Heft 4/2016 - Netzteil


Asteroiden, NASA, Andromeda

Der synthetische Materialismus von Pakui Hardware

Christian Höller


Ein Markenzeichen postdigitaler Kunst ist ihr unaufgeregtes, geradezu selbstverständliches, oft auch freches Verhältnis zu Materialitäten aller Art. So greift sie nicht bloß gerne auf synthetische Stoffe, die gerade erst in Umlauf gekommen sind, zurück, sondern ergeht sich vielfach auch in deren transgressiver Zurichtung und kontraintuitiver Ausgestaltung. Ungeachtet jeder konventionellen Logik, was noch alles als ästhetischer Gegenstand durchgehen mag, generiert sie materielle Zumutungen, die nichtsdestotrotz eine oft nicht erkannte kritische Funktion haben: unterscheiden bzw. erkennen zu lernen, wie kümmerlich unserer heutiges Materialitätsverständnis rückblickend gewesen sein wird; wie rückwärtsgewandt selbst unser Blick nach vorne immer schon war und sein wird. Aber klarer wird dies erst werden, wenn die in Auflösung bzw. Erweiterung befindliche Idee von (humaner und nicht-humaner) Körperlichkeit in neue Orbits vorgedrungen sein wird. Beliebte „Tags“ wie Neuer Materialismus, Transhumanismus oder objektorientierte Ontologie beschreiben dieses Szenario nur unzureichend, da sie alle nolens volens auf bestimmten Begriffsapparaten aufbauen, wo doch ein unumkehrbarer Umbau herkömmlicher Begrifflichkeiten und Denkmuster mit auf dem Spiel steht.
Künstlerische Ansätze tun sich diesbezüglich leichter, als sie die neuen Materialien und die in sie eingelassenen Möglichkeiten einfach fließen lassen können. Nicht dass dies alleine schon so etwas wie ein kritisches Zukunftsbewusstsein schaffen würde, weit gefehlt, aber der oft forsche und ans Unausgesprochene rührende Materialeinsatz verleiht einer ganz spezifischen Symptomatik Ausdruck, die entgegen aller Finitheits- und Bestimmtheitsfantasien ins Offene, ja noch Undefinierte tendiert. Was hier vonstattengeht, ist, so paradox wie prickelnd dies klingen mag, eine Synthetisierung des Unsynthetisierbaren – Letzteres deshalb, weil noch gar nicht erkannt, geschweige denn ausgemacht ist, wozu diese Stoffe und Formen womöglich noch taugen werden. Was ihre emanzipatorische, wenn man so will, oder aber ihre paralysierende, alle Restfreiheit erstickende Funktion sein wird.
Pakui Hardware, das KünstlerInnenduo bestehend aus Neringa Černiauskaitė and Ugnius Gelguda, sind MeisterInnen solch synthetisierender Materialitätsauslotung. In ihrer Ausstellung Vanilla Eyes im Wiener mumok steht man zunächst vor einem installativen Rätsel, dessen Bestandteile aus einem aspetischen Hightechladen zu stammen scheinen: UV-Drucke, Plexiglas, Aluminium, ein Laptopventilator, Stative, viel Silikon, ein Luftbefeuchter, Glasfaserfäden, schließlich eine Nanoskulptur. All das ist um eine, den Raum der Längsachse nach teilenden – nahezu unsichtbaren – Wand arrangiert. Als hätten Aliens oder aus fremden Galaxien stammende Künstlernaturen einen Parcours für uns eingerichtet, dessen Entschlüsselung zwangsläufig misslingen muss. Hier führt nicht eins zum anderen, räsoniert nichts – zumindest auf Anhieb nicht – von so oder so verfassten Kontexten her, oder lässt gewiefte Decodierer, die KunstbetrachterInnen nun einmal sind, womöglich noch so entlegener Bedeutungen habhaft werden. Gängige Kunstsemantiken laufen zielstrebig ins Leere, während das Arrangement, in sich stimmig und widerstrebig zugleich, vor allem mit sich selbst korrespondiert. Wie ein futuristischer Trümmerhaufen oder besser: ein dreidimensionales Diagramm, das eine unbekannte Intelligenz nach uns unzugänglichen Kriterien und ästhetischen Vorlieben ersonnen hat. Synthetisch-organisch wölbt sich hier ein Fremdkörperensemble erratisch in den Raum, den man gleichwohl Schritt für Schritt durchmessen kann, ohne dem Syntheseprinzip, der spezifischen Raumkerbung, die hier vonstattengeht, auch nur einen Deut näherzukommen.
