Heft 2/2003 - Artscribe


Anri Sala

28. März 2003 bis 15. Juni 2003
Kunsthalle Wien / Wien

Text: Christa Benzer


In Bezug auf seine Arbeit »Uomoduomo« (2000) spricht Anri Sala im Interview mit Gerald Matt von einer »Art System der emotionalen Belohnung«, an das er denkt, wenn er darauf besteht, dass der schlafende Obdachlose im Mailänder Dom mehr Anrecht auf diesen Ort hat als der Papst. In seinen weiteren Ausführungen enthält gerade diese naiv anmutende Ansicht das ideelle Grundprinzip seines künstlerischen Antriebs, welches es Sala merkwürdigerweise erlaubt, die Kamera auf diese »echte« Szene zu halten. Ihn interessieren nicht die Menschen, die sich aus rationalisierbaren Gründen an unterschiedlichen Orten aufhalten, sondern er versucht die »Dichte der Beziehungen der Menschen zu den Orten« festzuhalten. Sala wirft das Licht auch nicht auf den »Sozialfall« oder den symbolisch stark aufgeladenen Ort, sondern auf die ungewohnt offene Intimität, die der labile und verletzbare Zustand des Schlafens an diesem Platz ausstrahlt. Da Intimität als ein sehr dichter Gemütszustand im Vorbeigehen nicht erfasst werden kann und darüber hinaus für das Gelingen der Rezeption ein emotionaler Einsatz der BeobachterInnen Voraussetzung ist, widersetzen sich diese Bilder auch einer flüchtigen Durchsicht, die auf einen effizienten Erkenntnisgewinn aus ist. Dass Anri Sala in seiner künstlerischen Praxis Zeit beansprucht, betont er immer wieder in Interviews, dass er im selben Ausmaß auch die Zeit der BesucherInnen in Anspruch nehmen will, ist schon in der stark reduzierten Geschwindigkeit seiner bewegten Bilder angelegt.

Beispielhaft dafür steht das Video »Arena« (2001), das in der minimal bewegten Aneinanderreihung von unspektakulären Einzelbildern von einer ebenso komplizierten und langen wie traurigen Geschichte erzählt. Neben »Naturalmystics« ist »Arena« in Bezug auf die BetrachterInnenposition in der sehr konzentrierten Personale so installiert, dass die Leinwand schräg in den Raum gestellt ist und so einen – der fahrenden Kreisbewegung der Kamera ähnlichen – perspektivischen und weitläufigeren Blick auf den verwahrlosten Zoo in Tirana ermöglicht. Sala setzt nicht auf die klaustrophobische Komponente, die auch jeden »westlichen« Zoo als traurigen Ort ausweisen würde, sondern auf das Schweifen des Blicks über das Gelände. Die Tatsache, dass mittlerweile streunende Hunde das Gelände friedlich okkupiert haben, stimmt angesichts der sehr »realen« chaotischen Bedingungen seltsam positiv. Die Hunde sind für den in Paris lebenden Künstler keine Metapher, sondern als »Teile der Gesellschaft« ein sehr reales und auffallendes Phänomen in den Städten, die sich im politischen Umbruch befinden. Ausgestattet mit einer differenzierten Beobachtungsgabe, die von seinem Leben in Paris und Tirana geprägt ist, interessiert er sich gleichermaßen für die Abwesenheit von Hundegebell an seinem derzeitigen Wohnort Paris wie für den dort überall sichtbaren Hundekot. Dass auch diese unangenehme Erscheinung eine Erzählung Wert sein könnte, liegt schon deswegen nicht ganz fern, weil das Gebell wilder Hunde in seiner für den öffentlichen Raum konzipierten Arbeit »No Formula one No Cry« als lokale Referenz und irritierendes Moment tatsächlich eine Rolle spielt. In seiner Konzentration auf die An- bzw. Abwesenheit von unterschiedlichsten Erscheinungen unterscheidet Anri Sala nicht zwischen materiellen Dingen wie Geräuschen, Gegenständen und Lebewesen oder komplexeren Größen wie Sprache (»Promises«, 2001) oder Raum (»Missing Landscape«, 2001). Während er in der Fotoarbeit »No Barragán No Cry« (2002) die Geschichte eines abwesenden Karussellpferdes zu einem surrealen Bild komprimiert, ist sein zurecht viel beachtetes Videodebüt »Intervista« (1998) bekanntlich ein grandioses Statement zur An- bzw. Abwesenheit einer ganzen Ideologie. Mit seiner jüngsten Arbeit »Ghostgames« – die nicht nur geografisch weit entfernt von seinen anderen Arbeiten angesiedelt ist, sondern in der er auch ausdrücklich versucht, »mit einer größeren Welt in eine intimere Beziehung zu treten« – reflektiert Sala nicht zuletzt seinen eigenen künstlerischen Ansatz: In ein harmloses Spiel verpackt, steuern die Lichtkegel von Taschenlampen die Krabben an einem Strand, den die sensiblen Tiere trotz des menschlichen und wegen bestimmter biologischer Einflüsse aufsuchen müssen. Der Kameraausschnitt, der die Füße der Menschen riesig erscheinen lässt, unterstreicht die Fragilität der Krabben, die vom Licht auch in die Irre geführt werden könnten. Das teilweise ins Bedrohliche kippende Szenario, das man ob seiner eigentümlichen Wirkung nicht müde wird zu verfolgen, führt unweigerlich zu einer brisanten repräsentations- politischen Debatte: denn die Krabben wären nicht sichtbar, hätte sie Anri Sala nicht manipuliert.