Heft 4/2002 - Netzteil


Get Garlic. Go Wireless.

Über das Projekt »Str(e)aming the Fields«, das im Rahmen der Veranstaltung »Urban Drift 2002« in Berlin präsentiert wurde

Julia Gwendolyn Schneider


»Garlic = Rich Air«1, die zweite und dritte Phase von Shu Lea Cheangs »Str(e)aming the Fields«-Projekt, fand von 27. bis 29. September 2002 in New York City als öffentliches Netzwerkprojekt statt. Während Cheang ihr Kunstprojekt bei der Konferenz der NAMAC (National Alliance for Media Art and Culture) in Seattle vor allem vor Institutionen der US-amerikanischen Medienkultur präsentierte, sprach sie bei »Urban Drift«2 in einem internationalen Kontext von mobiler Architektur und drahtlosen Netzwerken: »Es war ziemlich interessant, 'Garlic = Rich Air' bei dieser transdisziplinären Veranstaltung einem breiten Publikum vorzustellen und es sowohl als urbane Intervention als auch in Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von freien Netzwerken zu diskutieren.«

Innerhalb der Debatte um Urbanismus und mobile Technologien setzt Cheangs Projekt - wie »Urban Drift« - nach dem Crash an. Mobilität und Flexibilität werden vor dem Hintergrund der jüngsten Enttäuschungen über die New Economy und die derzeitige Rezession nicht länger gehyped, sondern kritisch diskutiert. In einem fiktiven Post-Crash-Szenarium wählt »Str(e)aming the Fields« Knoblauch als ein neues soziales Zahlungsmittel. Die neue Währung kann auf der Website von »Garlic = Rich Air« gegen Funkwellen, Bandbreite, Pixel und Bytes eingetauscht werden und kopiert dabei das alternative Marktmodell von Argentiniens »El club del Trueque«. Dieser »Club of Exchange« hat ein inoffizielles Handelsnetzwerk entwickelt, das als Alternative zum brutal geschwächten Peso »creditos« als Werteinheiten benutzt. Der virtuelle Trueque Club von »Garlic = Rich Air« verwendet in Anlehnung daran virtuelle Knoblauch-Creditos. »Im Internet ist Tauschwirtschaft nichts Ungewöhnliches, Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen stoßen aufeinander und tauschen Files aus, ohne dass jemand Geld in die Hand nimmt«, erklärt Cheang. Sie hat deshalb Knoblauch als eine wertvolle Kapitalanlage für zukünftige unabhängige Medienmärkte gewählt, die nicht auf Kauf, sondern auf Tausch basieren. »Als nomadische Medienkünstlerin lebe ich selber sehr stark nach diesem Prinzip. Natürlich ist es wichtig, etwas zurückzubekommen, doch das muss nicht Geld sein.«

Aber auch eine alternative Währung braucht ihre Goldgrube. Die Münzen für »Garlic = Rich Air« wurden in Upstate New York auf Tovey Hallecks organischer Farm über viele Jahre großgezogen. Ende Juli 2002 fand hier zusammen mit einer Gruppe von KünstlerInnen und Medienleuten die große Ernte von 10.000 Knoblauchpflanzen statt. Dabei hat Knoblauch tatsächlich ein gutes Investmentpotenzial, jede einzelne Zehe multipliziert sich in der Folgegeneration. Für Shu Lea Cheang war es außerdem wichtig, eine Verbindung zwischen dem »media field« und dem »green field« zu erzeugen. Nicht nur, weil sie den »Challenge to the Field«-Preis des Lyn Blumenthal Memorial Fund for Independent Media erhielt, sondern weil sie findet, dass die Medienleute generell mehr aus ihren Studios herauskommen sollten.

Im September machte sich ein großer orangefarbener Lastwagen, beladen mit Knoblauch und ausgestattet mit dem Equipment für einen drahtlosen Netzwerkzugang, auf den Weg nach New York City. In dieser dritten Phase konnten die virtuellen Creditos gegen essbaren Knoblauch eingetauscht werden. Der Truck diente dabei als mobiler urbaner Marktstand und sorgte für die Verbindung zwischen alternativer Ökonomie und alternativen Netzwerken. Er sollte als eine Anregung zum Nachdenken über die Beziehung von Kommerz und drahtlosen Netzwerken verstanden werden.

