Heft 1/2000 - Netzteil


net_condition (2)

Von Maschinen, Praktiken und sozialen Räumen

Reinhard Braun


In der letzten Ausgabe (springerin, Band V, Heft 4) wurde der Grazer Beitrag zum Ausstellungsprojekt »net_condition: Kunst im Online-Universum« (steirischer herbst 99) im Hinblick auf die diskursiven Bedingungen befragt, unter denen Netzkunst im Rahmen zeitgenössischer medienkünstlerischer Praktiken und wichtiger: aktueller kultureller Transformationen präsentiert und inszeniert wird. Es wurde vor allem die Notwendigkeit angemerkt, Diskurse über Netzphänomene, seien sie nun künstlerisch determiniert oder nicht, offen und anschlussfähig zu halten und einer Verengung sowohl in thematischer wie ideologischer Hinsicht entgegenzuarbeiten: Weder scheint es wünschenswert, eine neue Kunstdisziplin zu installieren und damit implizit bestehende Taxonomien zu bestätigen, noch, durch die Koppelung von »Netzkunst« an hegemoniale gesellschaftliche Diskurse zur Durchsetzung eines gesamtkulturellen technologischen Imperativs, diese in eine andauernde ungerechtfertigte Affirmationsdebatte zu verstricken.1 Der Diskurs über Medien- und Netzkunst werde jedoch durch Projekte wie »net_condition« vermessen und verfestigt, so der zentrale Einwand. Zudem zeigt der »Mythos Internet« und daran anknüpfend der Mythos der globalen Vernetzung und Synchronisierung – wie er im Begriff »Online-Universum« nicht nur anklingt, sondern fortgschrieben wird – Tendenzen eines post- beziehungsweise neo-kolonialen Diskurses. Dagegen muss mit Nachdruck auf die Ungleichzeitigkeiten und die kulturellen Differenzen im Rahmen von (Netz-)Kulturen insistiert werden.2

Die im Vergleich zum Grazer AVL Art Gate wesentlich umfangreichere Ausstellung am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie als Schwerpunkt des gesamten Projekts (das in Kooperation mit dem MCAD, Barcelona und dem ICC, Tokyo stattfand) erlaubt es, anders ausgerichtete Fragen an ein derartiges Projekt zu stellen – Fragen, die mit der Institutionalisierung von künstlerischen Praktiken zu tun haben, mit Kontexttransfers, mit Differenzen von Öffentlichkeitsformen, damit aber neuerlich mit Diskurshegemonien. Um es vorweg klarzustellen: Die Ausstellung bietet den BesucherInnen großzügige Möglichkeiten, die Netzprojekte kennenzulernen – für jedes steht eine Surfstation zur Verfügung. Daneben werden »historische« Spiele und alte Macintosh-Betriebssysteme samt Rechnern gezeigt; Software kann getestet werden; es gibt einen umfangreichen Online-Spiele-Bereich, einen Handapparat samt Lesebereich, einen Produktionsbereich für Live-Web-Audio-Streaming (»net radio days«); und schließlich wird eine Reihe von interaktiven und/oder Netz-Installationen präsentiert, darunter »I0_dencies« von Knowbotic Research, »Smell Bytes« von Jenny Marketou, »step to … word« von Alexandru Patatics und »Drive, Track #3« von Jordan Crandall. Die Ausstellung ist also in jedem Fall einen Besuch wert und bietet eine Reihe von Möglichkeiten, sich unterschiedliche Aspekte von netzbasierenden künstlerischen Strategien und Projekten »zu erarbeiten« – dennoch stellt sich darüber hinaus die Frage: Was sind maßgebliche Bedingungen des Netzes, außer seiner Fundierung in Apparaten, Protokollen und Software? Wie sind künstlerische Netz-Strategien in grundsätzliche kulturelle – soziale, ökonomische, politische – Konflikte verstrickt? Wir befinden uns schließlich längst nicht mehr in »Pionierzeiten« (vgl. Robert Adrian X, »Kunst und Telekommunikation«, in springerin, Band 1, Heft 1), in denen es vielleicht notwendig erschien, ein Kunstpublikum daran zu gewöhnen, dass zeitgenössische Kunst jetzt auch im Bereich (neuer) Medien operiert. Immer mehr BesucherInnen sind in ihrem Alltagsleben mit immer zahlreicheren Angeboten von Telefon- und Online-Diensten konfrontiert und sehen sich ohne E-Mail- oder Web-Adresse beinahe an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sie sind also selbst schon Teil »des Netzes« und unterliegen dessen ökonomischen und sozialen Bedingungen. Es muss also um mehr gehen als um technische Produktionsbedingungen, außer man vertritt die Position Friedrich Kittlers, nach der sich die Hardware direkt in der Kultur fortschreibt.

Wie positioniert sich also ein derartiges Ausstellungsprojekt – an einem der wichtigsten europäischen Medienkunstzentren – im Rahmen einer kulturellen Großwetterlage, in der technologische Faktoren, Metaphern und Modelle ohnehin immer wichtiger zu werden scheinen? Erste interessante Beobachtung: die durchgehende, offensichtlich unvermeidliche Verdinglichung des Netzes im Terminal, sprich: Computer. Folgt die Ausstellung damit »einer mechanistischen Ikonografie (…), deren technologisches Totem, der Computer, sich jeder Repräsentation entzieht« (Mark Dery)? Zumindest wird der konventionalisierte Repräsentationsmodus fortgesetzt, der den Techno-Diskurs allein schon auf der apparativen Ebene bestärkt. Bytes, Software-Routinen oder Internet-Protokolle sind völlig abstrakt: Bildschirme und Tastaturen korrespondieren mit einem verbreiteten Verständnis von Techno-Kultur und betten jeden diesbezüglichen Diskurs in Alltagsverhältnisse ein. Die Botschaft: Was hier passiert, muss mit unserem Leben zu tun haben; es sieht aus wie in unseren Büros, Arbeitszimmern und Jugendclubs. Da hilft es auch nichts, einen Teil der Ausstellungsfläche mit Paletten und diversem – schickem – Müll zu drapieren: Es geht um »Computieren«, wie es Vilém Flusser bezeichnen würde, und das findet in Computern statt.

