Heft 3/2018 - Netzteil


Kopie, Glitch, Fehler

3D-Scan als widerständige Praxis

Justin Hoffmann


Spricht man heute vom Scannen des menschlichen Körpers, wird einem gewöhnlich etwas mulmig zumute. Wir denken an Körperscans in Flughäfen, von denen wir auf der Suche nach Waffen oder Bomben durchleuchtet werden. Oder wir assoziieren damit das 3D-Scannen der Computertomografie, das womöglich bislang nicht erkannte Krankheitsherde entdeckt. Alles keine angenehmen Vorstellungen.
Das 3D-Scannen, von dem hier die Rede ist, ist weitaus freundlicher und funktioniert ganz anders. Die Abtaststrahlen dieser Scanner dringen nicht unter der Haut, sondern bleiben an der Oberfläche, was allein schon den ungefährlichen Charakter dieses Verfahrens belegt. Im Unterschied zur Foto- oder auch Filmkamera werden beim 3D-Scannen Daten auf räumlicher Ebene erfasst, was mithilfe entsprechender Drucker dreidimensionale Ergebnisse produziert. Damit können fotografische und skulpturale Intentionen verbunden sein. In der Praxis wird das 3D-Scannen häufig im Zusammenhang mit dem 3D-Druck verwendet; um das ästhetische Potenzial des Scannens sichtbarer zu machen, wird es aber zunehmend prozessual in Form eines Films visualisiert.
Bis heute konnte das 3D-Scannen seinen Sensationscharakter bewahren. Immer wieder wird das Scannen als Aktion zwischen Wunderkammer und Jahrmarktsattraktion (zu denen das 3D-Sehen allerdings traditionsgemäß gehört) dargestellt. Im September 2016 lud die Royal Academy of Arts in London zu The Veronica Scanner: Live 3D Portraiture ein. Ein großes kugelförmiges Objekt, das einem Jules-Verne-Roman hätte entstammen können, stellte unter der Leitung des Künstlers Manuel Franquelo Giner 3D-Kopfporträts her. Der Titel Veronica, die Zusammensetzung von „vera“ (= wahr) und „icon“ (= Bild), sollte die große Realitätstreue dieses Verfahrens suggerieren. Dieser Scanner bediente sich acht Kameras, um eine Allround-Aufnahme zu produzieren. Damit entstanden extrem hochauflösende Darstellungen in einer Mischform aus Fotografie und Photogrammetrie. Bei Letzterem handelt es sich um ein Messverfahren, das die genaue räumliche Lage und dreidimensionale Form eines Objekts bestimmt. Das elektronische Abtasten mit Lesegeräten, die man herkömmlich als Scanner bezeichnet, verspricht eine Genauigkeit der Darstellung, die zuvor nicht geleistet werden konnte. Deshalb können mit 3D-Scannern exaktere Kopien von skulpturalen Arbeiten hergestellt werden als mit traditionellen Gießformen, wie wir sie beispielsweise von Metallskulpturen kennen.

Kopieren als politische Handlung
Noch sind es meist rechtlich unproblematische Aufträge, die von 3D-Scan-KünstlerInnen angenommen werden, etwa die Nachbildung archäologischer Fundstücke für Unterrichts- oder Forschungszwecke. Aber wer weiß, schon bald könnte aus dem 3D-Scan und -Druck ein neuer Fälscherzweig entstehen. Ein Problem besteht dabei in der Oberflächenwirkung des jeweiligen Materials. In der Regel sind es Kunststoffe, die für den 3D-Druck Verwendung finden, aber durch die Beimischung von Metallpulver oder Holzpartikeln können entsprechende Materialeffekte erzielt werden. Zur Kunstaktion, ja zur widerständigen Praxis wird diese Art des Kopierens, wenn sie mit kulturpolitischen Absichten verbunden wird. Die in Berlin lebenden KünstlerInnen Nora Al-Badri und Jan Nikolai Nelles gaben an, in einer heimlichen Aktion 2015 die Büste der Nofretete im Neuen Museum Berlin gescannt zu haben. Sie nennen die im 3D-Druckverfahren entstandene Skulptur The Nefertiti Hack oder The Other Nefertiti. Als Protest gegenüber dem einstigen Kunstraub in der Kolonialzeit und als symbolische Rückführung nach Afrika vergruben die beiden KünstlerInnen ihre Büste in der Wüste. Die 3D-Daten ihres Scans stellten sie als Torrent-Download für alle zugänglich ins Netz. Statt einen wertvollen Gegenstand zu stehlen, ist es mit der Technologie des 3D-Scans möglich, diesen zu kopieren, zu dekontexualisieren und damit eine pointierte Aussage zu treffen. Politisch-künstlerische Intentionen können somit verwirklicht werden, ohne gleich eine gravierende Straftat zu begehen.

