Heft 3/2002 - Artscribe


Atsuko Tanaka: Arbeiten aus der Gutai-Zeit

7. September 2002 bis 3. November 2002
Galerie im Taxispalais / Innsbruck

Text: Sønke Gau


»Manatsu no taiyo ni idomu yagi modan ato jikken ten - Experimentelle Freiluftausstellung Moderner Kunst zur Herausforderung der Sengenden Sonne des Hochsommers« hieß die erste von der Gutai-Gruppe organisierte Ausstellung, die 1955 im Pinienhain der Stadt Ashiya im Freien abgehalten wurde. Bereits diese frühe Aktion, in der ungewöhnliche Materialien wie Teerpappe, Zinkplatten und Plastiktüten mit bunt gefärbtem Wasser verwendet wurden, kündete von einer Radikalität, welche die Gruppe in den folgenden Jahren noch steigern sollte und ihre Aktivitäten im nachhinein zu einer der bedeutendsten Episoden der zeitgenössischen Kunst Japans machten. Als Mitglieder einer Bewegung, die in ihren Anfängen isoliert und ohne Austausch mit der internationalen Avantgarde war, entwickelten die Künstler und Künstlerinnen von Gutai Ausdrucksformen, welche die etablierten Kunstgattungen Malerei und Skulptur entscheidend erweiterten. Ermutigt durch die Lehren Jirõ Yoshiharas (»Schafft etwas, was vor euch noch nie jemand geschaffen hat« und »Hütet euch davor andere nachzuahmen«), der prägenden Persönlichkeit der Gruppe, entwickelte Gutai durch den innovativen Umgang mit Material und Aktionsformen eine Kunst, die sich unter anderem als direkter Vorläufer von Happening, Body- und Land Art bewerten lässt und in ihren radikalen konzeptuellen Ansätzen die wichtigsten Formulierungen der westlichen Nachkriegs-Avantgarde vorweggenommen hat. Atsuko Tanaka spannte auf der ersten Freiluftausstellung ein großes quadratisches Tuch aus rosafarbener Kunstseide mit einem schmalen blauen Rand knapp über dem Erdboden auf, so dass es sich im Wind leicht bewegen konnte. Diese Arbeit ist zur Zeit als Rekonstruktion im Rahmen der Ausstellung der Galerie im Taxispalais »Atsuko Tanaka - Arbeiten aus der Gutai Zeit« im Hofgarten von Innsbruck zu sehen.

Obwohl Tanaka nicht zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe gehörte und sich ihre Arbeiten nicht ohne weiteres ausschließlich unter Gutai-Kunst subsumieren lassen, zählt ihr »Elektrisches Kleid« neben Saburõ Murakamis Zerreißen von Papier und Kazuo Shiragas Kämpfen mit Schlamm zu den am meisten beachteten Werken von Gutai. Es handelt sich dabei um ein »Kleidungsstück«, das aus farbigen Neonröhren und Lampen besteht, die in Intervallen aufleuchten und wieder erlöschen. Tanaka, die das »Elektrische Kleid« selbst in mehreren Performances getragen hat, geht es in diesem Fall weniger um das konkrete Material als vielmehr um die Rolle von Kleidung als symbolischer Markierung. Indem sie die Aufmerksamkeit auf das Bild des Lichtes lenkt, thematisiert sie das Verhältnis von Blicken, Körpern, Repräsentationen und den daraus resultierenden Blickregimen. Die Künstlerin inszeniert das Subjekt als Oberfläche und unterläuft trotzdem die konventionellen Sehgewohnheiten, indem sie durch einen Prozess des permanenten Wandels eine Fokussierung verhindert.

Während der Aufführung von »Stage Clothes«, die in Innsbruck als Videodokumentation zu sehen ist, wechselt Tanaka in rascher Folge verschiedene Kostüme. Die Veränderung am Bild des Körpers ist keiner Regelmäßigkeit unterworfen und wird durch das Blinken der Lichter des »Elektrischen Kleids« noch übertroffen. Diese frühen Arbeiten antizipieren bereits feministische Fragestellungen nach dem Verhältnis von Subjekt und Objekt und formulieren eine Repräsentationskritik, welche erst in den siebziger Jahren von Künstlerinnen in den USA und Europa verstärkt thematisiert werden sollte. In diesem Zusammenhang unterscheidet sich Tanakas Ansatz wesentlich von den Werken anderer Mitglieder der Gutai-Gruppe, die weniger sozialkritische Aspekte beinhalteten, sondern eher als ästhetisches Statement gedacht waren und legitimiert eine Einzelausstellung, die den historischen Kontext zwar aufzeigt, aber auch den eigenständigen Wert von Tanakas Werk als autonome Position hervorhebt.