Heft 2/2003 - Time for Action


Engagieren statt arrangieren…

Július Kollers erratische Arbeit an der Neukonzeption des ästhetischen Raumes 1960ff

Georg Schöllhammer


Anfang der 1960er Jahre war auch in den Kunstszenen Bratislavas ein hoffnungsfroher Geist des Modernismus eingezogen. Die Existenzängste während des stalinistischen Realismusdiktates wurden schon nach 1956 im extremen Subjektivismus tachistischer Malerei abreagiert. Und die Gruppen und Positionen, die jetzt entstanden, durften sich mit ihren kinetischen Objekten, Lichtarbeiten und ihrer struktural- geometrischen Abstraktion wieder in den internationalen Kanon des Modernismus aufgenommen fühlen. Im zweiten Nachkriegs-Dezennium hatte sich auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs eine Generation neo-konstruktivistischer KünstlerInnen zu einer Art Internationale formiert.1 Július Koller studierte 1959 bis 1965, in der Zeit dieses ersten Aufbruchs, bei Jan Zelibski Malerei an der konservativen Akademie der slowakischen Hauptstadt.

Schon als Student – er malte damals für sich homogene Stadtlandschaften, ins Konkrete gedrängte Raumanalysen – stand Július Koller den modernistischen Ordnungsprinzipien des politischen und kulturellen Aufbruchs in der CSSR Anfang der 60er Jahre kritisch gegenüber. Kollers Interesse galt nicht der abstrakten Konstruktion des Raumes, innerhalb dessen sich seine künstlerische Arbeit ausbreitete. Er fand vielmehr in den Denkansätzen der internationalen modernismuskritischen Avantgarden, bei Dada und Duchamp, im Nouveau Realisme und bei der Situationistischen Internationale Themen, von denen aus eine andere Position gedacht werden konnte. Gegen die zynischen technoiden Allmachtsfantasien des sozialistischen Staatsapparates und seiner Gestalter oder die gestalttherapeutischen Bestrebungen der modischen Modernisten war dem Individuum wieder die direkte Erfahrung der Realität des Kunstwerkes zurückzugeben. Von diesem Gedanken aus entwickelt Koller bis heute seine Position und ein Werk, das in seiner Stringenz, Obsession und Eigenart wohl eines der erratischsten und konsequentesten europäischer Gegenwartskunst zu nennen ist – am ehesten vielleicht noch mit dem Universum eines Marcel Broodthaers vergleichbar.

Koller stand mit seiner Ablehnung des modernistischen Pathos im Bratislava der 60er nicht allein. Eine Reihe thematischer, formaler oder inhaltlicher Korrespondenzen gab es etwa zu der Arbeit der Happsoc-Gruppe um Z. Kostrová, Stano Filko und Alexander Mlynárczyk, die ab 1964 eine lokal transformierte Form von Objekt-Happenings entwickelten. Die verschiedenen Stimuli – Pop, Flux, Nouveau Realisme, Dada – und die euphorische Idee, alles zur Kunst machen zu können, alles in das System Kunst einschließen zu können, fanden in der Arbeit des jungen Július Koller jedoch eine Reversion. 1965, im selben Jahr, in dem das Happsoc-Manifest erschien, publizierte Koller sein Manifest: »Antihappening (System of Subjective Objectivity)«: Im Gegensatz zum Happening, das ein »Weg ist, eine künstlerische Handlung in die Tat umzusetzen«, ziele das Antihappening auf eine »kulturelle Neuformierung des Subjektes, auf Bewusstheit, auf das Umfeld und die wirkliche Welt. Durch die Mittel der textuellen Bezeichnung (›making known‹) wird die kulturelle Grenzziehung Teil des kulturellen Kontexts«, heißt es in »Antihappening«.

