Heft 1/2009 - Artscribe


»Blacked Out. George Cup & Steve Elliott. Retrospektive«

27. September 2008 bis 16. November 2008
Kunstverein Wolfsburg / Wolfsburg

Text: Naoko Kaltschmidt


Wolfsburg. Aus dem Bewusstsein verschwunden: das deutsch-amerikanische Künstlerduo George Cup & Steve Elliott. Die beiden gebürtigen Niedersachsen gehörten »seit den frühen 1960er Jahren zu den einflussreichen Motoren der amerikanischen Minimal Art« (Katalog), doch nach jahrzehntelang geteiltem Arbeits- und Privatleben erfolgte 1986 eine doppelt tragische Zäsur, George Cup kam unter mysteriösen Umständen ums Leben, und Steve Elliott wurde des Mordes beschuldigt und inhaftiert. Das gemeinsame Werk blieb aufgrund der lange ungeklärten Schuldfrage und Inkriminierung Elliotts fortan völlig ignoriert, von institutioneller Seite wurde jede weitere Auseinandersetzung regelrecht blockiert – und zwar, obwohl ihre Arbeiten bereits in renommierten Sammlungen wie etwa der des Guggenheim Museums vertreten waren. Elliotts Rehabilitierung und Freilassung erfolgte erst 2007, doch auch für ihn fand die erste nun in Deutschland ausgerichtete Überblicksausstellung zu spät statt, er verstarb wenige Monate vor der Eröffnung.
Eine Geschichtsrevision, zu schön, um wahr zu sein. Denn es handelt sich hierbei um eine »als künstlerisches Projekt konzipierte Retrospektive«, wie der Programmtext äußerst sachte hinweist, deren Protagonisten also tatsächlich vollkommen erfunden sind. Der wahrlich virtuose Geschichtenerzähler hört auf den Namen Dirk Dietrich Hennig (geb. 1967), lebt und arbeitet in Hannover und tritt – wenig verwunderlich – gerne unter Pseudonym auf. Seit 1998 unternimmt der Konzeptkünstler diverse »Geschichtsinterventionen« im kunsthistorischen Kontext und bedient somit genau jene nach Sensationen und immer Neuem gierende Öffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit zu gewinnen die große Herausforderung darstellt. Vergleichbar mit dem scharfsinnigen Verwirrspiel eines Orson Welles, der in seiner berühmten Radioadaption von H.G. Wells’ »The War of the Worlds« (1898/1938) oder dem späten, nicht minder zynischen Filmessay »F for Fake« (1974) mittels dokumentarisch getarnter Fiktion die Mechanismen des jeweiligen Mediums eindrucksvoll zur Aufführung bringt, geht es Hennig wesentlich um die Inszenierungen von Kunst. Das Hinterfragen des Kunstbetriebs, der etablierten Wertmaßstäbe oder auch der Praktiken des Ausstellungswesens hängt damit untrennbar zusammen.
Bei der akribisch arrangierten Retrospektive »George Cup & Steve Elliott« scheute Hennig keine Mühen: Mit viel Liebe zum Detail wurden zwei Sammlungen fingiert, deren Bestände nun in der Ausstellung erstmals präsentiert werden – ein gewitzter Kommentar zu einem jüngst wieder einflussreicher werdenden Parameter im Kunstgeschehen: das nicht selten mit Exzentrik und Selbststilisierung aufwartende Mäzenatentum. Die hier vorgegebene Exklusivität und die teils im Unklaren bleibende Provenienz der Artefakte suggerieren in erster Linie eines: Authentizität. Umsicht und Kompetenz im Umgang mit historischem Material vermittelt der Hinweis, den »ursprünglichen« 8-mm-Film nun für die Schau in lediglich digitalisierter Version zu zeigen. Sogar ein eigenes »Researchcenter« wurde (wenn auch nur virtuell) eingerichtet. Der Aufwand lohnte sich besonders im Hinblick auf die quasi paratextuellen Bereiche wie Presseaussendungen, Ausstellungslabels, nicht zuletzt den Katalog, der erst bei eingehender Lektüre den Schwindel auffliegen lässt – man liegt wohl nicht gänzlich falsch, hier eine gewisse Gehässigkeit all jenen gegenüber zu erkennen, die nur flüchtig, halbherzig, mit bloß oberflächlichem Interesse Texte überfliegen, ohne sie kritisch zu lesen; andererseits ist diese Fälschung derart perfektioniert betrieben, dass es tatsächlich schwerfällt, misstrauisch zu werden. Doch genau um dieses Moment des Zweifels, des Rekapitulierens und Relativierens des eigenen Wissens geht es Hennig – und um die Bedingtheiten und Unzulässigkeiten von kanonisierten Konsenswahrheiten.
Wirklich gerecht wird man den Arbeiten Hennigs allerdings erst, wenn nicht nur diese institutionskritischen Aspekte, sondern auch die verschiedenen, wohl durchdachten Bestandteile eines solchen Oeuvres begutachtet werden. Denn trotz all dem konzeptuellen Anspruch spielt bei Hennig die Ausführung sehr wohl eine Rolle, schließlich geht es hier auch um Glaubwürdigkeit. Neben einigen Vitrinen, die »historische Dokumente« wie zeitgenössische Kunstmagazine, Kontaktabzüge oder auch montierte Schwarz-Weiß-Fotografien etwa mit Cup und Warhol »archivarisch« bereithalten, wird alles geboten, was das kunstaffine Herz höher schlagen lässt: Malerei und Übermalungen, Papierarbeiten, Objekte und Installationen, aber auch Künstlerbücher, Video- und Experimentalfilme oder Skizzen. Souverän werden diese verschiedenen Werkkomplexe in den behaupteten, realen Zusammenhang integriert. Oskar Fischingers abstrakte Filmkompositionen, russischer Konstruktivismus oder auch die amerikanische Farbfeldmalerei werden zu einer durchaus eigenständigen Variante der Minimal Art synthetisiert. Das Ergebnis sind diverse Deklinationen eines reduzierten Formenvokabulars, dessen entpersönlichter Gestus natürlich ebenso vortrefflich zu dieser Dekonstruktion der Autorschaft passt. Die plastischen Qualitäten der Farbe, das Überwinden der planen Leinwand hin zu Objektkunst und installativen Präsentationsmodi sowie der raumbezogene, mitunter überhöhende Einsatz von Lichtquellen – all diese Komponenten versteht Hennig mithilfe fundiertem kunsthistorischen Hintergrundwissen zu bedienen. Bestechend etwa die Lichtprojektion auf »Lightsquare Projection #3, 1972«, durchaus als eine Art Fortsetzung dessen zu verstehen, was Mark Rothko mit seinen Gemälden im Sinne hatte. Und so knüpfen sich Verbindungen und Verweise aus einem – wahren – Geschichtsfundus, womit die immense Bedeutung der Rezeption zum Thema wird. Auch Leonardo da Vincis »Mona Lisa« war schließlich vor dem Lobgesang eines Walter Pater nicht als Meisterwerk von ikonischem Rang bekannt. Hennigs Kunststück ist es, sich nicht nur die Mechanismen des Kunstbetriebes zunutze zu machen, indem er dessen Spielregeln blendend beherrscht, sondern diese Kenntnisse in eine sagenhaft wirksame Dramaturgie des Fabulierens umzusetzen.