Heft 2/2006 - Artscribe


»Traum und Trauma: Moving Images and the Promised Lands«

2. Dezember 2005 bis 18. Dezember 2005
Haus der Kulturen der Welt / Berlin

Text: Nat Muller


Berlin. Die Ausstellung und Filmreihe »Traum und Trauma: Moving Images and the Promised Lands«, die kürzlich im Haus der Kulturen der Welt stattfand, nahm sich vor, »hinter das Bekannte auf die komplexen Realitäten des heutigen Israel und der besetzten Gebiete« zu blicken. Die Verwendung des Begriffs »bekannt« innerhalb eines Nahost-Kontexts verdient sicherlich Aufmerksamkeit: In einer Region der Welt, die »wir« primär durch (hart nachbearbeitete) Bilder kennen, fragt man sich immer, was bekannt ist und was nicht, wer bestimmt, was und wie wir etwas sehen, und welche Positionen die Akteure innerhalb der verschiedenen skopischen Regime einnehmen.

Leider scheitert »Traum und Trauma« bei der Beantwortung dieser Fragen. Gleichermaßen interessant ist die Betonung der Pluralität von »Verheißungen« und »Ländern« im Projektuntertitel: verheißene Länder anstelle eines singulären verheißenen Landes. Oder, wie der Kurator Shaheen Merali in seinem Einleitungstext sagt, »das ›verheißene Land‹ der Bibel wurde für die einen zum Traum, für die anderen zum Trauma«. Aber bemüht sich »Traum und Trauma« wirklich darum, mehr als bloß das Offensichtlichste festzustellen, oder jene Oberflächenbilder nachzuzeichnen, die durch die Nachrichten täglich in unsere Retina geritzt werden? Schafft sie es, die Verantwortung, die diese visuellen Verheißungen mit sich bringen, materiell umzusetzen bzw. zu erden? Meiner Meinung nach nicht – trotz der großen Anzahl herausragender Arbeiten. Das ist vielleicht der enttäuschendste Aspekt dieses Projekts.

Mit über 35 gezeigten Filmen und über 15 ausgestellten KünstlerInnen aus Israel und Palästina bzw. deren jeweiliger Diaspora schien es, als ob »Traum und Trauma«, indem sie jede nur greifbare Perspektive mit einbezog, so einschließend wie möglich sein wollte. Die Hauptfrage dabei ist, ob eine soziopolitische Realität jemals umfassend oder fassbar durch Bilder dargestellt werden kann. Der Drang nach Weite und Einschließlichkeit lässt jegliche Art von kuratorischer Positionierung oder Anweisung für die BesucherInnen, wie man sich diesen Werken annähern könnte, verstummen. Als Ansammlung von Bildern stehen sie vor einem, nackt, bloß, bar ihres Kontexts, und bar ihrer kritischen Kraft. Nur mit aufgesetztem Tunnelblick oder wenn man sich von der Idee gelöst hat, diese Werke seien Teil eines größeren Ganzen, kann man sie zu schätzen lernen. Bringt man sie mit der undurchsichtigen Ambition von »Traum und Trauma« zusammen, verlieren sie ihren Wert und werden reduziert auf eine optische Oberfläche.

Am deutlichsten wurde dies im »Inventar« benannten Teil, der als Metapher für die kuratorischen Mängel der gesamten Ausstellung gelesen werden kann. Auf einem großen Tisch waren zehn Fernsehgeräte platziert, die ausgewählte Videos zeigten, Kurz- und Dokumentarfilme, etwa Dan Gevas wundervoll witziges und kritisches Stück »Think Popcorn« (2004) oder Aldo Anselminos Selbstzeugnis »I am Palestine« (2005). Aber den BetrachterInnen wurden keine Kopfhörer angeboten, was bedeutete, dass man einer zerstreuenden Kakophonie von Stimmen und Sprachen ausgesetzt war. Außerdem waren Dokumentarfilme, Kunstvideos und andere Genres dadurch gezwungen, sich ein- und denselben Interpretationsrahmen zu teilen. In anderen Worten: Durch die Fülle bzw. Überfülle an Informationen und Bildern konnte nichts von Bedeutung gewonnen werden. Verstörender waren die über den Tisch verstreuten hebräischen Zeitungen wie »Ma’ariv« oder »Yedioth Ahronoth«. Die Tageszeitungen wurden offensichtlich ihrer provokativen Coverfotos wegen ausgewählt; sehr stark bezweifle ich, dass die durchschnittlichen Berliner BesucherInnen über ausreichend gutes Hebräisch verfügen, das ihnen die Dekodierung dieser Bilder erlauben würde. Denn die Sprachbarriere trennt das Bild von der Schlagzeile, seinem Kontext, ab.