Bei »Urban Drift« wies Pit Schulz vom Bootlab auf den »UMTS-Schwindel« hin und lobte dafür die WLAN-Technik (Wireless Local Area Network), die lange Zeit von der Industrie ignoriert worden ist und sich unabhängig entwickelt hat. »Innerhalb der WLAN-Bewegung geht es darum, einen Teil der Bandbreite zu teilen und einfach zu schauen, was die Öffentlichkeit damit machen kann. Dies ist eine Möglichkeit, sich eigene Freiräume zu bewahren oder neue zu schaffen. Die Kosten werden geteilt und stark reduziert, außerdem ist man von den Restriktionen von AOL und der Telekom befreit.« WLAN schafft lokale Funknetzknoten, mit denen sich ein unabhängiges lokales Netzwerk errichten lässt, das auch Zugriff auf das Internet hat.

In diesem Sinne mobilisierte bei »Garlic = Rich Air« Craig Plunketts Funk-Ausstattung an verschiedenen Stellen in New York City lokale WLAN-Knoten, die im Jargon »Hotspots« genannt werden. »Genau wie bei den urbanen Wireless-Bewegungen wie NYCwireless3 oder consume.net4 in London geht es auch bei dem Knoblauchprojekt darum, den digitalen Raum als Gemeinschaftsraum zu begreifen, in dem man Dinge tauscht«, findet Cheang. Aber nicht nur der digitale Raum ist Gemeinschaftsraum, sondern auch der öffentliche, und so sind Cheangs Meinung nach drahtlose Netzwerkknoten gut mit Gemüseständen an der Straße vergleichbar. »Sie sind unsere lokalen Netzwerke, die zur Bildung eines organisch von unten aufgebauten Internet führen könnten.«

»Str(e)aming the Fields« weist mit seinem »after the crash«-Szenario auf eine Bewegung hin, die in den letzten Jahren die klassische Idee der freien Bürgernetze mit der Technologie für Wireless Local Area Networks (WLAN) zu verwirklichen versucht. Den drahtlosen Datenspaß ermöglicht dabei der so genannte IEEE 802.11b Standard, eine lizenzfreie Technik, die frei genutzt werden kann, um auf einer Frequenz von 2,4 Gigahertz Daten mit Geschwindigkeiten von bis zu 11 Mbits zu übertragen. Heute existieren weltweit zahlreiche solcher Freenetwork-Projekte.5

Anders als das Internet rücken die drahtlosen Netze durch ihre beschränkte Sende-Reichweite lokale Aspekte in den Vordergrund. Der Lastwagen von Cheangs Knoblauch-Gemeinde brachte so nicht nur die Leute, die zuvor online gehandelt hatten, zusammen, um ihre virtuellen Creditos gegen essbaren Knoblauch zu tauschen, es wurde vielmehr auch die lokale Community mit in den Handel einbezogen. Ein Junge in Harlem wollte zum Beispiel unbedingt seinen Kaugummi gegen Knoblauch tauschen. Rund um die New York Stock Exchange waren die Sicherheitskontrollen dagegen so streng, dass der Knoblauch-Transporter nicht weiter vorgelassen wurde. Zu Fuß gelang es dem Performancekünstler Reverend Billy6 aber trotzdem, sich gegenüber dem Stock Exchange Market zu positionieren und zum Tausch von Dollarnoten gegen Knoblauchzehen aufzurufen. »Die Polizei schickte uns zwar weg, aber uns war eine gute Intervention gelungen«, meint Cheang.

Für die Zukunft ist eine Fortsetzung des Online- und Offline-Handels von »Garlic = Rich Air« geplant. »Es wäre schön, mit dem Knoblauch-Truck auch im Hinterland von New York regionale Medienzentren zu bereisen und lokale drahtlose Netzwerke in diesen ländlichen Gegenden zu etablieren.« Diese lokalen Netze können zwar wahrscheinlich keinen Ersatz für die Netze kommerzieller Betreiber und die große Masse der UserInnen bilden, sie sind aber ein Beispiel für eine nachhaltige Strategie der Vernetzung, die Möglichkeiten von Selbstverwaltung, Selbstorganisation und Ermächtigung verwirklichen helfen soll. Solange das Schlupfloch, das Graswurzelnetzwerke begünstigt, noch offen ist, sollte es auch genutzt werden.