Anti-Happening

In Kollers Manifest konterkariert ein performativer Akt der Bezeichnung – ein bewusster Akt der Subjektivierung durch eine Bezeichnung –, ein Akt der kulturellen Grenzziehung sozusagen auf der Ebene der Produktion, den Mythos von der Wiedergewinnung von Eigentlichkeit in theatraler Selbstvorführung, von Identitätsfindung in einem entgrenzenden psychodramatischen Akt, wie ihn die Protagonisten des aus dem Fluxus entwickelten Happening dachten. Aber nicht nur auf der Ebene ästhetischer Handlungen, sondern auch auf jener der Analyse des Statusdes Kunstwerkes als Objekt widerspricht Kollers Haltung den damals gängigen Vorstellungswelten.

Mit einer Formulierung, die man auch für die situationistische Internationale als bestimmend betrachten könnte, suggeriert Koller, dass die textuelle Existenz eines poetischen Impulses nicht das volle Potenzial seiner radikalen anti-hegemonialen Kraft entwickeln kann. Das Anti-Happening zeigt konzeptuelle Handlungen oder Objekte vor. Es präsentiert sie und schafft damit Situationen – kulturelle Situationen. Der performative Akt, den Koller mit seinen Vorzeigeoperationen setzt, denkt über Formen der funktionalen oder emotionalen Benutzung und Besetzung eines Ortes oder einer Situation nach. Jeder reale oder gedachte Betrachter kann sich zu der in diesem Bezeichnungsakt geschaffenen kulturellen Situation gleichsam gegenläufig verhalten, aber eben auch das Bezeichnen als eine Eigenschaft erfahren, welche die Identität seines kulturellen Körpers erst definiert.

Anti-Bilder, U.F.O. und U.F.O.naut

Diese Strategie erlaubt es Koller, die bezeichnende Operation universell auf verschiedene Medien auszudehnen: 1965 starten die Textarbeiten – gestempelt mit Kinderstempeln – auf Papier, die in verschiedenen Auflagen verteilt auf den Denkraum des Anti-Happenings hinweisen. Inspiriert wird diese Praxis von den Dadaisten und den Surrealisten, die Text und Collage extensiv in ihre Arbeit verwendeten, und von den Lettristen. Ab 1967/1968 entstehen auch die ersten Bilder, in denen Koller weiße Latexfarbe statt Ölfarbe verwendet und in denen erstmals das Fragezeichen auftaucht – das später in verschiedenen Medien und Aggregatzuständen immer wieder mutierte Symbol von Kollers Bezeichnungshaltungen. Diese Bilder heißen forthin Anti-Bilder. Koller verzichtet auf jede Form von technischer Meisterschaft. Die Anti-Bilder haben einen amateurhaften Duktus. Auf diese Weise sollen sie ihrer Aufgabe nachkommen zu »engagieren statt zu arrangieren«. Koller geht es nicht um reine Malerei, sondern um das Erarbeiten einer bildhaften, zeichenhaften Typologie des Textkörpers. Er reiht seriell Fragezeichen, oder Plus- und Minus-Symbole, oder Punkte und Ellipsen, die sich zu einem Fragezeichen schließen, schreibt das Wort »Realita« übereinander, oder die Formel »Illusionismu?«, später tauchen Wellenlinien, die Swastika, runenhafte Zeichen etc. auf.

1970, zwei Jahre nach der brutalen Zerschlagung derTräume von einem möglichen dritten Weg des Sozialismus in der CSSR durch die Panzer des Warschauer Pakts, führt Koller in einem weiteren Manifest ein neues dreibuchstabiges Begriffsfeld in sein Werk ein: »U.F.O.« In diesem Manifest, aus dem sich in den folgenden über 30 Jahren Kollers Hauptwerkgruppe »Universal-Cultural Futurological Operations« – U.F.O. – entwickeln wird, ist der realistische, anti-illusionistische Ansatz der Anti-Happenings und Anti-Bilder noch einmal unterstrichen. Seine Realisierungsmöglichkeiten werden jedoch in eine Zukunft verschoben und ironisch in eine Kosmologie des Ungewissen, der Pseudo-Wissenschaften von extraterrestrischen Flugobjekten eingebettet.2 Das Konzept U.F.O. sistiert somit jeden Zusammenhang von Kollers definitorischer, performativer Bezeichnungsarbeit mit der Passivität der gesellschaftlichen Verhältnisse in der CSSR der Normalisierungsjahre. Mit U.F.O. entsteht ein komplexer Verweis- und Beziehungsraum zwischen den Bezeichnungsakten und ihrer Möglichkeit zur Mutation. Das O. nimmt in den unterschiedlichen Arbeiten der folgenden Jahre die verschiedensten Namen an: Objekt, oder Ornament, oder Orientierung, oderObservation, oder Opustane Obrazu (Feigabe des Bildes), oder Otaznik (Fragezeichen) etc. etc.; das F. mutiert zu Funktional, zu Folkloristisch, zu Faktografisch, zu Filosofisch, zu Fantastisch, zu Flyer, usw.