Die visuelle Landschaft, die wir vom Nahen Osten kennen, ist eine des statischen Aufruhrs: Armee, Siedler, Checkpoints, Selbstmordbomber, demonstrierende Massen und so fort. Yael Bartana gelingt es in ihrer exzellenten 2-Kanal-Videoinstallation »Wild Seeds« (2005), die Poetik
territorialer Gewalt einzufangen. Auf einem Bildschirm sieht man eine Gruppe Jugendlicher, die die fiktive Räumung eines besetzten Gebiets nachspielen: Sie haken die Arme ineinander, besetzen das Land, während Freunde von ihnen versuchen, sie auseinander zu zerren, alles begleitet von jugendlichem Kichern und spielerischem Enthusiasmus. Die ganze Szene spielt auf einem wunderschönen Hügel mit toller Aussicht, was noch einmal ins Gedächtnis ruft, dass es in diesem Konflikt um Land geht und dieses Machtspiel fernab jeder Unschuld ausgetragen wird. Das Lachen der Kinder, wie sie einander necken und verfluchen, erhält eine zusätzliche Dimension durch eine darüber gelegte zweite Projektion, die Aussagen wirklicher Siedler enthält. Sie ähneln denen der Kinder, doch gleichzeitig könnten sie genauso gut von PalästinenserInnen an einem IDF-Checkpoint stammen, oder zwischen rechten und linken Israelis ausgetauscht werden. Während die Jugendlichen Parolen über Betrug, Territorium und Identität wiederholen, sehen wir sie in gewaltsamer Umarmung. Dieser kraftvolle und verzweifelte Akt funktioniert auch als Trope für das israelische Beharren auf einer konstruierten mythischen Identität, die eine heterogene Bevölkerung zusammenhalten und sie sprichwörtlich im Land verwurzeln soll. Sie zeigt sich absichtlich blind gegenüber dem biblischen Diktum, dieses »verheißene Land« sei ein »Eretz ochelet yoshveha« (Bamidbar 13:32), ein »Land, das seine Einwohner verschlingt«.

In diesem Licht betrachtet verwandelt sich ein alltäglicher Akt wie der des Teetrinkens in eine Szenerie des Überfalls. Talia Keinan filmt in »Tea« (2004) ihre Nachbarschaft durch ein Glas Tee. Die sinkenden Teeblätter lassen an eine Situation politischer Instabilität denken, in der die Hindernisse von morgen radikal anders als die von heute sein können. Ein harmloser Zeitvertreib wird so zu einer Wette auf Krieg oder Frieden.

Eine Ausstellung, die eine vielschichtige politische Realität mittels ästhetischer Komplexitäten zu verhandeln versucht, ist von vornherein eine riskante Wette. Doch sollte als Faustregel gelten, dass, um »hinter das Bekannte« zu blicken, mehr nötig ist als bloßes Schauen. Eine »ausgewogene« Perspektive anzubieten, in der beide Seiten ihre Träume und Traumata ausbreiten, ist eine noble diplomatische Haltung, aber sie führt nicht unbedingt zu einer guten Ausstellung über einen Konflikt, in dem das Verhältnis der beiden Seiten keineswegs ausgewogen ist. KuratorInnen sind – ähnlich wie KünstlerInnen – verantwortlich für die Bilder, die sie wählen, besonders wenn dies sensible Bereiche betrifft. Und mit dieser Verantwortung geht eine Positionierung einher, die uns dazu drängt, diese Bilder nicht vorüberziehen, sondern uns von ihnen real treffen zu lassen.

 

Übersetzt von Brandon Walder