Heft 1/2003 - Artscribe


VALIE EXPORT: Mediale Anagramme

18. Januar 2003 bis 9. März 2003
NGBK – Realismusstudio in der Akademie der Künste / Berlin

Text: Nanna Lüth


Ein »Proselyt« verstellt den Weg. Dieser 1969 von VALIE EXPORT skizzierte Angriff auf die Netzhaut wollte durch »panische Retinalstrahlung« die von der Farbwahrnehmung verblendeten BesucherInnen eines Kinos zur schwarzweißen Sicht auf die »Wahrheit des Lebens« vorbereiten. Solchermaßen eingestimmt und froh über das Skizzenstadium der »Neubekehrung« betrete ich die Ausstellung.

Die Ausstellung »Mediale Anagramme« – die erste große Retrospektive der feministischen Medienkünstlerin in Deutschland – ordnet ihre Arbeiten sechs diskursiven Feldern zu. Die gezeigten Fotografien, Filme, Installationen, Aktionen und Expanded Movies sind in so genannten Arenen organisiert, die von Arena 1 (»Dekonstruktion der Wahrnehmung«) über Arena 3 (»Geschlechterdifferenz und Weiblichkeitsbilder«) zu Arena 6 (»Technologie und Wirklichkeitsproduktion«) reichen. Diese kuratorische Entscheidung scheint nahe liegend angesichts des expansiven Mediengebrauchs, der für die Arbeitsweise der Künstlerin charakteristisch ist, und versucht – ganz im Sinn der Expanded Arts Bewegung –, der medialen Kategorisierung zu entkommen.

Eine großzügige Ausstellungsarchitektur erzeugt offene Kreuzungspunkte, an denen die BesucherInnen auf die »Gelenke« der Arenen treffen. An diesen zentralen Arbeiten der entsprechenden Themenkreise lässt sich, wie an fast jeder EXPORT-Arbeit, die Verschränkung aller Arenen ablesen. Auch der zur Ausstellung erschienene Katalog mit seinem gut dokumentierten Bildteil, theoretischen Beiträgen von VALIE EXPORT-KennerInnen und Faksimiles von Texten der Künstlerin vermittelt diesen Eindruck.

VALIE EXPORT plädiert in ihrem Text »Mediale Anagramme« für eine aktive Praxis der Bedeutungsverschiebungen. Ihre Herstellungen eigener Kunstkontexte verursachen komplexe soziale Situationen, die durchaus widersprüchliche Signale aussenden. Ihre Erfindung des Feministischen Aktionismus als Antwort auf die Misogynie der Wiener Aktionisten kann als politisch motivierte
Selbstermächtigung begriffen werden. Diese Produktion eines diskursiven Umfelds für ihre eigene künstlerische Arbeit wirkte positiv wie negativ zurück, einerseits als wertvolle Einschreibung in einen bereits anerkannten Kunstzusammenhang, andererseits als Stigmatisierung durch ihre selbst gewählte Etikettierung als Feministin.

Auch bei ihrer Umbenennung in VALIE EXPORT 1967 agierte sie auf verschiedenen Bedeutungsebenen. In Reaktion auf die fehlende Anerkennung ihres Einsatzes für einen erweiterten Kunstbegriff in Österreich erklärte sie sich zum »EXPORT«-Artikel, wobei der Export, die Externalisierung der inneren Vorgänge, gleichzeitig künstlerisches Programm war.

Sie exportiert. Exportiert Text. VALIE EXPORT kümmert sich um die Kommunikation ihrer Ideen. Konzeptpapiere, Notizen, Projektbeschreibungen erläutern die Arbeiten. Im Sinne einer autonomen Bedeutungsproduktion geben ihre Kommentare und Titel Lesarten vor, die sich auf konkrete Zeichen, Gesten, Gegenstände in Bildern und Aktionen beziehen, die Rezeption produktiv verkomplizieren und so einen assoziativ-reflexiven Produktionsprozess nachvollziehbar machen.

»Adjungierte Dislokationen«, Expanded Movie 1973: Drei Projektoren werfen das Bild einer jungen VALIE EXPORT mit zwei an Brust und Rücken geschnallten Super-8-Kameras simultan mit den sich aus ihren Bewegungen ergebenden Filmbildern von Stadt- und Landlandschaft an die Wand. Der Wechsel zwischen Natur und Kultur geschieht unvermittelt, erzeugt – wie die Kamerawackler – Brüche im strengen Korsett einer männlich besetzten Konzeptkunst.

VALIE EXPORTs Konzept zu »Adjungierte Dislokationen« notiert den »Körper als unsichtbare Achse«. Die methodischen Untersuchungen der filmischen oder fotografischen Parameter in VALIE EXPORTs frühen Arbeiten reflektieren neben dem Medium immer auch Standort, Bewegung und Sichtbarkeit der Produzentin und konstruieren eine »strikt auf den Körper und seine Ausdehnung, seine Ausrichtung, seine Bewegung bezogene Sicht«, wie Monika Faber 1997 schrieb.

Das Motiv des weiblichen Körpers durchkreuzt alle Arenen und klärt, dass die hier präsentierten Diskurse nur als offene, sich permanent in Brechung und Multiplikation befindliche Kodierungen gelten können. Die Dokumentation der »Body Sign Action«, bei der VALIE EXPORT sich ein Strumpfband auf ihren Schenkel tätowieren ließ, bildet den Eingang zu einer tatsächlichen, auch räumlichen Arena: dem Kampfplatz um die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen. Die radikale Zurschaustellung ihres Geschlechts in »Genitalpanik« und die destruktive Behandlung ihres Nagelbetts mit einem Teppichmesser in »Remote…Remote…« rahmen die Installation »Violation – Schnitte«.

In dieser Arbeit dokumentiert sie drastisch das Beschneidungsritual an einem weiblichen Säugling und die Konsequenzen eines solchen Eingriffs für die Physis und Psyche der betroffenen Frauen und deren Partnern. Damit stellt sich VALIE EXPORT in den Brennpunkt der feministischen Diskussion um die Einmischung westlicher Feministinnen in die Lebenssituationen von Frauen aus anderen Kulturkreisen. Die Frage nach der Legitimation dieser Repräsentation steht im Raum. Einem möglichen Vorwurf der emotionalen Ausbeutung (der »anderen«) steht jedoch VALIE EXPORTs konsequente Praxis der Veröffentlichung des eigenen Körpers, der eigenen Person, entgegen. Diese Arbeit entstand in der Folge einer intensiven Auseinandersetzung mit Markierungen, Wunden, Stigmata als äußeren Anzeichen psychosexueller Verletzungen. Sie gibt in kurzen, fast unerträglichen Momentaufnahmen wenig Gelegenheit zur intimen Zeugenschaft, vielmehr ermöglicht sie durch eine konsequente Übersetzung des Persönlichen ins Zeichenhafte Momente der Reflexion von Gewalt.

Reflexion ist der unsichtbare, aber unverzichtbare Motor der »Medialen Anagramme«. Vielleicht erklärt sich so der Satz »Die Hauptsache ist immer unsichtbar«, den ein grüner Laser bei Tageslicht kaum sichtbar an die Mauer des Lichthofs schreibt. Diese aktuelle Arbeit bleibt für einen Teil des Publikums wirklich unsichtbar.