Heft 2/2008 - Secret Publics


Fake it till you make it

Über die Rolle von sich selbst erfüllenden Vorhersagen im Kunstfeld

Cédric Vincent


»I’ll stop believing in you if you stop believing in me« ist der Titel eines Projekts, das 2007 von den beiden jungen südafrikanischen KünstlerInnen Ruth Sacks und Robert Sloon konzipiert wurde. Es lässt sich als Fortsetzung künstlerischer Versuche verstehen, eine Gegenöffentlichkeit zu bilden. »I’ll stop believing« präsentiert sich als Katalog einer Ausstellung, die in Wirklichkeit nicht stattgefunden hat. Das Projekt beruht auf der Idee, sich der Medienmacht der Kunstwelt entgegenzustellen, und setzt damit die früheren Arbeiten der beiden KünstlerInnen fort. Ruth Sacks arbeitet an vorderster Front der Institutionskritik und des Kriminalromans, die sie mit listiger Freude in ihren sozialen und kulturellen Lügen und Heucheleien manipuliert. Robert Sloon führt in der Hauptsache seinen Blog »ArtHeat« (artheat.blogspot.com), eine Art Tratschplattform für die südafrikanische Kunstszene, die nicht selten ätzende Gerüchte und andere Verleumdungen öffentlich macht. Nichtsdestotrotz wird seine Site von lokalen KunstkritikerInnen wie Michael Smith von »Artthrob« ernst genommen, der sie als »mit einem Verantwortungsgefühl für den Underground« ausgestattet bezeichnete.
Die Arbeit von Sacks und Sloon knüpft an eine kuratorische Strategie an, die sich in der Konzeptkunst schon bewährt hat und seinerzeit von Seth Siegelaub theoretisiert wurde. Für Siegelaub sind Publikationen der beste Weg, neue Ausstellungsformen zu finden. So haben Robert Smithson und Dan Graham auf Seiten in »Artforum« »ausgestellt« oder wurden Kataloge als Ausstellungen entworfen. Eine der bekanntesten dieser Publikationen ist »July, August, September 1969«, mit der »I’ll stop believing in you« im Übrigen das Titelmotiv der Weltkarte gemeinsam hat. »July, August, September 1969« präsentierte elf Künstler (Carl Andre, Daniel Buren, Douglas Huebler, Lawrence Weiner etc.) auf unterschiedliche Orte der Welt verteilt. Der Katalog wurde zur Voraussetzung für die Ausstellung. Diese Methode, mittlerweile im Mainstream verbreitet, wurde in der Folge auf vielerlei Arten variiert. Maurizio Cattelan zum Beispiel spielte 1999 mit den Kodes internationaler Ausstellungen, indem er diese zur Realisierung einer echt falschen Biennale verwendete, zu der er zehn KünstlerInnen für eine Ferienwoche auf die Karibikinsel St. Kitts einlud. Allein der Katalog dieser 6. Karibik Biennale konnte dies verbürgen. Die Reihe »Cream« wiederum veröffentlicht von der Kunstwelt autorisierte Lieblingslisten unter dem Deckmantel einer Katalogausstellung.