Die ästhetische Kraft des Fehlers
Der Hamburger Musiker Knarf Rellöm wusste es schon lange. Fehler sind einzigartig, irritierend, überraschend und spannend. Fehler ist King nannte er sein legendäres Album aus dem Jahr 1999. Inzwischen zum elektronischen Musikproduzenten gewandelt, hat er das Herstellen von Fehlern inkorporiert und nennt sich „King Fehler“. Was man in der analogen Musik als Fehler oder falschen Ton bezeichnet, wird im digitalen Zeitalter „Glitch“ genannt. Der Begriff „Glitch“ wurde im Bereich der Kultur zuerst in der elektronischen Musik im Umfeld von Techno verwendet und bedeutet ein digitales, zufälliges Störgeräusch. Gerade in der Clicks-&-Cuts-Strömung, die um das Jahr 2000 vor allem das Frankfurter Label Mille Plateaux repräsentierte, wurde es häufig benutzt. Die arbiträren Klangergebnisse prägten damals den Sound zahlreicher Produzenten populärer elektronischer Musik wie Farmers Manual oder Oval.
Die bildenden Künstler Fabian Hesse und Mitra Wakil arbeiten ebenfalls mit Glitches, jedoch mit jenen, die bei Softwareprogrammen des 3D-Scans auftreten. Vergleichbar mit Sigmar Polke, der mit der Technik der Fotokopie so umging, wie man es im konventionellen Gebrauch gerade nicht machen soll, das heißt mit Verwischungen, Verzerrungen oder Flecken, sind Hesse/Wakil an der außergewöhnlichen Formulierung des Glitch interessiert. Gerade aus dem nicht perfekten, fehlerhaften Scannen entstehen Formen, welche die beiden beispielsweise für ihre zweiteilige Aluminium-Figurengruppe Westpark Clouds (2015/16) verwendeten – eine Figurengruppe auf einem Platz in München. Köpfe sehen wie aufgerissen aus, Gesichtsprofile werden in die Länge gestreckt, Körper wirken ineinander verwoben oder verschmolzen.
Mit Al-Badri/Nelles verbindet Hesse/Wakil die Open-Source-Mentalität. Ihre Softwareentwicklungen und -anwendungen werden stets allgemein zugänglich gemacht. In ihrer Arbeitsweise beziehen sich Hesse/Wakil dabei immer wieder auf künstlerische Bewegungen der 1960er-Jahre. So erfand etwa die Situationistische Internationale das „Dérive“, ein zielloses, aber aufmerksames Umherschweifen in der Stadt, und auch Hesse/Wakil unternehmen Spaziergänge mit eingeschaltetem Scangerät, die sie in Anspielung auf die Aktionen der revolutionären Künstlerorganisation als „3Dérive“ bezeichnen. Sie nehmen dabei Situationen nicht mit dem Auge oder Kameraauge auf, sondern mit einem 3D-Scanner. Oder sie beziehen sich auf Fluxus-Scores, Handlungsanweisungen, die sie aufgreifen und mit dem 3D-Scanner aufzeichnen. Die Abläufe können dann als Filme abgespielt werden.
Vergleichbares gibt es seit Längerem auch in der elektronischen Musik. Eine spezielle Form des Aufnehmens und Verarbeitens von Klängen aus der unmittelbaren Umgebung findet sich etwa bei dem Multimediakünstler und Techno-Produzenten Robin Rimbaud, der meist unter dem Namen Scanner agiert. Er fängt nicht wie beim Field Recording einfach Geräusche ein, sondern speziell Funkgeräusche, die er mit einem Funkscanner empfängt. Diese Signale bilden wichtige Elemente seiner Tracks. Die Synthese verschiedener Scanquellen zu einer neuen Komposition könnte auch im Bereich der bildenden Kunst zu einer gängigen Methode werden. Die technischen Möglichkeiten hierzu, das beweisen Fabian Hesse und Mitra Wakil, gibt es längst.