Die universellen kulturellen Situationen, die U.F.O. bezeichnet, können zu typischen kulturellen Situationen, neuen kulturellen Situationen, fliegenden kulturellen Situationen, kultischen kulturellen Situationen, objektiven kulturellen Situationen werden. Universelle Funktionelle Expertisen sind denkbar. Die Figur des Autors tritt in U.F.O. ab 1970 (und bis heute) ebenfalls aus der Signatur in eine bildhafte Präsenz als »U.F.O.naut J.K.«.

1970 richtete Koller im Kabinett der »Galerie der Jungen« in Bratislava anstelle einer Ausstellung einen Monat lang einen Ping-Pong-Club ein, in dem die BesucherInnen spielen konnten. Wie andere Vorzeigemomente des Werkes, etwa das händische Einschreiben eines Fragezeichens ein Jahr früher auf dem Sandfeld eines Tennisplatzes und die Arbeit mit der Kreide und dem Linienmarkierwagen (Kontakt, 1969), war dieser Transformationsakt nicht als passive Repräsentation gedacht, sondern als aktive, die eine existenzielle Bewegung auslösen sollte – eine momenthafte existenzielle Kreativität, die sich in einer kulturellen Situation ausdrückte.

Auch das Pingpong-Monument (1970-72) gehört zu Kollers zahlreichen Arbeiten, in denen er sich Requisiten aus der Sportwelt bedient. Auf dieser Fotocollage streckt sich Kollers Hand mit einem Tischtennisschläger monumental vor die Silhouette einer modernistischen Trabantenstadt, als würde das Schwarze Loch, das die Form des Schlägers beschreibt, die Leerstelle nach dem Kongress des Verbands der Slowakischen Bildenden Künstler (ZSVU) vom November 1972 ankündigen, in dem eine Reihe von Kunstpraxen verboten wurden und auf dem de facto die Wieder-Etablierung des sozialistischen Realismus der 50er als Kunstdoktrin stattfand.

Kollers Re-Dekoration der slowakischen Holzhäuser mitFragezeichen, auf einer Fotocollage von 1978 – mit der ein touristisches Nationalsymbol der CSSR der 70er zum Universalen Folkloristischen Objekt wird –, reagiert direkt. Und erneut mit einem performativen Akt. Zunehmend tauchen in diesen Jahren auf den Textarbeiten neben den Fragezeichen und der Negation »NIE« (Kunst: umenie wird zu umeNie oder nevermore) auch Unendlichkeits- symbole auf. Unendliche Ränder von Möbiusbändern, rund, in Schleifen oder zu einem Dreieck gedrückt, Spiralen und Ying-Yangs stellen U.F.O. noch nachdrücklicher als eine auf sich selbst zurückweisende Operation des Bezeichnens dar. Koller führt performative Balanceakte auf, Eingrenzungen, »Nivellierungen«, in denen er z. B. seinen Körper dem Maß von Vermessungsmarken an Häusern der Altstadt von Bratislava unterordnet. Ein Kind und der Künstler stehen mit wie zum Fliegen ausgebreiteten Händen als poetischer Anti-Ikarus auf einem Hügel vor einer Schule in Bratislava.

