Heft 3/2011 - Lektüre



Paul O’Neill & Mick Wilson (Hg.):

Curating and the Educational Turn

London (Open Editions/de Appel) 2010 , S. 74

Text: Johanna Schaffer


Ein wildes Buch haben Paul O’Neill und Mick Wilson gemacht: »Curating and the Educational Turn« fädelt 27 Beiträge hintereinander auf, die sich ergänzen, völlig widersprechen und oftmals auch wiederholen. Sie hätten die Texte absichtlich nicht geordnet, schreiben die Herausgeber, um Positionen als uneinheitlich und auseinanderfallend darzustellen, Unstimmigkeiten eben nicht zu domestizieren. Zwei oder drei der Texte sind Wiederabdrucke, die meisten jedoch stellen eingeladene Reaktionen auf die dem Buch zugrunde liegende These dar: dass das Kuratieren im Feld der Kunst gegenwärtig durch eine Wende hin zum Erzieherischen markiert sei. Damit ist nicht bzw. nicht nur gemeint, dass kuratorische Projekte sich zunehmend mit dem Thema Bildung auseinandersetzen, sondern dass das Kuratieren zunehmend als erweiterte edukative (erzieherische) Praxis operiert. Weitgehend bestätigen die Texte diese Beobachtung und problematisieren den ihr entsprechenden Stand der Dinge. Aber es gibt auch Widerspruch. Marion von Osten fragt, ob diese Formulierung nicht wesentlichere Fragen zu kognitivem Kapitalismus und einer wissens- und informationsbasierten ökonomischen Logik verstellt (zum Beispiel nach strukturell ungleicher Verteilung von symbolischem Kapital, mehr dazu auch in David Beechs Text). Eva Egermann stimmt ihr zu und betont den Widerspruch zwischen der schieren Menge an Ausstellungen, Events und Symposien, die sich dem Thema Bildung und Erziehung widmen, und dem eher vernachlässigbaren Effekt, den all dies auf die umfassenderen bildungspolitischen Kämpfe der letzten Jahre hat. Eine treffende Bemerkung, scheint mir, und ich denke dabei an »Bildung, Bildung, Bildung« als jene drei Topprioritäten des New-Labour-Premierministers Tony Blair, die dieser 1996 präsentierte (und an die Effekte, die diese Konzentration für das Kunstfeld genau in Bezug auf den Schwerpunkt Bildung hatte – unter anderem hat Carmen Mörsch darüber gearbeitet). Während am 14. April 2011 der »Guardian« den händeringenden Rektor der University of the Arts London (UAL), Großbritanniens größter Kunst- und Designuniversität, mit den Worten zitiert: »Wir müssen davon ausgehen, dass wir privatisiert werden. Ab 2015 werden wir keinerlei öffentliche Finanzierung mehr erhalten.«
Weiter mit Einsprüchen: Irit Rogoff (in einem der wiederabgedruckten und damit sehr gezielt als Widerspruch gewählten Texte) betont den Unterschied zwischen einer Drehung (turning) als aktiver und kritischer Bewegung, und deren Branding, das heißt der Belegung mit einem Markennamen, durch den sie zu einem wiedererkennbaren Stil gerinnt, der sich dann für allerlei Arten von Produktion aneignen lässt (vom Kuratieren über Projekteinreichungen-Verfassen bis hin zur Generierung von Forschungsergebnissen). Und Daniel Buren schließlich meint, dass nicht erst seit der auf »100 Tage Schule« basierenden documenta 5 von 1972, sondern eigentlich immer schon das Kuratieren mit einem didaktischen Anspruch zu tun habe. (Wobei mit einem für das Kunstfeld üblichen Ressentiment bei Buren Didaktik das eine ist, aber die künstlerische Arbeit als solche entschieden etwas ganz anderes.) Lustig auch Burens Gedanke, dass die Institutionen (er spricht von denen der Kunst) völlig flexibel seien – es sein müssten, da ihr Überleben von dieser Beweglichkeit abhinge. Und es also an den KünstlerInnen sei, radikale oder eben regressive institutionelle Verhältnisse zu erzeugen, denn wenn deren Arbeiten nur radikal genug seien, dann müssten ihnen die Institutionen in der Radikalisierung auch folgen. Das ist freilich nur deswegen nicht eindimensional, sondern inspirierend, weil es im Kontext eines Buchs steht, das sich grundlegend für gegeninstitutionelle, emanzipatorische, und möglichst wenig instrumentalisierte Praktiken interessiert. Und dies sehr explizit vor einem umfassenderen politischen Hintergrund tut, der kulturelle Tätigkeiten als Serviceleistungen und Produktionseinrichtungen für nützliches Wissen formatiert. Also stellt sich die Frage nach anderen Wissensbegriffen und -formen, zum Beispiel nicht intendierte, nicht anerkannte, inoffizielle und unnütze Wissensformen (Annette Krauss, Emily Pethick und Marina Vishmidt); es stellt sich die Frage nach einem Verständnis von Wahrheit nicht als Aussage über die Welt, sondern als etwas, an dem wir auf irreduzible Weise hängen (Simone, 16 Beaver Group); und schließlich auch, mit all dem zusammenhängend, die Frage nach dem pädagogischen Moment als Situation vielfacher Übertragungsformen vielfacher Erfahrungen (noch einmal Simone).