Heft 4/2017


Global Limits

Editorial


Wachstum und Wohlstand. So lässt sich die heute global vorherrschende Ideologie, ungeachtet jeder politischen Links-Rechts-Zuordnung, kürzestmöglich zusammenfassen. Alles muss ständig wachsen, allem voran die Wirtschaft, dann geht es allen gut, auch der Kunst. Alle haben sich einen gewissen Wohlstand verdient bzw. sind individuell in immer größerem Ausmaß für diesen selber verantwortlich. Und gerät dieser Wunschzustand einmal ins Wanken, hat man schnell die vermeintlich Schuldigen ausgemacht (Flüchtlinge, SozialschmarotzerInnen und andere, die uns auf der Tasche liegen).
Dabei stoßen Wachstum und Wohlstand, als weithin gültige Ideologeme, denen jede und jeder ungefragt zustimmen kann, lange schon an massive Grenzen. Und zwar auf einer viel grundlegenderen Ebene, als der Reichtum (oder die Armut) einzelner Gesellschaften oder Staaten dies widerspiegelt. 45 Jahre, also fast ein halbes Jahrhundert, ist es beispielsweise her, dass die berühmte Club-of-Rome-Studie Die Grenzen des Wachstums (1972) erschienen ist. Mit eindrücklichen Warnungen vor dem drohenden Versiegen natürlicher Rohstoffe und den katastrophalen Auswirkungen weltweiter Umweltzerstörung bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum und fortwährender Industrieankurbelung stellte die Studie ein markantes Ausrufezeichen inmitten der westlichen Fortschrittserzählung dar. Wissenschaftlich fundiert wurden damit einer breiten Öffentlichkeit Limitationen vor Augen geführt, die in der bis dahin vorherrschenden technokratischen Denkungsart kaum einen Platz hatten – ein Umstand, der schließlich auch zur sukzessiven Ausprägung eines ökologischen Bewusstseins und der Gründung entsprechender politischer Bewegungen beitrug.
Fast ein halbes Jahrhundert später lässt sich resümieren, dass wenig bis nichts aus den damaligen Berechnungen und Prognosen gelernt wurde. Die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe ist inzwischen bei den für die IT-Industrie so wichtigen Seltenen Erden angelangt, fossile Brennstoffe stehen nach wie vor hoch im Kurs. Plastik ist in Form von Abfall bis in den letzten Winkel der Welt vorgedrungen. Die vom Menschen verursachte Erwärmung, beschönigend meist Klimawandel genannt, wird von führenden PolitikerInnen vielfach ignoriert oder überhaupt abgestritten. Und die Energiegewinnung erfolgt in weiten Teilen der Welt nach wie vor nach Standards, die den Globus überspitzt gesagt dem sicheren Wärmetod zutreiben.
Grenzen des Wachstums (und Wohlstands) also, wohin man blickt, auch wenn viele FortschrittsapologetInnen dies nicht wahrhaben wollen. Katastrophische Bedingungen für das künftige ökologische Wohlergehen aller (mit entsprechenden Konsequenzen), was zwar immer stärker in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung tritt, ohne dass dabei jedoch die reale Tragweite des Ganzen abgeschätzt werden könnte. Grund genug, sich in der Ausgabe Global Limits aktuellen Symptomatiken und Ausformungen der immer dringlicheren ökologischen Schieflage zu widmen: Ausprägungen, wie sie die Welt als Ganze erfasst haben und seit Längerem auch in Kunst und Kultur reflektiert werden. Wobei dieses Reflektieren oft genug bei einem hilflos anmutenden „Rettenwollen der Natur“ oder romantisch verbrämter Erdverbundenheit stehen bleibt.
Timothy Morton, Vordenker einer „Ökologie ohne Natur“, legt im Interview die Gründe dar, warum ein wahrlich ökologisches Denken, das diesen Namen auch verdient, sich von „Natur“ im klassischen Sinn besser verabschieden sollte. Mortons aus verschiedensten Disziplinen gespeister Ansatz geht von der profunden symbiotischen Verbundenheit des Menschen mit dem Nichthumanen aus – was als politische Konsequenz eine über das Menschliche hinausreichende Solidarität mit ebendiesem, selbst wieder vielfach verzweigten Nichthumanen erfordert. Diese Art von „finsterer Ökologie“ hallt auch in anderen Beiträgen dieser Ausgabe wider, etwa in Matthew Fullers und Olga Goriunovas Ausführungen zum Begriff der Devastierung. Diesen versuchen die beiden entgegen aller Orthodoxie von seiner Kehrseite, sprich einem alle Intention und Zielgerichtetheit überschreitenden „Werden“ her zu denken – was handfesten Katastrophen wie Atomunfällen oder Öllecks eine noch drastischere Dimension verleiht.
Wie sich unser Bild der Erde im Zuge von Raumfahrt- und Informationstechnologie unablässig gewandelt hat und so auch auf ein zu schärfendes ökologisches Bewusstsein abfärbt, untersucht Vera Tollmann in ihrem Beitrag. Auch Brian Holmes setzt in seinem Essay bei dieser erweiterten, technisch vermittelten Perspektive an. Holmes diskutiert anhand von „lebenden Flussläufen“ im Mittleren Westen der USA, inwiefern sich heute gleichsam weltumspannende „Empathiemaschinen“ von Kunstseite aus schaffen lassen. Diese Art Maschine, so Holmes’ Fazit, müsse sich selbst neuester Technologie bedienen, um einen über den einzelnen Menschen hinausreichenden, globalen Ökokörper herstellen zu helfen.
Wie es um diesen Körper im Zeitalter des Anthropozäns in sozialer Hinsicht bestellt ist, erläutert der Kulturwissenschaftlicher McKenzie Wark im Interview und tritt dabei für eine alternative Form von Realismus ein. Suely Rolnik schließlich verbindet Überlegungen zum Ökokörper mit der Sphäre mikropolitischer Aufstände und legt dar, warum eine makropolitische Sichtweise, welche die maßgeblichen AkteurInnen als festgelegte subjektive Identitäten betrachtet, hier nicht mehr ausreichend ist.
Zusammen werfen die Beiträge dieser Ausgabe einander ergänzende Schlaglichter auf die Grenzen des Globalen – verstanden als ökologisch unterfüttertes Gefüge. Nur von diesem „dunklen“ Unterbau her, so das gemeinsame Credo der hier versammelten AutorInnen, lässt sich das täglich zunehmende globale Ungleichgewicht kritisch in den Blick nehmen.