Heft 3/2006 - Working Poor


»Ich nehme keinen Pfennig von Europa«

Das Projekt »Déberlinisation« des senegalesischen Künstlers Mansour Ciss

Dietrich Heissenbüttel


»Ist das Falschgeld?« Der senegalesische Staatspräsident Abdoulaye Wade war persönlich zur Vorstellung des Afro erschienen. Mansour Ciss hatte zur Dakar Biennale 2002 einfache Holzkioske aufgebaut, welche die Landeswährung in Künstlerbanknoten umtauschten: eine Serie von fünf bis 500 Afro gegen 3.500 Franc CFA.1 Das Misstrauen des Präsidenten war nicht ganz unbegründet: Verfolgt er doch selbst das Projekt einer westafrikanischen Einheitswährung namens Eco. Doch zwischen der Politik der »New Partnership for Africa’s Development« (Nepad) und Ciss’ künstlerischer Vision besteht ein feiner, aber kategorialer Unterschied.2

Die Künstlerbanknote Afro, die Ciss zusammen mit dem kanadischen Medienkünstler Baruch Gottlieb entwickelt hat, ist Teil eines größeren Projekts, das er »Laboratoire Déberlinisation« nennt.3 »Entberlinisierung« bezieht sich zwar auch auf den Wohnort des Künstlers, vor allem aber auf den Ort der Kongo-Konferenz, auf der 1884 die europäischen Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten. »Afrika ist nicht arm, Afrika wurde arm gemacht«, wie die Globalisierungskritikerin Aminata Traoré aus Mali sich ausdrückt, die Ciss auf einer Afro-Banknote der neuesten, dritten Serie abbildet.4 »Déberlinisation – das ist mein Leben hier am anderen Ufer des Ozeans, an dem ich versuche, die zerrissenen Fäden zusammenzufügen«, sagt Ciss. »Die dafür notwendigen Werkzeuge habe ich gefunden: Video und Diapositive.«

Zur diesjährigen Biennale präsentierte Ciss im Goethe-Institut von Dakar drei Arbeiten, welche die historischen Ursachen der Armut und Ausgrenzung des Kontinents weiter ausleuchten.5 »Erzählt mir nicht, dass ihr nichts wisst«, spricht die doppelte Silhouette im Video »Les 100 papiers« und fährt fort, in Wolof und in Bildern eine Geschichte zu erzählen von der Herkunft aus Westafrika, europäischen Hauptstädten, Reisepapieren, abgelaufenen Aufenthaltsgenehmigungen und dem Nadelöhr auf der Insel La Gorée, durch das Hunderttausende von AfrikanerInnen in die Sklaverei verschleppt wurden. In traditionellem Bubu und rotem Fes macht sich der Künstler auf die Suche nach dem Ort der Kongo-Konferenz in der Berliner Wilhelmstraße, wo heute ein Plattenbau der achtziger Jahre steht, davor eine Gedenktafel. »Ihr, junge Afrikaner, müsst die Urheber der Entwicklung sein«, heißt es im Abspann, der an die Tausenden erinnert, die auf dem Weg nach Europa in Lampedusa und Melilla hängen bleiben. Komplementär dazu zeigt Mansour Ciss in einer Fotoserie extreme Armut: BettlerInnen am Straßenrand, allerdings nicht in Afrika, sondern in Berlin. »Diese Fotos haben in Dakar einen Schock ausgelöst, sagt Ciss. »Die Leute denken nur, sie müssen nach Europa kommen, weil hier das Paradies ist, aber das ist falsch.« Die Probleme im Senegal sind ernst: Eine Mehrzahl der Familien ist auf Überweisungen ihrer Söhne aus Europa und Amerika angewiesen. Der Devisenbetrag, der auf diese Weise ins Land gelangt, übersteigt längst die gesamte Entwicklungshilfe. Doch die Erniedrigung, die aus den Bildern der Wohnsitzlosen spricht, stößt auf Befremden.

In einem zweiten Video bringt Mansour Ciss die Stimme Léopold Sédar Senghors zum Rappen. »Ainsi meurent les masques« geht zurück auf die Tätigkeit als Museumspädagoge am Völkerkundemuseum von Dahlem, mit der Ciss momentan seinen Lebensunterhalt bestreitet. »Ich war Senghor dies einfach schuldig«, bekennt der Künstler. Als Ciss Ende der siebziger Jahre als einer von siebzig KünstlerInnen an dem von Senghor ins Leben gerufenen Village des Arts arbeitete, kaufte der erste senegalesische Staatspräsident auf einen Schlag seine gesamten Arbeiten an. Doch der Nachfolger Senghors, Abdou Diouf, ließ das Camp 1983 von der Armee räumen und verwandelte zugleich das Musée Dynamique, in dem Picasso und Hundertwasser ausgestellt hatten, in ein Kassationsgericht: erste Anzeichen einer neoliberalen Politik nach den Vorstellungen des IWF, die Diouf nach seiner Wahl 1983 als einer der ersten afrikanischen Politiker konsequent umsetzte, sehr zum Nachteil der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.

