Heft 3/2003 - Lektüre



Regina Bittner (Hg.):

Die Stadt als Event

Zur Konstruktion urbaner Erlebnisräume

Frankfurt am Main (Edition Bauhaus) 2002 , S. 76

Text: Anette Baldauf


Alles, worüber man weiß, dass man es nicht mehr lange um sich hat, wird zum Image, beobachtete Walter Benjamin um 1900 angesichts der grundlegenden Umstrukturierung seines urbanen Umfelds. Um diese Transformation vom Objekt zum Image dreht sich auch die von Regina Bittner herausgegebene Anthologie »Die Stadt als Event: Zur Konstruktion urbaner Erlebnisräume«. Der Sammelband hebt sich von anderen Veröffentlichungen zum Thema Stadtforschung durch seine beharrliche Konfrontation der Phänomenologie immaterieller urbaner Ökonomien mit Fragen der sozialen Implikationen ab, wobei die Konturen des Sozialen in einer auffallenden Deutschland-Orientierung über Ulrich Becks Postulat der erweiterten Individualisierung und Gerhard Schulzes Diagnose der horizontal organisierten Erlebnisgesellschaft abgesteckt sind. Eingebettet ist diese Diskussion in den Kontext poststrukturalistischer Globalisierungstheorien, die sich um Kontinuitäten mit Arjun Appadurais These einer »disjunktiven Ordnung« kultureller Globalisierung bemühen. Folgerichtig operieren die meisten Beiträge mit einer Definition von Raum und Stadt, welche die Produktion von Bedeutung, sozialer Bezüge und Alltagspraxen ins Zentrum rückt.
»Die Stadt als Event« behandelt die aktuellen Stadttransformationen anhand von vier Phänomenen: »Ortseffekte« analysiert die Konstruktion von Ort und Raum im Kontext kultureller Globalisierung. Interessant ist dabei, dass die Mehrheit der Artikel sich an den Binarismen der kulturpessimistischen Position abarbeitet, die als solche im aktuellen Diskurs – und damit auch in der Anthologie – nur mehr als negative Schattenreferenz vertreten ist (Jürgen Habermas ist dabei der signifikant Abwesende). In »Disneyfizierung der europäischen Städte?« verortet Klaus Ronneberger die Simulationsstrategien aktueller Themenparks und Shopping Malls in der Inszenierungskunst jesuitischer Sakralbauten und Englischer Gärten, die Inspirationsquellen für die Passagen und Galerien im 19. Jahrhundert darstellten. Mit dieser Archäologie der Simulation weist Ronneberger eine universalistische »Soziologie der Manipulation« zurück und lokalisiert die Spezifität der aktuellen Organisation von Macht- und Gewaltverhältnissen im Kontext perfider Sicherheits- und Überwachungsarchitektur. Auch Regina Bormann wehrt sich gegen apokalyptische Niedergangserzählungen; mit Rekurs auf die Paradigmen anthropologischer Kulturtheorien interpretiert sie den urbanen Erlebnisraum als Bühne, auf dem »social drama« (Victor Turner) und Akte kultureller »Performance« (Clifford Geertz) aufgeführt werden, die mit ihrer Evokation von Gefühl und Effekt (»Erlebnischarakter«) der Vergemeinschaftung und Herstellung von Identitäten dienen.
»Ökonomie der Wünsche«, der zweite Teil der Anthologie, beschäftigt sich mit den Merkmalen der postindustriellen Konsumgesellschaft, die – so die These – von einer Ökonomie der Zeichen und Symbole lebt. Bezeichnend ist dabei die ostentative Betonung der Verschiebung und Unsichtbarmachung industrieller Produktion – wobei der Sammelband selbst diesen Zwang zur Fetischisierung reproduziert: Fragen nach den HerstellerInnen der nun primär über ihren immateriellen Wert bemessenen Waren, den Bedingungen der postfordistischen Zeit-Raum-Verdichtung oder deren Arbeitsteilung zwischen über- und unterentwickelten Ländern bleiben ausgeklammert und werden damit nicht weiter als Voraussetzung der Stadt als Image analysiert.