In diesem Sinn bietet sich an, »I’ll stop believing in you« – die Dokumentation einer fiktiven Ausstellung – als Parodie des Kommunikationswahns der Kunstwelt zu verstehen. Dies allein würde ihr jedoch ihren grundlegend performativen Aspekt absprechen: Der Katalog schafft nämlich erst die Ausstellung. Anders als die erwähnten berühmten Projekte hat jenes von Sacks und Sloon nämlich noch keinen Verlag gefunden, und man kann es deswegen wohl kaum als abgeschlossen bezeichnen. Bislang existieren lediglich zwei Prototypen in Händen der beiden KuratorInnen. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass heutzutage ein Buchobjekt, das noch nicht gedruckt und veröffentlicht worden ist, nicht denselben Status hat wie eines, das bereits als Publikation vorliegt. Auch ich arbeite hier im Sinn der KuratorInnen – nicht wie sie selbst schreiben würden, aber im Rahmen des Konzepts –, und riskiere damit, meinerseits eine Fiktion zu produzieren.
Ohne Zweifel ist es kein Zufall, dass ein Projekt wie dieses in einem Land wie Südafrika entsteht. Die strukturelle Position von KünstlerInnen im internationalen Kunstbetrieb hat ihre Spuren nicht nur im Leben dieser KünstlerInnen hinterlassen, sondern kann mitunter auch deren gesamtes Werk prägen. Südafrika ist nämlich das einzige afrikanische Land mit einer Kunstszene, das heißt, es hat Institutionen, Zeitschriften, Galerien und SammlerInnen. Nicht selten haben die KünstlerInnen mehrere Positionen in diesem Kunstfeld, sind zugleich KritikerInnen, ChefredakteurInnen von Zeitschriften oder AusstellungskuratorInnen. Die Szene konzentriert sich um Kapstadt und Johannesburg und wird vom Wettkampf dieser beiden Städte um den Titel Kunsthauptstadt angetrieben. Seitdem die Biennale von Johannesburg nach ihrer zweiten Ausgabe 1997 eingestellt wurde, ist klar geworden, dass es trotz aller Reaktivierungsversuche keine internationale Anbindung mehr gibt. Sicher, das Land ist auf der Karte des internationalen Kunstparcours immer noch mit einem Kreuz markiert, doch ob des Mangels an Ausstellungshäusern, staatlicher Unterstützung und eines interessierten Publikums, das sich für die Kunst einsetzt, haben sich keine alternativen Konstruktionen der Kunstszene effizient entwickelt. Bis auf weiteres bleibt das Land am Rand der internationalen Szene.
Diesen Mangel an innerer Geschlossenheit seitens der Kunstszene kann man in gewisser Weise als Folge der disparaten Strategien und häufigen Konkurrenzkämpfen zwischen den KünstlerInnen interpretieren, die um Aufmerksamkeit und Anerkennung im Ausland wetteifern. Immer noch ist es für sie schwierig, regelmäßig auszustellen. Die Infrastruktur- und Finanzierungsprobleme können zu echten Hindernissen werden. Sogar etablierte KünstlerInnen kämpfen oft mit ähnlichen Schwierigkeiten. Man wird also einsehen, dass man im Biotop dieser südafrikanischen Kunstwelt das Spiel mit den Begleitpublikationen spielen muss. Kunstwerke zu sehen heißt hier eben, sie als das, was Seth Siegelaub als Sekundärinformation bezeichnet hat, zu rezipieren: als Dokumentation (in Broschüren, Zeitschriften, Katalogen, im Internet). Einer der bemerkenswertesten Züge dieses Phänomens ist die Anzahl von Publikationen, in denen Kunst präsentiert wird, im Vergleich zum Rest Afrikas. »Das wollen wir mit ›I’ll stop believing in you if you stop believing in me‹ ansprechen. Wir mussten Einsparungen machen und deshalb haben wir gleich die Ausstellung selbst eingespart«, erzählt Ruth Sacks.1 In Südafrika hat die Strategie von KonzeptkünstlerInnen auch eine durchaus pragmatische Ausrichtung.