Fehlstelle Kunstgeschichte

Wie so vieles in der Kunst der späten 60er und der 70er Jahre nicht in die vom Kanon bereitgestellten Kategorien passt, muss auch die Arbeit Július Kollers von heute aus gesehen neu interpretiert werden. Die etablierten kritischen Kategorien, die rund um Post-Minimalismus, Konzept-, Land-Art und Prozess-Kunst entwickelt sind, greifen für sie kaum. Schon 1991 hat Aurel Hrabusicky in einem Katalogessay anlässlich einer Koller-Personale in der Povazkagalerie von Ziline, mit der die nachkommunistische Neuentdeckung von Kollers Werk einsetzte, festgehalten, dass sich in Bezug auf die facettenreiche Praxis Kollers nicht von Konzeptualismus reden lässt, sondern von einer kontextuellen,
in vielerlei Bezüge eingewobenen, gebrochenen ästhetischen Praxis, die diesseits wie jenseits des damaligen Eisernen Vorhangs kaum eine Entsprechung hatte.

Kollers Gebrauch des Universalen als Metapher für dasReale, sein Überspringen des lokalen Idiolektes, der lokalen Variationen universalistischer Gestaltfiguren des späten Modernismus, wie es körperbetontes Happening, abstrakte Malerei, Kinetismus und geometrische Abstraktion waren, gründete in einer Idee der Transparenz des ästhetischen Aktes als reines Ereignis. Indem er sich auf diese Transparenz des performativen Aktes beruft – und auf eine einfache Möglichkeit der Transformation wie zum Beispiel im Tischtennisturnier oder anderen Sportarbeiten –, erkundet Koller, nicht unähnlich KünstlerInnen seiner Generation in den 1960ern auf der anderen Seite der bipolaren Welt, die Möglichkeiten einer radikalen Transformation der Werkidee weg vom Objekt hin zur Spur einer Handlung oder einer Handlungsanweisung. Die Arbeiten ab Mitte der 60er Jahre, die Antibilder, die »Textextiles« oder die U.F.O.s Anfang der 70er definierten die ästhetische Erfahrung neu, als eine Vielzahl nicht spezialisierter Formen der Annäherung an die Frage: Was ist denn wirklich und authentisch »modern«?

Nach 1972 wirken Kollers Aktionen melancholischer. Doch auch sie schaffen sehr rigorose Situationen. Kollers vorgebliche Fiktionen verlassen die konventionellen Genres illusionistischer Repräsentation und beziehen sich auf den Produktions- und
Rezeptionsprozess zurück, der in der Wirklichkeit des bezeichneten Moments, in der Gegenwart besteht. So bizarr und clownesk die Aktionen bisweilen wirken mögen, in allen entsteht ein direktes Zeitbild, das sich alle Kraft der Differenzierung erhält. Koller agiert nie innerhalb des Rahmens der so genannten »großen« Themen in Bezug auf den Körper: Schmerz, Sexualität; Tod, Verletzung, Verwundung, psychische Grenzsituationen der Entäußerung, Koller agiert vielmehr innerhalb der Begrenzungen alltäglicher Kontroll- und Ordnungsschemata. Er enttarnt damit den Imperativ, dass Kunst dazu da sei, eine tiefe Wahrheit über uns, unseren Körper und unsere Kultur zu entschlüsseln, und ersetzt ihn durch einen des performativen Aktes: Engagieren statt arrangieren …

 

 

1 Dieser Text ist ein gekürzter Vorabdruck des gleichnamigen Katalogessays, der aus Anlass der von Roman Ondak kuratierten ersten Retrospektive des Werks Július Kollers in Westeuropa (12. Juni bis 21. September, Kölnischer Kunstverein) erscheinen wird.
2 Im Manifest heißt es: »subjective cultural actions-operations which in the universality of objective reality form cultural situations directed into the future. the operations will effect psychophysical projects of cosmohumanistic culture and instead of a new art-aesthetics will create a new life, a new subject, awareness, creativity and a new cultural reality.«