»Orte aus Bildern«, der dritte Teil, analysiert die Abstraktion, Separation und Parzellierung des urbanen Raumes im Prozess der Übersetzung zum Image. Dabei beschreibt Philip Ursprung in »Weißes Rauschen« das Blur-Building von Diller & Scofidio als »Event-Architektur par excellence«, das sich die Realisierung einer ephemeren Image-Qualität zum Ziel gesetzt hat. Und in »Space/Off« nimmt Kai Vöckler das Kino als Vorlage für die Analyse der Montage von Raumfragmenten, um dann, ausgestattet mit Henri Lefebvres dynamische Theorie des Raumes, die Krise der Repräsentation intellegibel zu machen: Die Verwandlung von Wirklichkeit in Bilder, so argumentiert Vöckler mit Verweis auf die symbolschwangeren Raumbilder Shanghais, prägt nicht nur das Kino, sondern auch den urbanen Alltag. Das Städtische, so diagnostiziert er düster, wird zu einer Art Atmosphäre degradiert.
In dem Beitrag »Entwerfen aus Bildern« interessiert sich Wilfried Hackenbroich für das Herausarbeiten von Spezifität und Örtlichkeit im Kontext der von Rem Koolhaas postulierten »Generic City«. Historisch verortet er die urbane »Eventisierung« in Disneys Themenparks, die mit ihrer Übersetzung von Trickfilmen in den urbanen Raum den Maßstab für eine themenorientierte Raumgestaltung setzte. Anhand eines konkreten Projekts, dem Gleisareal in Frankfurt am Main, unternimmt Hackenbroich im Namen von bauhaus kolleg den gewagten Versuch, Disneys Raumgrammatik (»Theming«, Ordnungsprinzipien, Storyboard, Dramaturgie, etc.) für eine architektonische Praxis zu adaptieren, die Spannung als die besondere Qualität des Urbanen definiert und demzufolge unterstützen will. Der Entwurf der »Slang-City« illustriert jedoch die Grenzen eines solchen Vorhabens: Die vorgestellte Abstraktion der BenutzerInnen verfängt sich in unreflektierter Mythologisierung (»Get-to-Play [Ghetto Play]«); die Definition von Identität über jugendkulturellen Lifestyle reduziert die abgefeierte »Spannung« auf Differenzen unter Marktsegmenten.
Der vierte und letzte Teil, »Coole Urbanität«, beschäftigt sich mit dem Trend zur Inszenierung der Stadt als Abenteuerspielplatz: Er verfolgt die Frage, wann und wo die urbanen Interventionen der »New Entrepreneurs« über das Potenzial verfügen, die Stadt aus ihren konventionellen Bahnen zu werfen, und wann die Materialisierungen der »Kreativwirtschaften« lediglich Versuche darstellen, Erfahrung und subkulturelles Kapital der Vergangenheit (als Breakdancer, Clubbesitzer, DJ, etc.) in materielles Kapital überzuführen.
In seiner Orientierung auf Stadt und Konsum kann der Band »Die Stadt als Event« als Antwort auf die Anthologie »The Harvard Design School Guide to Shopping« gelesen werden: Während die Shopping-Anthologie mit schriller Exklamation das Ende des öffentlichen Raumes proklamiert und im nächsten Schritt das lokalisierte Vakuum mit »pragmatischen« Projekten füllt, setzt »Die Stadt als Event« im Vorfeld der Shopping-Anthologie an und bearbeitet das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Raumformation. Interessant ist dabei, dass die Mehrheit der Beiträge zwar der Kategorie »Ort« konstitutive Bedeutung beimessen, letztendlich aber ihre Theoreme über die abstrakte Formation »Stadt« und nicht ein konkretes urbanes Handlungsfeld abhandeln. »Ort« ist scheinbar nur in der Theorie von Gewicht.