Prognosen, Erwartungen, Hörensagen
Der »Katalog als Ausstellung« zeugt vom Bedürfnis, in Südafrika alternative Ausstellungs- und Distributionsmodelle auszuprobieren. In einer Zeit, in der Kommunikation, Entmaterialisierung und elektronische Übertragung die kuratorischen Methoden verändert haben, bietet dieses Format die Chance, den privaten und persönlichen Kontakt mit Kunstwerken herzustellen. Für Sacks ist »einer der grundlegenden Unterschiede zwischen der Katalogausstellung und einer konventionelleren Ausstellungsstruktur, dass erstere vom Publikum persönliches Engagement verlangt«. »I’ll stop believing« versammelt Projekte von etwa 15 KünstlerInnen unterschiedlichster Nationalität. Wir sprechen also von einer internationalen Ausstellung.2 Die Zusammenstellung der KünstlerInnen erfolgte ausschließlich über Online-Diskussionen. So standen manche TeilnehmerInnen niemals in physischem oder auch nur brieflichem Kontakt mit den beiden KuratorInnen. Das Konzept verlangte von den KünstlerInnen, das Spiel der fiktiven Ausstellung mitzuspielen und sich mit Projekten zu beschäftigen, die sie in realem Raum und realer Zeit niemals ausführen würden können. Ziel war, dass man nicht wusste, welches Projekt nun wirklich und welches fiktiv ist. So zeigt der Fotograf Kiluanji Kia Henda aus Angola beispielsweise Fotos von Gebäuden und Ruinen in Luanda, jedoch unter einem afro-futuristischen Aspekt, sodass diese wie futuristische Weltraumbauten aussehen, aber auch als Dokumentarfotos aufgefasst werden können.
Man hätte die Ausstellung natürlich auch gut im Internet durchführen können, doch ist ein Katalog letztendlich ein legitimerer Beleg. Abgesehen von seiner Eigenschaft als Kommunikationsmedium dokumentiert er ein bereits vergangenes Ereignis, ist also zugleich Dokumentation, Archiv und Beweis der Ausstellung. Wenn man die Früchte seiner Arbeit nicht sofort ernten kann, so bleibt der Katalog in der Kunstwelt das beste Dokumentationsmedium, ist er doch weltweit erhältlich und wie Ausstellungen über die ganze Welt verstreut. Doch hier handelt es sich, um einen bekannten surrealistischen Spruch etwas unbeholfen zu paraphrasieren, um einen Katalog ohne Kunstwerk, das noch dazu nicht ausgestellt wurde.
Der performative Aspekt des Projekts verweist implizit auf einen altbekannten soziologischen Mechanismus, den der amerikanische Soziologe Robert K. Merton »self- fulfulling prophecy« genannt hat. Dieser ging von folgender These von W. I. Thomas aus: »Wenn Menschen bestimmte Situationen als real gegeben annehmen, dann hat dieser Glaube reale Folgen«. Der erste Teil dieser Behauptung erinnert uns nachdrücklich daran, dass Menschen nicht nur auf objektive Situationsmerkmale reagieren, sondern auch – und gelegentlich vor allem – auf die Bedeutung, die sie einer Situation geben. Diese Bedeutung bestimmt, einmal festgelegt, das kommende Verhalten, welches seinerseits wieder reale Folgen haben wird. Erweitern wir doch diese These. Die kollektiven Auffassungen einer Situation (Prognosen, Erwartungen, Hörensagen) sind selbst Teil der Situation und beeinflussen daher deren weitere Entwicklung. Die »self- fulfulling prophecy« beginnt mit einer falschen Auffassung der Situation, bedingt dadurch neues Verhalten, das die ursprünglich falsche Auffassung rückwirkend bewahrheitet. Im Fall von »I’ll stop believing« hieße die »self-fulfulling prophecy« »Fake it till you make it«. Sie könnte also – im Stillen – in einen entfernten Dialog mit dem Künstler Chintan Upadhyay aus Bombay treten, der einen Beitrag unter der Parole vorschlug: »Ich möchte ein internationaler Künstler sein« – als könnte der bloße Wille dies erreichen.
Zudem hat »I’ll stop believing« noch einen Aspekt, der die konzeptualistische Funktionsweise der Arbeit über Studentenscherze à la Cattelan hinaushebt. Ruth Sacks behauptet nämlich, dass ihr die Idee zum Projekt während der Arbeit an einem Bewerbungsportfolio ihrer Arbeit für europäische Galerien gekommen ist: »Ich kam darauf, dass ich Projekte erfinden könnte, ohne dass viele einen Unterschied bemerken würden, wenn ich nur eine glaubhafte Dokumentation anfertige. Deswegen baten Robert Sloon und ich die KünstlerInnen, ob sie nicht etwas zum Thema Lüge und Bluff machen könnten. Eine Ausstellung in Katalogform ist keine neue Idee, aber unser Thema ist besonders.«
Diese Feststellung verweist wieder auf das Gefühl, an der Peripherie zu sein – ein Gefühl, das nicht nur die gesamte südafrikanische Kunstszene in ihrer Stellung zum internationalen Betrieb kennzeichnet, sondern überhaupt alle KünstlerInnen, die am Beginn ihrer Karriere stehen. Sacks enthüllt uns damit auch den/die ideale/n LeserIn des Katalogs. Das Gefühl, am Rand zu stehen, außerhalb des Hauptschauplatzes, wird als Einschränkung empfunden, doch Sacks entdeckt darin auch einen Bewegungsspielraum, der zu einer gewissen Respektlosigkeit gegenüber der internationalen Kunstwelt führt. Diese genuine Respektlosigkeit des Projekts könnte man, wie anekdotisch sie auch sein mag, als fernes Echo aus früheren Protestbewegungen verstehen, die eine spektakuläre Gegenöffentlichkeit gegen die geopolitische Globalisierung des Kunstfelds schafften. Man denke an die Bewegung, die die von Okwui Enwezor geleitete Biennale von Johannesburg 1997 zum Teil eben deswegen zum Scheitern gebracht hat, weil sich die südafrikanischen KünstlerInnen ausgeschlossen gefühlt hatten. Oder an die brasilianischen KünstlerInnen, die unter dem Namen »artesvisuais_políticas« gegen die Gründung einer Zweigstelle des Guggenheim Museums in Rio mobilisiert hatten. Da dieses strittige Projekt noch dazu teilweise von öffentlichen Geldern gefördert worden war, wurde es zu einer echten Bedrohung für lokale Kulturinitiativen. Wenn man sich den Geist des idealen Lesers von Ruth Sacks vor Augen führt, so kann man sogar im Titel von »I’ll stop believing in you« schon den latenten Anspruch des Projekts erkennen. Der Titel stammt nämlich aus einem Lied von The Unicorns namens »I was born (a unicorn)«, dessen letzte Strophe nicht weniger bezeichnend ist:

