, nicht ausschließlich westlich zentrierte, feministische Kulturwissenschaft.
Die Kunsthistorikerin und Kritikerin Edit András aus Budapest konzentrierte sich in ihrem Beitrag vor allem auf die Arbeiten junger ungarischer KünstlerInnen, die sich mit dem »Körper« als Signifikant gesellschaftlicher Einschreibungen beschäftigt haben. András machte sehr deutlich, dass diese Arbeiten nicht mit dem methodischen Instrumentarium der westlichen Kunstkritik gelesen werden können, und stellte die spezifischen Übersetzungsschwierigkeiten zwischen globalen und lokalen ungarischen Kunstszenen dar. Paradigmatisches Beispiel war die junge Künstlerin llona Németh, die in ihrer Arbeit den weiblichen Körper und seine Konnotationen thematisiere, sich aber dagegen ausspreche, dies »feministisch« zu nennen. Von einer künstlerischen Praxis, die sich bewusst auf feministische Positionen beziehe oder eine Auseinandersetzung mit den »Gender Studies« führen würde, könne so in der ungarischen Szene nicht gesprochen werden. Allerdings ließen sich, so András, zu »Body Art« lokale Interpretationen finden, in denen eine feministische Kritik an der Konstruktion von »Geschlechterdifferenz« zwar unausgesprochen, aber dennoch implizit sei.
Die Kunsthistorikerin Marta Smolikova, die derzeit als Projektkoordinatorin für den Open Society Fund tätig ist, der unter anderem Workshops und Publikationsreihen zu Gender Studies fördert, bestätigte András und führte die Abwehr feministischer Fragestellungen auf die fehlende Anbindung der spezifischen Position der »Gender Studies« in den post-kommunistischen Ländern zurück. Die staatlich verordnete Gleichheit der Geschlechter, die vor allem über Lohnarbeit in den sozialistischen Staaten nach 1945 verwirklicht wurde, hatte für das Selbstbild der Frauen ganz andere Effekte, als für Frauen aus dem kapitalistischen Westen. Dieses Verhältnis der Ost- und Westfrauen zu bezahlter und unbezahlter Arbeit sowie zu politischem Aktivismus sei – wie andere lokale Probleme und Phänomene dieses Fragenkomplexes – immer noch nicht untersucht.
Einen lokalen Ansatz feministischer Forschung stellte die Philosophin Zuzana Kiczková vor: Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojektes der Universitäten Bratislava und Wien, in dem StudentInnen und Lehrende die Konstruktion von Geschlechterrollen auf der Grundlage filmischer Repräsentationen analysiert hatten. An Hand des populären slowakischen Kinofilmes »Das Blaue vom Himmel« von Eva Borucovicová, wurde das »Netzwerk der Machtverhältnisse«, des Beziehungsgeflechts dreier Generationen (Mutter, Großmutter und Tochter), nicht als objektivierende Darstellung von Realität, sondern in Bezug auf die Instabilisierung von Bedeutungen und multiple Interpretationsmöglichkeiten untersucht. So drängte sich zum Ende der Präsentation nicht nur die Frage auf, welche zwangs-heterosexuelle Ikonographie der Film angerufen hatte, sondern in welche konkrete gesellschaftspolitische Situation dieser Film zielt. Kiczková verwies in diesem Zusammenhang auf die angekündigte Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in der Slowakei und auf die Re-Installierung traditioneller Weiblichkeitsbilder.
In den neunziger Jahren hat eine jüngere Generation von Frauen in Zentraleuropa verschiedene politische Initiativen ins Leben gerufen, die die Geschlechterdispositive in den postkommunistischen Gesellschaften thematisieren und verändern wollen. Eine der wichtigsten ist das feministische Magazin ASPEKT aus Bratislava. Es wurde 1993 als Teil weiter gefasster feministischer Aktivitäten und ohne jegliche finanzielle Basis gegründet. ASPEKT gibt jährlich 2 bis 3 Themenhefte in slowakischer und tschechischer Sprache heraus – etwa zu lesbischer Lebensrealität, internationaler Feminismus-Debatte, zu Körper, Raum und Macht, sowie in der letzten Ausgabe zu Gewalt an Frauen – und ist auch ein kleiner Verlag, der Prosa und Poesie von Frauen, aber auch Kinderbücher publiziert sowie Veranstaltungen, Lesungen und Filmprogramme organisiert. ASPEKT wird vor allem von den Literaturwissenschaftlerinnen Jana Juránová und Jana Cviková getragen und von Pro Helvetia und der Heinrich Böll-Stiftung finanziell unterstützt. Dass diese »Fremdfinanzierung« im nächsten Jahr drastisch gekürzt wird, ist aber nicht das einzige Problem der Initiative. Viel gravierender empfinde man das Missverhältnis von Theorie und Praxis, von In- und Output, das durch das offensichtliche Desinteresse der slowakischen Gesellschaft an der Geschlechterfrage entstanden sei und das die Herausgeberinnen in die Situation bringe, Expertinnen für ein Thema zu sein, »das die Gesellschaft scheinbar so gar nicht braucht«. Diesen grundlegenden Konflikt zwischen mikropolitischer Aktivitäten und dem Gesellschaftsbild problematisierten auch andere Beiträge: Wie sollen wir eine Gesellschaft verändern, wenn wir bis heute nicht wissen, wie diese eigentlich wirklich strukturiert ist und wohin sie sich entwickelt?
Gerade vor dem Hintergrund westlich geprägter Diskussionsansätze fanden sich die Vorträge daher immer wieder auf ein Set von Fragen zurückgeworfen: Wie lassen sich deren Thesen lokal anbinden, von welcher der theoretischen Position wollen wir konkret ausgehen und wie können diese für eine regionale und internationale Praxis nutzbar gemacht werden? Und vor allem, welche Bedingungen müssen dafür geschaffen werden? In einer abschließenden Diskussion wurde daher nicht nur auf die Notwendigkeit einer feministischen Kunstgeschichte verwiesen, sondern auch auf die fehlenden institutionellen und politischen Rahmenbedingungen einer feministischen Kulturarbeit an sich. Die Möglichkeit, sich ähnlich wie in diesem Workshop interdisziplinär und interkulturell zu vernetzen und somit auch rein zahlenmäßig mehr zu werden, sei dabei ebenso zentral wie die, durch die Kunst-Initiative eine politische Debatte auszulösen.
(1) Unter diesem Titel stand der vom 29. bis 31. Oktober von der feministischen Architekturtheoretikerin Monika Mitásová, Jana Oravcová, der Kunstkoordinatorin des Slovakiades Soros Center for Contemporary Arts in Zusammenarbeit mit der feministischen Zeitschrift ASPEKT organisierte Workshop. Eine Publikation des Soros Center for Contemporary Arts - Slovakia ist geplant.