Heft 1/2016 - Artscribe


to expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer

Künstlerische Praktiken um 1990

10. Oktober 2015 bis 14. Februar 2015
mumok / Wien

Text: Holger Kube Ventura


Wien. to expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer – das könnte die Liste der Sollfunktionen einer Ausstellung sein oder der Möglichkeiten künstlerischen Schaffens im Allgemeinen. Was unter diesem Titel im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien gezeigt wurde, war jedenfalls weniger eine Kunstausstellung als vielmehr eine umfangreiche Präsentation von Materialien zu Kunstprojekten der 1980er- und 1990er-Jahre, deren kleinster gemeinsamer Nenner in ihrer kritischen Haltung zu Kunstausstellungen und -institutionen lag. Damals waren zahlreiche Ansätze zu beobachten, die an konzeptuelle Post Studio Practices der 1970er-Jahre anknüpften und mittels journalistischer Verfahrensweisen soziale, ökonomische, wissenschaftliche oder kulturelle Formationen als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse interpretierten. Kunst formulierte sich in kontextualistischen Modellen und Versuchsanordnungen, als Resultat aus Konzeption, Archivarbeit, ortsbezogenem Eingriff und Illustrierung. Bei Gruppierungen wie etwa BüroBert, minimal club, Frauen&Technik, Botschaft oder FrischmacherInnen wurde das objekthafte Werk in einer Projektkultur aufgelöst, die in fragmenthaften Installationen aus Texten und Fundstücken mit Ton- und Videodokumentationen mündete und sich oft ganz selbstverständlich wenig um Bezüge zum Kunstsystem kümmerte. US-amerikanische Gruppierungen wie zum Beispiel Group Material, Paper Tiger TV oder Gran Fury und ein im Zuge der Aidskrise virulenter politischer Aktivismus, der eben zielorientiert auch mit künstlerischen Mitteln operierte, waren in Europa zu wichtigen Referenzen geworden.
Spürbar wurde der Wandel künstlerischer Praktiken besonders im Jahr 1993: Die plötzlich engagiert auftretende Whitney Biennial in New York, Culture in Action in Chicago, Sonsbeek 93 in Arnheim, Project Unité in Firminy, Oppositionen & Schwesternfelder in Wien und Kassel, Backstage in Hamburg und Luzern, On Taking A Normal Situation in Antwerpen, Kontext Kunst in Graz, Integrale Kunstprojekte in Berlin, Fontanelle in Potsdam, Real in Salzburg, Wien und Graz und viele andere gaben den Anlass, um von einer „neuen soziologischen Form“ im Kunstbetrieb zu sprechen. Es entstand ein Zusammenhang, ein Netzwerk von Kulturproduzierenden, dessen Entwicklungsgeschichte über Zeitschriftengründungen wie A.N.Y.P., Texte zur Kunst, Die Beute, springer und ein paar Jahrgänge der Spex verlief – über Orte wie den Kölner Friesenwall 120, den Berliner Friseur, die Zürcher Shedhalle, das Wiener Depot, das Künstlerhaus Stuttgart oder den Münchner Kunstverein – über große Zusammenkünfte wie das Kölner Rahmenprogramm zur Unfair 1992, die Münchner Sommerakademie 94, das Lüneburger Services-Projekt 1994, die Kölner Messe2ok 1995, die Berliner Minus-Messe96, bis hin zum Kasseler Hybrid Workspace der documenta 10 1997.