In seiner Zeit am Village des Arts fertigte Mansour Ciss Holzskulpturen, angelehnt an traditionelle Arbeiten. Heute arbeitet er mit Video und Fotografie: »Künstler sind das Gedächtnis unserer Zeit«, sagt Ciss, der eine Sammlung von 6.000 Dias und zweihundert Videos aus der Zeit des Künstlerdorfs besitzt. Der Tod der Masken, das ist der Tod einer Kultur, die nicht gepflegt wird. »Mit jedem Greis stirbt in Afrika eine Bibliothek«, warnte der große malinesische Schriftsteller Amadou Hampaté Ba. Dem möchte Ciss entgegenwirken: Wenn es nach ihm ginge, würde er ganze Equipes von SchülerInnen aussenden, um in den Dörfern die Erzählungen der Alten aufzuzeichnen und so die Erinnerung zu bewahren an das, was im Zuge fortschreitender Veränderungen unausweichlich verschwindet. Denn ansonsten droht dem Kontinent seine Geschichte verloren zu gehen. »Wir haben ein Kolonialtrauma«, sagt Ciss, der auch vom »Verlust der eigenen Sprache« spricht.

Mansour Ciss hat große Pläne. Zugleich mit der Vorstellung des Afro eröffnete er 2002 die Künstlerresidenz Villa Gottfried in N’Gaparou, siebzig Kilometer südlich von Dakar.6 »Gottfried« ist die wörtliche Übersetzung des Wolof-Toponyms »Djamalaye«. Langfristig soll die Villa im neo-sudanesischen Stil, angelehnt an die Lehmbauten Malis, der Tendenz entgegenwirken, dass sich KünstlerInnen aus aller Welt nur in den reichen Ländern des »Westens« begegnen. Ciss hat das Projekt vollständig aus eigener Tasche finanziert: »Ich frage niemanden um Geld, ich nehme keinen Pfennig von Europa«. Dabei kamen dem Künstler Erträge aus seiner erfolgreichen Tätigkeit als Stoffdesigner zugute. Stoffmuster bilden auch den Hintergrund der dritten Serie des Afro. Umgekehrt will Ciss die Künstlerwährung auf Textilien drucken und so weiter popularisieren.

Doch bevor noch die Villa Gottfried in vollem Umfang ihren Betrieb aufgenommen hat, denkt Ciss bereits weiter: Unmittelbar angrenzend hat er ein mehrere Hektar großes Gelände samt landwirtschaftlicher Anbauflächen erworben, das als Laboratorium der Zukunft dienen soll. »In meinem Kopf ist immer dieses Künstlerdorf.« Es geht darum, junge Menschen in Randlagen in neue Medien einzuführen, denn im Senegal, anders als in anderen afrikanischen Ländern, ist die Infrastruktur dafür vorhanden. »Kinder müssen richtig lernen«, sagt Ciss, und: »Die Macht Europas, das sind die Medien.« Aber auch: »Alles geht um die Kunst. Die Kunst gibt mehr Freiheit.«

Wiewohl sich das Laboratoire Déberlinisation als Pilotprojekt und Impulsgeber versteht, droht Mansour Ciss sein eigenes Anliegen bereits über den Kopf zu wachsen. »Ich arbeite für die Zukunft«, sagt er, aber auch: »Ich brauche wirklich einen Manager.« Abdoulaye Wade hat den Künstler nach der Biennale 2002 noch einmal zu erreichen versucht, doch erwies sich die Deutsche Post als unfähig, den Brief zuzustellen. Ciss bleibt auf Abstand. Ihm geht es nicht um konkrete Ergebnisse, sondern darum, Imaginationen freizusetzen.

 

 

1 http://www.deberlinisation.de; http://www.afrik.com/article7317.html
2 http://www.nepad.org
3 Der Begriff stammt aus: Nicolas Agbohou: Le Franc CFA et l’Euro contre l’Afrique, Paris 1999; den Gedanken eines vereinigten Afrika hat bereits Cheik Anta Diop
im Detail entwickelt: Cheik Anta Diop: Les fondements économiques et culturels d’un état fédéral d’Afrique noire, Paris 1960 (1972)
4 Zusammen mit Aoua Keïta, der ersten Frau in der malinesischen Regierung, siehe http://www.deberlinisation.de, Startseite, 500 Afro
5 http://www.goethe.de/af/dak/depausst.htm#V1
6 http://www.galerie-herrmann.com/arts/art6/projekte/Villa_Gottfried