Heft 2/2001 - Du bist die Welt


Grüße aus Wien

Über die Wiener Künstlerin Ines Doujak und ihre Arbeiten zur visuellen Ideologie des Rassismus, zu weiblicher Sexualität und von Minderheiten

Roger M. Buergel, Hedwig Saxenhuber


Denkmuster, in denen Identität und Ortsverbundenheit, Entwurzeltsein und Migration zwangsläufig verbunden sind, führen in einer Welt, die wesentlich von Übergängen, Fusionen, Auflösungen und Neuschöpfungen gekennzeichnet ist, zu Aporien und zu falschen politischen Entscheidungen. Eine künstlerische Hinwendung zum Phänomen Migration kommt nicht umhin, sich über die Macht solcher Denkmuster klar zu werden und die »symbolische Praxis« der Migrationsdiskurse wahrzunehmen.
Ines Doujak arbeitet seit nunmehr zwei Jahren in ihren Bildproduktionen über die Phänomene von ethnischen Identitätskonstruktionen und Rassismus. Und zwar als Künstlerin, die die Macht solcher Denkmuster anhand von Bildern analysiert und erforscht, über sie Kommunikationen herstellt und mit ihnen analytische Modelle zur Untersuchung dieser komplexen Strukturen schafft.
Für die Ausstellung »The Subject and Power (the lyrical voice)« im CHA Moskau (2001) entwarf Ines Doujak zwei Arbeiten, die ihr allgemeines Interesse an modernen Regierungstechniken, aber auch ihr besonderes Interesse an feministischer Politik belegen. Die eine Arbeit »Russia is a White Country« zitiert einen Text aus der Los Angeles Times, deren Moskauer Korrespondent über den Erfolg der antisemitischen Thesen des ehemaligen Ku-Klux-Klan-Führers David Duke in Russland berichtet. Um diesen Text gruppiert Doujak eine Fotoserie, die einen Laiendarsteller in der Aufmachung eines orthodoxen Juden zeigt. Er posiert wahlweise im Kunstlicht einer Diskothek oder als mit einem Ei im Mund zur Sprachlosigkeit verdammt oder als Exhibitionist, der seinen Penis durch ein großes Foto schiebt. Im Zentrum dieser Arbeit scheint eine eigenartige Verschiebung zu stehen. Das Konzept der »Whiteness« militanter Rassisten in den USA wird mit dem virulenten Antisemitismus in Russland überblendet: als seien die »Akzeptabilitätsbedingungen des Tötens in einer Normalisierungsgesellschaft« – um Michel Foucaults Rassismusdefinition zu zitieren – kulturell unspezifisch. Als könnte sich Rassismus nicht nur an alle Markierungen von Andersheit haften, sondern zwischen diesen Markierungen, die hier als Maskerade inszeniert sind, zirkulieren. Der haarsträubenden Mobilität diskriminierender Zuschreibungen, mit deren Hilfe moderne Gesellschaften fragmentiert und regiert werden, begegnet Doujak mit einem System von Modulen: ehemalige Schuhkartons, die hier weniger als Sammelbehältnisse eingesetzt sind denn als Bausteine eines betont angstlosen Gegendiskurses. Die minimalistische Formengrammatik übernimmt Doujak auch für eine Serie von 24 aufkaschierten Fotos, die drei Frauen in einem offenen, engen »white cube« beobachten. Der Kamerablick von oben imitiert den panoptischen Blick, der die Subjekte dazu anhält, ihre totale Sichtbarkeit zu verinnerlichen und sich ohne äußeren Zwang gemäß den Regeln der Normalisierungsgesellschaft zu verhalten. Dieses Überwachungsszenario bestimmt nicht nur in immer höherem Maße den öffentlichen Raum westlicher Gesellschaften, sondern findet auch populistische Akzeptanz, insofern es in TV-Formaten wie »Big Brother« den kollektiven Sadismus entmächtigter Subjekte befriedigt. Auch in Doujaks Sequenz bekommen wir eine Erzählung geboten, die wir einsehen können: einen Diskurs weiblicher Körper, die sich ihrer Kleidung entledigen, diese ordentlich an die dafür angebrachten Haken hängen und sich in verschiedenen Anordnungen zueinander gruppieren. Es wird aber schnell klar, dass sich diese Vorstellung unserer Imagination und Kontrolle entzieht, dass wir uns keinen Reim auf die perfekte Äußerlichkeit der Interaktion der drei Frauen machen können. Denkt man an die Gewalt, die undisziplinierte Körper und Seelen erfahren, entpuppt sich der »white cube« ganz modernistisch als Plädoyer für autonome Räume.
In Doujaks Beitrag für das Projekt »Erlauf erinnert sich …« im Sommer 2000 ging es sowohl um die historische als auch um gegenwärtige kulturelle Untersuchung einer autochtonen Minderheit, nämlich der Kärntner Slowenen. Schließlich waren es kleine, sprachlich, kulturell und lokal deutlich abgegrenzte Gesellschaften, deren Untersuchung die Ethnologie ihre wissenschaftliche Identität verdankt. Selbst mit dieser Problematik als Kind konfrontiert, sah sie, wie diese Volksgruppe Adressat von Feindbildern geworden ist. Noch heute praktizieren deutschnationale Gruppen psychologisch-strukturelle Gewalt mit dem Ziel der Auslöschung des slowenischen kulturellen Bewusstseins. Im Schaukasten vor der Raiffeisenkasse in Erlauf zeigte sie während der Sommermonate vier wechselnde Inszenierungen: eine davon Doma/Daheim – Izgini/Verschwind, plakativ – auf rotem und blauem