Aber es sind nicht nur die verwendeten Objekte und Materialien, die entscheidend zum Anflug luftigen Befremdens beitragen. Vielmehr macht der von Pakui Hardware hinter der Installation aufgespannte Referenzapparat den Effekt des – sinnlichen wie intellektuellen – Vor-den-Kopf-Gestoßen-Werdens perfekt. Zukunft und Vergangenheit, Spekulation und Welt von gestern, historischer und künftiger Materialismus gehen hier Hand in Hand, ja erschaffen eine Mixtur aus referenziellen und tendenziell ins Nichts schießenden Verweisen, welche die hier vorexerzierte Nichtrückführbarkeit auf Vertrautes noch unterstreicht. Etwa indem ein Designelement – ein ausfaltbarer Keimfreianzug – aus dem Sci-Fi-Film The Andromeda Strain (1971) mehr angedeutet als tatsächlich nachgebaut ist und sich im Gegensatz zum Film, wo er der Handhabe und Identifizierung eines außerirdischen Erregerstamms dient, auf nichts hin öffnet. Waren (und sind) außerterrestrische Lebensformen, möglicherweise an- oder antiorganisch, wie The Andromeda Strain es suggeriert, der ideelle Knackpunkt jeglicher transhumanistischen Erwägung, so machen Pakui Hardware daran eine zweifache, nicht unbedingt kongruente Bewegung fest: einerseits ein im Ansatz schockhaftes, nicht wirklich prognostizierbares Konfrontiertsein mit einer anderen Art von Leben – „pure life“, das sich mehr in einem geheimnisvollen Surren und allerlei Gerüchen als in irgendeiner Art von organischer Manifestation äußert; und andererseits, worauf der Titel der Ausstellung anspielt, das immer stärkere Ausgeliefertsein an Prozesse der synthetischen Biologie, die Körperlichkeit insgesamt mehr als beliebig gestaltbare Rohstoffmasse ansieht denn als (auf welche Weise auch immer defiziente) organische Einheit. Die Vanilleaugen mögen zwar als posthumane Wunschoptimierung des Körpers noch weit entfernt sein, im Labor brodelt es aber schon gewaltig.
Die befremdliche Mixtur aus synthetischer Biologie und galaktischer Life Science, die Pakui Hardware so behände inszenieren, erhält noch auf einer weiteren Ebene Nahrung, die gleichfalls in das installative Setting hineinspielt. Im November 2015 verabschiedete die US-Regierung den sogenannten „Space Act“, auch „Asteroid Act“ genannt, der den Ressourcenabbau auf erdnahen Asteroiden freigibt.1 Was als futurologische Alternative zum allmählichen Rohstoffversiegen auf der Erde eher skurril anmuten mag, lässt findige Unternehmen wie Deep Space Industries schon hoffnungsfroh in den Startlöchern scharren. Das Szenario, heute noch weitgehend fiktiv, sieht im Einklang mit der fortschreitenden Automatisierungsideologie vor, die Arbeit da draußen von synthetischen Mikroorganismen verrichten zu lassen: Cyanobakterien etwa, auch Blaualgen genannt – weshalb Vanilla Eyes mit zwei Becken und einem Längskanal mit himmelblau gefärbter Flüssigkeit ausgestattet ist. Darin tümpelt und qualmt, ein wenig gar verspielt, ein Luftbefeuchter, der seinen Output in Richtung mehrerer auf zackigen Ständern befestigten Pentaprints® weitergibt. Diese wiederum zeigen UV-Drucke ominöser Motive (Weltraumaufnahmen und Planetenoberflächen) aus dem NASA-Archiv. Und wem das als bizarre Zukunftsvision noch nicht genug ist, dem seien noch die petrifizierten Sneaker mit glitzernder Schuppenhaut, um die sich lichtgefüllte Schläuche ranken, anrekommandiert.
Pakui Hardware erweisen sich hier als ebenso visionslustige wie kühne, auch vor abstrusesten synthetischen Verbindungen nicht zurückschreckende MaterialtesterInnen. Eine lebenswerte Zukunft mag anders aussehen, aber Menschenwürde – das weiß die Generation von Pakui inzwischen recht gut – war gestern und lässt sich nicht durch jammerndes Beschwören nicht mehr behebbarer Mängel zurückgewinnen. Wohin wir unterwegs sind, wissen womöglich die endlos synthetisierbaren „neuen“ Materialien besser als wir selbst.

http://www.pakuihardware.org/

Pakui Hardware, Vanilla Eyes, mumok Wien, 4. Juni bis 9. Oktober 2016.