Heft 3/2001 - Artscribe


Georges Adéagbo: Das Pythagoreische Zeitalter

11. August 2001 bis 7. Oktober 2001
Galerie im Taxispalais / Innsbruck

Text: Christian Kravagna


Das Verhältnis der westlichen Kunstwelt zur afrikanischen Gegenwartskunst ist dabei, in seine dritte Phase zu treten. Nachdem die konsequente Ignoranz im Laufe der neunziger Jahren vom Modell der gut gemeinten, häufig aber paternalistisch und exotisierend verfahrenden »inclusive art exhibition« ersetzt wurde, zeichnet sich nun eine beruhigtere Ausstellungspraxis ab, die an bestimmten Problemstellungen und einzelnen KünstlerInnen interessiert ist, ohne sie von vorneherein unter Kriterien der Differenz zu handeln. Der in Cotonou (Benin) lebende Georges Adéagbo ist eines der besten Beispiele für ein neuerdings möglich gewordenes emanzipiertes Agieren afrikanischer KünstlerInnen im internationalen Kunstbetrieb. In Adéagbos Fall dürfte dies auch durch die situationsbezogene und selbstreflexive Methodik seiner Arbeit begünstigt sein, die es nicht erlaubt, ein künstlerisches Produkt unter einem bestimmten Etikett zu vermarkten. Adéagbo-Ausstellungen setzen die persönliche Anwesenheit des Künstlers zum Zweck der Recherche vor Ort und der installativen Verknüpfung hier gesammelter Materialien mit Auszügen aus jenem Grundrepertoire voraus, das Adéagbo im Laufe einer langjährigen Praxis des Sammelns und Arrangierens erarbeitet hat. Die Macht der (westlichen) Händler, Sammler und KuratorInnen in Bezug auf die Beschreibung, Definition und Darstellung des »Afrikanischen«, deren Verzerrungen so oft von den betroffenen ProduzentInnen beklagt werden, lässt sich durch eine Praxis relativieren, in der der Künstler selbst Funktionen des Sammelns, des Interpretierens von Objekten und Situationen übernimmt und – wie Adéagbo – zum Auftraggeber für Dritte wird. In diesen methodischen Zügen schlagen sich aber auch inhaltliche Fragen nieder, die über Verschiebungen im Repräsentationsge füge postkolonialer Kunst hinausgehen und sich auf Geschichte und Gegenwart interkultureller Wahrnehmung erstrecken. So bezieht sich ein Großteil der von Adéagbo für verschiedene Projekte in Evidenz gehaltenen Materialien auf westliche Afrika-Bilder in Wissenschaft, Kunst und Massenkultur. Diese werden in den Installationen mit jenen Dokumenten gemischt, die sich Adéagbos quasi kulturanthropologischen Forschungen am Ort der Ausstellung verdanken. Im Innsbrucker Fall sind das etwa antiquarische Bücher über die »Sitten der Völker«, das »Wilde Afrika«, Bildbände über »ferne Länder« etc., die mit Tirol-Büchern, einer Publikation über den »Deutschen Wald« oder alten Ausgaben des »Tiroler Bauernkalenders« konfrontiert werden und so eine parallele Sicht auf imperialistische Konstruktionen von Andersheit und ideologisch geladene Heimat-Versicherungen erlauben. Dass derartige Gegenüberstellungen bei Adéagbo nie offen didaktisch geraten, liegt an der Vielzahl und Diversität von Objekten, die einzelne konzentriertere Momente umgeben und diese in ein Spektrum möglicher Relationen fassen. Natürlich ist es an sich ein Punkt, als Afrikaner den ethnografischen Blick auf die Hansi-Hinterseer-Kultur zu richten und auf diese Weise den Reduktionismus der umgekehrten Perspektive bloßzustellen. Doch Adéagbo reduziert die Bilder und Objekte – Plattencover, Holzschnitzereien, Zeitungsartikel usw. – nicht auf die regional oder ethnisch gedeutete Achse kultureller Differenzen, sondern kreuzt diese mit solchen von High-and-Low-Differenzen innerhalb Mitteleuropas oder Westafrikas. So bildet die Geschichte des Sozialismus, als zentraler Emanzipationsbewegung von eineinhalb Jahrhunderten, die in Form kopierter Artikel die Mittelzone der Wände füllt, das Rückgrat dieser Ausstellung. Dieser »Mainstream« wird konterkariert sowohl von partikulareren Manifestationen politischer und kultureller Selbstermächtigung als auch von Dokumenten einer industriell hergestellten »Volkskultur«, die sich entweder als anti-emanzipatorische Gegenströmung oder aber als Kompensationsmoment für emotionale Leerstellen in den rationalistischen Gesellschaftskonzepten lesen lässt. Adéagbo lässt hier bewusst Interpretationsspielräume offen. Seine »Archäologie der Motivationen« – so der treffende Titel der zur Ausstellung erschienenen Publikation – fördert aus beinahe allen Schichten von Kultur und Gesellschaft Sedimente von Identifikationsbegehren und Phantasien der Grenzüberschreitung zutage, wobei die Grenzen zwischen relativ harmloser Idolatrie (Skifahrer, Musikanten) und politischen Führerkulten fließend erscheinen. Gelegentlich mögen auch die Grenzen zwischen Bezugsvielfalt und Zufälligkeit in Adéagbos Materialakkumulationen fließend erscheinen. Was dem entgegenwirkt, sind Verdichtungen, die immer wieder punktgenau bestimmte Widersprüche artikulieren, wie etwa dort, wo ein Artikel über eine von Abschiebung bedrohte nigerianische Flüchtlingsfamilie neben Ankündigungen diverser kultureller Afrika-Events in Österreich zu stehen kommt.