Im Kontrast dazu stehen interaktive Netzinstallationen wie »The Rules are no Game« von Markus Huemer oder »Remote Control« von Shane Cooper. Vor allem erstere signalisiert, dass das »Netz« in gewissem Sinn auf die Interventionen der BesucherInnen zu »antworten« beginnt, sozusagen die Hoffnungen der Künstlichen Intelligenzforschung übernimmt und mittels purer Komplexität Intelligenz simuliert, zumindest einen sich selbst organisierenden Kommunikationsraum, dessen Antworten Sinn zu produzieren in der Lage sind. Hier scheinen sich Figuren der Belebung von Materie selbst zu beleben, eine Erweckung des Fetischismus mit den Mitteln der Technik. Was aber sind das für Botschaften, die uns aus dem Netz zu erreichen scheinen? Interessanter als die Zuordnung von IP-Adressen zu bestimmten, in Datenbanken archivierten Textsamples, wie bei Markus Huemer, erscheinen die Botschaften von »Technologies to the People« (Daniel García Andújar) oder jene des »Institute for Applied Autonomy«. Diese stammen zwar nicht aus den Tiefen des Netzes, verdanken sich aber durchaus der ironischen Verarbeitung von Netzmythen und Informationsdesign und verweisen daher auf einen (sozialen) Raum, der dem Netz vorangeht und mit ihm kurzgeschlossen wird, ohne vollständig darin aufzugehen.

Denn »das Netz« ist keineswegs nur eine große Bande von vernetzten Servern und Heimcomputern oder ein großes Reservoir an semantischen Figuren (Informationen). Es ist auch ein ziemlich unwahrscheinlich großer Pool an angeschlossenen Handlungsmustern, Sozialisierungsprozesen, von Lebenspraktiken – ohne damit einen Künstlermythos wiederbeleben zu wollen. Eine Ausstellung wie »net_condition« am ZKM installiert dagegen ein institutionell geprägtes Front-End für dieses Reservoir an – devianten, radikalen, konservativen, etc. – Kulturtechniken. Analog zur diskursiven Ebene verknappt sie auf einer, wenn man so will: phänomenologischen Ebene den Wahrnehmungshorizont netzbasierender künstlerischer sowie sozialer und politischer Praktiken.3 Man denke jedoch auch an eine Organisation wie backspace in London, das seine Räumlichkeiten schließen musste; oder an mikro und dessen Umfeld in Berlin. Es ist nicht die Netzpräsenz allein, und es sind vor allem keine Apparatekonstellationen, die diese Kontexte zu repräsentieren vermögen. Handelt es sich dabei – ob Netzkunst, net.art oder net.politics – nicht vielmehr um Praktiken, die sich der Ausstellungskapitalismus nur unter erheblichen Anstrengungen und Grenzverschiebungen einzuverleiben vermag? Bleiben diese Grenzverschiebungen, die Transpositionen und zwangsläufigen Verzeichnungen von kulturellen und künstlerischen Mikro-Praktiken in der Ausstellung »lesbar«? Nichts deutet zwischen all den Computern darauf hin, dass Projekte wie »net_condition« immer nur einen – fixierenden, sedimentierenden – »Blick« auf Netzkunst bieten und daher eigentlich keine Netzkonditionen repräsentieren können. Das Netz findet sozusagen wo anders statt. Immerhin ist das eine tröstliche Perspektive, wenn sich ein »Gegenstand« seiner institutionellen Reproduktion entzieht und somit einer Reihe von Reterritorialisierungsversuchen widersteht. Darin könnte eine net_condition liegen.

 

 

Projektinformationen und Links unter http://on1.zkm.de/netCondition.root/netcondition

1 Vgl. dazu etwa die jährlich aufflammenden Debatten im Zusammenhang mit den Themen der Ars Electronica: »Info-War«, »Flesh Factor« oder zuletzt »Life Sience«. Die Koppelung von kulturellem Fortschritt an High-Tech und Grundlagenforschung, das heißt, eine Technologisierung des Diskurses über Kultur, lässt künstlerische Praktiken (und nicht nur diese) vorschnell zu Epiphänomenen werden.

2 Vgl. etwa die Mailingliste Syndicate: http://colosus.v2.nl/syndicate

3 Vgl. etwa politische Praktiken, wie sie sich am Beispiel der aktuellen Protestbewegungen zur gegenwärtigen politischen Situation in Österreich zeigen. Ein wesentlicher Teil der Aktionen, Unterstützungserklärungen und Informationsverbreitung findet über das Internet statt – eine Art Austrian Political Backbone ist im Handumdrehen entstanden und wird auch auf dieser Ebene torpediert: rechte Spams, die Stilllegung von Adressen, Versuche zur Zugangs-beschränkung – ganz und gar nicht virtuelle Kämpfe um Repräsentation und Informationsmanagement.
http://www.widerstand.at
http://www.government-austria.at
http://www.popo.at
http://o5.or.at
http://www.servus.at/kanal/gegenschwarzblau/index.html
http://webring.telnet.at/list.php3
http://www.t0.or.at/gettoattack