Die gut recherchierte Präsentation im mumok stellte eine Vielzahl der in diesem Bezugsfeld entwickelten künstlerischen Praktiken um 1990 vor und bot damit eine einmalige Gelegenheit, durch stundenlanges Stöbern in sonst schwer auffindbaren Materialien ein Gefühl von Themen und Haltungen in dieser Zeit der politisch-künstlerischen Zusammenhänge zu bekommen. So manches damalige Projekt erinnerte an eine Interventionskraft, von der man heute nur noch träumen kann – und manch anderes wirkte ein Vierteljahrhundert später eher niedlich. Viele Projekte waren schon damals spröde und ohne Kenntnis der jeweiligen Kontexte kaum verständlich gewesen, bei ihrer Musealisierung im mumok kam nun erschwerend aber eine kuratorische Verrätselung des jeweiligen Status der Exponate hinzu: Oft war unklar, ob es sich um ein damaliges Kunstwerk, ein heutiges Remake oder um einen Dummy handelte, ob es eine Reproduktion, ein Ausschnitt davon, eine Dokumentation, Requisite, Hintergrundmaterial oder Ausstellungsdesign war (wie zum Beispiel die Fototapeten an den Notausgängen) und wer hier welche Entscheidungen über kollektive Projekte getroffen hatte. Was zum Beispiel sollte ein aus kopierten Blättern gebautes Modell des Projektraums Friesenwall 120 von den dort damals lancierten Kunstprojekten erzählen und wieso eigentlich wurde Fareed Armalys Contact (1992) für die Ausstellung neu gestaltet? Warum konnte Fred Wilsons Installation Guarded View (1991) nur als Fotodokumentation gezeigt und gleichzeitig zum Beispiel der riesige Originaltisch von Christian Philipp Müllers Projekt Grüne Grenze (1993) real ausgestellt werden, der aber ohne eine Fotodokumentation der damaligen Installation in Venedig doch völlig witzlos ist? Wie interessant Mark Dions The Department of Marine Animal Identification of the City of New York (1992) wirklich gewesen ist, zeigte leider nur ein Foto, das auf der Rückseite dieser in Wien nur fragmentarisch ausgestellten Installation klebte. Manche Projekte wie etwa Stephen Prinas Installation Monochrome Paintings (1989) erhielten im mumok enorm viel Platz, während viel wichtigere Referenzprojekte nur als Sekundärmaterial in Vitrinen vorkamen – auf derselben Ebene wie die Zeitschriften dieser Zeit. Einige der Periodika wurden sowohl als exquisite Einzelobjekte unter Glas fetischisiert und zugleich aber im sogenannten Lesebereich zum Studieren angeboten. Nur dort fanden sich im Übrigen alle Projekte von Gruppierungen aus zum Beispiel Berlin, die offenbar – wie vieles andere auch (WochenKlausur, Peter Weibel, Techno, Internet usw.) – nicht wirklich in das von Kurator Matthias Michalka behauptete Bezugsdreieck der Städte Wien, Köln und New York gepasst haben.
Verstärkt wurden solche Irritationen durch die Dominanz von Architektur und Displays der Ausstellung. Völlig unnachvollziehbar verbarrikadierten künstliche Säulen Martha Roslers If you lived here ... (1989), Group Materials Democracy (1988) und Renée Greens Import/Export Funk Office (1990) und während die zur Präsentation von Christopher Williams Bouquet for Bas Jan Ader (1991) gebaute künstliche Wand essenzieller Bestandteil von dessen damaliger Konzeption war, standen andere vor Wände gebaute Wände nur dekorativ im Raum herum oder wurden etwa mit Fotografien von Zoe Leonhard behängt. Sehr störend war die skulpturale Wirkung der dunkelbraunen, kathederartigen Auslagemöbel, die sich als diagonale Barrieren behauptend durch die Säle zogen, insbesondere dort, wo sie direkt mit auf den White Cube bezogenen Rauminterventionen zum Beispiel von Gerwald Rockenschaub oder der Gruppe Wien konkurrierten. Das damalige Hinterfragen von Formen und Inhalten des Ausstellens heute auf solche Weise auszustellen, „orientiert sich“ (Pressetext) – eben nicht! – „an den ursprünglichen künstlerischen Produktionszusammenhängen“, sondern macht diesen Praktiken ästhetisch den Garaus. Vielleicht hätte eine kulturwissenschaftliche Perspektive zu einem besseren Ergebnis bei diesem eigentlich sehr verdienstvollen Ausstellungsvorhaben des mumok geführt.