We’re the Unicorns.
We’re more than horses.
We’re the Unicorns
And we’re people too!

Der ganze Bluff wird dadurch noch gesteigert, zumal die Mehrzahl der teilnehmenden KünstlerInnen unter falschem Namen firmiert. Da dieser Katalog nicht über seinen fiktiven Charakter hinwegtäuschen will, haben auch mehrere TeilnehmerInnen ein Pseudonym angenommen, darunter Robert Sloon. Alles in allem ist es überhaupt schwierig, Anzahl und Namen der beteiligten KünstlerInnen festzustellen, umso mehr als Ruth Sacks gerne ihre Spuren verwischt und andeutet, dass in Wahrheit sie allein alle Projekte im Katalog gemacht haben könnte. Außer für die LeserInnen der Publikation nach und nach Abgründe aufzureißen – fiktive Ausstellung, fiktive Werke, unsichere KünstlerInnen –, erzeugen die Pseudonyme eine Anonymität, die auf die Vorstellung einer unsichtbaren Elite verweist, die hinter den Kulissen im Geheimen an den Begleitumständen ihres öffentlichen Auftritts feilt: »Also: wenn KünstlerInnen zu Marken und KuratorInnen zu glamourösen Berühmtheiten werden, dann müssten unsere Markennamen doch den finanziellen Erfolg der ganzen Show garantieren können«.

 

Übersetzt von Thomas Raab

 

1 Dank an Ruth Sacks für eine Kopie ihrer Diplomarbeit (MFA) »Filling in the Gaps« (Universität Kapstadt 2007), aus der die Mehrzahl der Zitate entnommen wurde. Die restlichen stammen aus dem Nachwort des Katalogs.
2 Außer den beiden OrganisatorInnen beteiligten sich Kiluanji Kia Henda, Chad Rossouw, Gallerie Puta, Ed Young, Sebastian Charilaou, William Scarborough, Zama Kubu, Kathryn Smith, Suzyme, Daniel Halter, Cesare Pietroiusti, Giancarlo Norese, Karin Gavassa und Elan Gamaker an dem Projekt.