Hintergrund – verbunden durch einen zweisprachigen Text über Konstruktion von Mehr- und Minderheiten. Assoziationen zwischen dem Blut- und Bodenmythos der nationalistischen Vergangenheit und der Suche nach der permanenten Lokalität einer Gefühlsstruktur, die Heimat bedeuten könnte, öffneten sich. Seit der Geburt »nationaler Identität« wird für die Ehre der Nation, entlang jener unsichtbaren Markierungen in der Landschaft, gekämpft, Blut vergossen und gestorben. Dieses komplexe Thema wird in der zweiten Inszenierung verhandelt. Slowenische Zeitzeugen schildern ihre Vertreibungen von den Höfen und erzählen vom Widerstand, illustriert durch sentimentale Landschaftsaquarelle, die sie beide in einem Buch fand. Die dritte Inszenierung widmete sie sich der Gegenwart sowie der Kunstgeschichte. Es war gerade zu jenem Zeitpunkt, als die Slowenen die »Ehre der Nation« retten konnten und Österreich einen vorbildlichen Umgang mit den Minderheiten gegenüber der EU praktizieren sollte. Mark Tanseys metaphorisches Bild, die Übermalung des eigenen Schattens mochte für ein Verständnis stehen, das sich seiner eigenen Vergangenheit beraubt, seiner eigenen Erinnerungen. »Dobrodosli/Willkommen daheim/Welcome at home« – die vierte Installation im Schaukasten – bestand aus einer Backanleitung für eine Torte in 27 fotografischen Schritten, unterlegt mit einem Text von Stuart Hall. In dieser »bildhaften Theorie« ergaben sich schlüssige Kombinationen und neue Bedeutungsmuster über Identität und Ortsverbundenheit, Entwurzeltsein und Migration. Neben diesen visuellen Arrangements organisierte Doujak eine Veranstaltung unter dem Titel »Heimatabend«. Sie zeigte ein Video, in dem überlebende Frauen des Konzentrationslagers Ravensbrück ihre Geschichte erzählen. Daneben war eine Zeitzeugin eingeladen, die unmittelbar ihre Erinnerungen als Kind von Vertriebenen, vom Lagerleben, vom Autoritätsverlust der Eltern vortrug und davon, dass es ihr erst seit kurzer Zeit möglich ist, darüber zu sprechen.
Das Plakat-Projekt »Lick before you look« von Ines Doujak in Kooperation mit Marth ist als visuelle Analyse von sexuellen Praktiken konzipiert. Alle vier Monate erschien ein neues, doppelt bedrucktes Plakat im Abonnement. Die ErwerberInnen kannten nur den Titel und konnten erahnen, auf was sie sich einließen. Doujaks und Marths Ambitionen sind es, die Stereotypien der »normalen« Heterosexualität aufzubrechen und lustvolle, sich der Norm widersetzende Bilder zu schaffen, die außerhalb der gesellschaftlichen Ordnungsmuster von Geschlecht und Sexualität stehen.
In Doujaks künstlerischem Werk sind zwei Stränge zu bemerken: einer, der sich explizit mit politischen Fragestellungen, dem Zustandekommen von Vorurteilen und Klischees und der Untersuchung von Bildpolitiken befasst, und ein zweiter, in dem es darum geht, gegen konventionelle Frauenbilder neu gefasste, starke, lustvolle Bilder von Frauen zu zeigen wie beispielsweise im Zyklus »Dirty Old Women«.
»Grüße aus Wien«, Doujaks jüngste Arbeit, befasst sich mit dem Konzept des Rassismus als primär visueller Ideologie und visueller Kultur, welche »Rasse« als bedeutungsvolle Kategorie herstellt und ästhetisiert. Ausgehend von den Diskriminierungen von Schwarzen und der begleitenden Hetze in den Medien in Wien hat sich im Tod des bei seiner Abschiebung erstickten Asylbewerbers Markus Omofuma auch eine sichtbare Bewegung entfacht, die von einem Radio, einem Netzwerk und einer Zeitung begleitet wird. Durch die Etablierung des neoliberalen Systems und der damit verbundenen sozialen Verschiebungen und Umverteilungen werden Konflikte auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen übertragen, die in erster Linie den rassistischen Blick vor Ort gegen afrikanische Männer gelenkt hat. Dies ist die Vorgeschichte für die Installation und Performance im Rahmen des Festivals »Du bist die Welt«.1 Doujaks Veränderungsambitionen im Feld der Bild- und Textproduktionen sind nicht Ausdruck eines unbändigen Spieltriebs; sie folgen dem Drang, in die gesellschaftlichen Bilder einzugreifen und Klischees vorzuführen. Eng mit der Werbeästhetik verbunden, fotografiert sie schwarze Männer, die ihr Modell stehen, sitzen, lehnen. Die Künstlerin ästhetisiert sie als Subjekte, um das Trauma des Opfers nicht sichtbar zu machen und erotisiert ihr Verhalten anhand von gelenkten Bildern, funktionalisiert sie, um ein Abbild der sozialen Wirklichkeit zu schaffen. Sie zeigt an den Posen die Vorurteile und Fantasien, die sich an die Hautfarbe von Menschen knüpfen. Sie transformiert die Bilder rassistischer Strategien in verschiedenen Formate, in einer großflächigen Wandinszenierung und in am Boden liegende Objekte. Und mit fünf Kartenverkäufern bei der Eröffnung.

 

 

1 »Grüße aus Wien« von Ines Doujak ist vom 1. Juni bis 24. Juni 2001 im Künstlerhaus Wien im Rahmen des Wiener Festwochen-Projekts »Du bist die Welt« zu sehen