Heft 1/2000 - Artscribe


Action, Word, Movement, Space

24. November 1999 bis 26. März 2000
Galerie der Stadt Prag in der Städtischen Bibliothek / Prag

Text: Marion von Osten


Retrospektiven über künstlerische Avantgarden der frühen sechziger Jahre wie Fluxus, Happening, utopische Architektur, experimentelle Poesie oder Kinetische Skulptur sind in Westeuropa und den Vereinigten Staaten keine Seltenheit. Auffallend an der Ausstellung »Action, Word, Movement, Space« ist daher nicht nur, dass sie die Leerstellen der westlichen Rezeption von slowakischen und tschechischen Tendenzen dieser Periode sichtbar und für die ausgehenden neunziger Jahre nutzbar zu machen versucht, sondern dass diese Rekonstruktionsarbeit in Mittelosteuropa bislang noch nicht stattgefunden hat. Das KuratorInnenteam, Vit Havranek für bildende Kunst, Petr Kofron für Neue Musik, Ludmila Hajkova und Rotislav Svacha für den Ausstellungsteil zu Architektur, hat somit Pionierarbeit geleistet.

Dass die grenzüberschreitenden Arbeiten von EinzelkünstlerInnen und Kollektiven der Sechziger in der Slowakei und in Tschechien weder von der lokalen kunsthistorischen Rezeption noch von zeitgenössischen KünstlerInnen aufgegriffen wurden, begründet Vit Havranek mit den »Normalisierungsprozessen«, die ab Beginn der siebziger Jahre als Reaktion auf den »Prager Frühling« einsetzten. Ein Effekt der damit verbundenen politischen und kulturellen Kontrolle war, dass eine entsprechende Deutungsarbeit, wie sie im Westen stattfinden konnte, nicht existiert. Auch wenn einige KünstlerInnen über die Fluxusbewegung Beachtung fanden, galt dies vergleichsweise wenig in der Tschechoslowakei.

»Action, Word, Movement, Space« setzt bei dieser unterbrochenen Reflexion an. Ausgangspunkt der Ausstellung ist ein »Re-Reading« von theoretischen Arbeiten zu »experimenteller Kunst« (»word, letter, action, voice«, 1966) von Josef Hirsal und Bohumila Grögerova und anderen Originaldokumenten. Für die Konzeption der Ausstellung wurden aber auch die gesellschaftspolitischen Einflüsse, die neue Technologien und Massenkommunikationsmittel im Staatssozialismus auf kulturelle Ausdrucksformen hatten, ebenso wie neue, nicht-materialistische Lebensformen mitreflektiert. Diese sozialgeschichtliche Verortung ermöglichte es den KuratorInnen, unterschiedliche künstlerische, popkulturelle und architekturhistorische Phänomene der sechziger Jahre nebeneinander zu stellen. Für westkunstgeschulte BetrachterInnen ist die aus diesen Vorgaben resultierende Dramaturgie der Ausstellung durchaus ungewöhnlich. Auch wenn die unterschiedlichen Teilbereiche - Action, Word, Movement, Space - raumzeitlich organisiert sind, so verwirren gerade die Parallelisierungen und Abfolgen. So wird beispielweise im Eingangsbereich eine frühe Arbeit der feministischen Künstlerin Jana Zelibská neben die multimedialen Live-Acts der Prager Popgruppen The Plastic People Of The Universe und The Primitives gestellt, die sich vor allem an The Velvet Underground und psychedelischem Rock orientierten. Dass diese Gruppen, wie man im Katalog erfahren kann, mit dem vom Aktionskünstler Milan Knizak gegründeten Kollektiv »Actual« in engem Kontakt standen, erklärte aber noch nicht den Querverweis auf eine feministische Arbeit zur Blickkonstruktion. Mutmaßen läst sich, dass die performativen und lebensweltlichen Aspekte dieser Produktionen als vorrangiges Kriterium der Inszenierung gegolten haben. Gleich nach diesem Eingangszenario werden die BesucherInnen mit techno-utopischen Architekturentwürfen konfrontiert, darauf folgend mit einer Arbeit von Yves Klein. Dieses ungewöhnliche Ordnungssystem, das sich durch die ganze Ausstellung zieht, ermöglicht aber, diese nicht nur als Ausgrabungsarbeit von Artefakten zu begreifen. Neben der gesellschaftspolitischen Situiertheit vor 1968 verdeutlicht sie vor allem auch die Simultaneität und die Dynamik dieser unterschiedlichen, aber sich gegenseitig beeinflussenden Ansätze.

Ähnlich überraschend sind die Referenzen zur Westkunst. Die Auswahlkriterien lassen sich durch die Logik der »Internationalität« nicht erklären. Die Ausstellung stellt nur zu jenen Westpositionen Bezüge her, die die lokale Avantgardeszene tatsächlich beeinflussen konnten, da die jeweiligen KünstlerInnen zu Gast bei einer Veranstaltung oder in einer Ausstellung vertreten waren, oder durch den Kontakt mit einer lokalen KünstlerIn in der Tschechoslowakei bekannt wurden. So unterläuft »Action, Word, Movement, Space« jegliche Anbiederung an die Kohärenz westlich zentrierter Geschichtsschreibungen. Die Beunruhigung, die durch dieses Cross-Reading der sechziger Jahre und deren lokaler Verortung entsteht, macht die Ausstellung äußerst sehenswert.