Heft 2/2008


Secret Publics

Editorial


Öffentlichkeit organisiert sich zunehmend entlang fragmentarischer Linien. An die Stelle der einen, allumfassenden öffentlichen Sphäre ist längst, auch im Kunstfeld, die Aufspaltung in teils überlappende, teils divergierende Teilöffentlichkeiten getreten. Oftmals sind es unfreiwillige Beschränkungen, die das Überschreiten einer bestimmten Aufmerksamkeitsschwelle verhindern, oftmals aber auch selbst gewählte Zirkelbildungen, die ihr Zielpublikum in ganz bestimmten, partikularen Interessensgruppen suchen. Einen Sonderstatus nimmt dabei das Phänomen »heimlicher Öffentlichkeit« ein, deren Bandbreite, durchaus weitgesteckt, von selbstorganisierten Partizipationsforen bis hin zu klandestinen Gemeinschaftsformen reicht. »Secret Publics« widmet sich der Erscheinungsvielfalt solch minoritärer Teil- und Gegenöffentlichkeiten, die – gezwungenermaßen oder intendiert – unter der allgemeinen Wahrnehmungsgrenze operieren.
Eine dieser unfreiwilligen »heimlichen Öffentlichkeiten« hat sich Sharon Daniel als Ziel ihres aktivistischen Ansatzes erkoren: Weibliche Gefängnisinsassen in den USA machen nicht nur eine immer größere Bevölkerungsgruppe aus, sondern sind aufgrund ihres rechtlichen Status auch jeglicher Öffentlichkeitsplattform beraubt. Darin klingt bereits die allgemeinere Problematik so genannter »subalterner« oder minoritärer Bevölkerungsteile an, deren Möglichkeit der Selbstartikulation entweder radikal beschränkt ist oder aber nicht den herrschenden Diskursregeln entspricht. Dipesh Chakrabarty, einer der Hauptproponenten der indischen Subaltern-Studies-Gruppe, lässt im Gespräch die Genese dieses Forschungs- und Theorieansatzes Revue passieren und erwägt im Anschluss daran die Möglichkeiten eines strategischen Universalismus – einem theoretischen Horizont, der nicht auf eurozentristischen Grundlagen beruht. Eine neue Form von Universalismus, noch dazu betont »affirmationistisch«, vertritt der französische Philosoph Alain Badiou, dessen jüngste Ausführungen zum Thema Hans-Christian Dany auf die Aufstände von Jugendlichen in den Pariser Vorstädten umlegt. Auch hier hat sich eine Art Geheimgesellschaft formiert, deren Nicht-Akkommodierbarkeit innerhalb westlicher Wertesysteme von PolitikerInnen aller Couleurs beschworen wird.
Künstlerische Ansätze, die vorwiegend im »Geheimen« operieren, analysieren Cédric Vincent, der die Implikationen von Fake-Strategien anhand eines südafrikanischen Projekts abwiegt, oder Christina Töpfer, die den – vor allem in den USA beliebten – Interventionen in einem schwindenden öffentlichen Raum nachgeht. Weitere Kurzfeatures widmen sich Taktiken der Selbstorganisation im Kunstfeld, etwa dem Johannesburger Market Photo Workshop, oder User-initiierten Internetexperimenten wie dem Department of Reading, das Wege der dialogischen Diskursproduktion im semivirtuellen Raum erprobt. Ein Überblick über die in letzter Zeit neu entstandenen Off-Spaces in Wien kartografiert die realen räumlichen und organisatorischen Gegebenheiten, denen die Schaffung einer Kunstöffentlichkeit »von unten« heute unterliegt.