Heft 3/2018 - Artscribe


Ydessa Hendeles – Death To Pigs

28. Februar 2018 bis 27. Mai 2018
Kunsthalle / Wien

Text: Ada Karlbauer


Wien. Ein fast schon vergessener Schriftzug findet erneut Einzug in die Gegenwart. Durch Vergessenheit verkrustet, vom längst vertrockneten Rot der Geschichte befreit steht das ikonische Zitat Death To Pigs nun mit einem Hashtag versehen auf den Werbeoberflächen. Charles Mansons Schlachtgesang ist Teil einer Erzählung, die in der Vergangenheit verschwunden und erstarrt ist, irgendwann 1969. Death To Pigs ist neben diesem Erinnerungsfetzen aus einem nicht aktualisierten Newsfeed auch der Titel der ersten, in Europa gezeigten Retrospektive der kanadischen Künstlerin Ydessa Hendeles. Hendeles Arbeiten stehen in enger Relation zu ihren subjektiven Erfahrungen als Tochter von Holocaust-Überlebenden. Ihr künstlerischer Blick thematisiert deshalb das Zusammenspiel zwischen Erfahrung, Erlebtem und Erzähltem, behandelt die Rekonstruktion dieser Gegensätze als künstlerische Praxis, eine spezielle Form von Vergangenheits-, aber möglicherweise auch Gegenwartsbewältigung. Die eigene Autobiografie ist dabei stets als stiller Schatten darunter und darüber, manchmal auch dazwischen präsent.
In der Kunsthalle Wien treten verschiedene Arbeiten aus dem letzten Jahrzehnt in einen räumlichen, wie auch metaphysischen Dialog und öffnen damit einen bisher unbekannten Blick auf Hendeles Kosmos. Bereits vor dem Eingang wartet eine einsame, doch zentrale Arbeit der Künstlerin. Man sieht eine originale Jugendfotografie in Schwarz-Weiß, davor wird eine im Maßstab surreal wirkende Fahrradklingel präsentiert. Gerade dieses Wechselspiel aus Perspektiven und Größeneinheiten verdeutlicht sofort einen zentralen Gedanken, der in Hendeles Arbeiten häufig wiederkehrt, einerseits als Selbstentblößung, andererseits als Analyse der Konstruktion von Geschichte selbst.
Bei Kerzenschein seufzt ein Klavierspiel aus der Ferne. Die Arbeit From her wooden sleep… aus dem Jahr 2013 öffnet den Schlafenden die Augen, auch wenn kaum etwas zu sehen ist. 150 lebensgroße Holzpuppen mit vielen Gliedern und wenig Bewegung sind in Reihen in der Mitte des Raums sowie an den Raumkanten platziert. Sie werden als BeobachterInnen, als stille ZuschauerInnen ohne konkretes Zentrum inszeniert. Manche starren, manche blicken weg, der Blickwinkel ist von zentraler Bedeutung. Auf der Suche nach der verlorenen Gegenwart werden die vermenschlichten Artefakte als räumliches Blickrätsel getarnt. Ein Labyrinth von möglichen Wirklichkeiten. From her wooden sleep… ist auch als ein Zerrspiegel zu begreifen. Der Raum als Spiegelkabinett einer Realität, die in jedem Moment in sich zusammenfallen könnte. Die Spiegel an den Hallenwänden verfremden, verzerren, verbiegen und formen immer neue Blicke auf die Unbeweglichkeit der physischen Gegenwart. Die gezeigten Artefakte werden damit in ein anderes Licht gestellt.
Viele Kulturgeschichten haben sich in der Sprache festgefressen, sitzen tief wie eine Gravur. Worte strukturieren Erinnerungen, die mit der Zeit verblasst und verronnen sind. Bereits erzählte Geschichten und das Erzählen selbst bilden einen zentralen Anknüpfungspunkt in der Arbeit von Ydessa Hendeles. Es geht um Literarisierung von Erinnerung, um das Festhalten von dem, was vergangen ist. Das Sammeln von Artefakten wird ausgestellt, gerade deshalb findet man überall Altare, Schreine und Anhäufungen, eine spezielle Form der Verdichtung. Die Verdichtung durch Masse, aber auch durch Überlagerung von Bedeutungen, das Sammeln, De- und Rekontextualisieren oder besser Erinnerungssampling ist wesentlich. Das Gezeigte nimmt sich den Raum, öffnet komplexe Zusammenhänge, welche die räumliche Physiognomie mit dem Vergangenheitsblick umklammert und benutzt. Das, was sonst verblasst in seiner Kurzweiligkeit verkommt, wird festgehalten, eingekerbt, graviert und vertäfelt. Es entsteht ein durch seine überwältigende physische Präsenz triefender Mikrokosmos, der sich aus dem Fehlverhältnis zwischen Geschichtsschreibung und Erinnerung konstruiert. Märchen ist nicht gleich Märchen, Erlebtes nicht gleich Erzähltes, die Perspektiven können jederzeit wechseln.
Die räumliche Installation der Arbeiten Hendeles ist immer als Beziehung zu etwas zu begreifen, als kurzes Innehalten und Kennenlernen. Hendeles Arbeit öffnet Dialoge zwischen Fremden, das bereits Verlorene wird wiedergefunden, sie inszeniert die Greifbarkeit des Vergessens. Die Kombinationen konstruieren liegen gelassene Erzählungen und persönliche Erinnerungen, die sich in die Physiognomie der Artefakte eingeschrieben haben, in den hölzernen Oberflächen erstarrt, sodass der Blick nicht vorbeigehen kann. Dazu nutzt Hendeles literarische wie auch kulturelle Stereotypen aus den Märchenbücher und Gedächtnislücken einer ganzen Kultur, die vermeintliche Geschichte wird damit in einen gegenwärtigen Kontext getragen. Ydessa Hendeles Arbeiten sind visuelle Kippbilder, die Veränderung des Blickwinkels ändert das Gesehene. Sie erzählt eine mögliche Version von Erinnerung, gefangen zwischen Innen und Außen, Dominanz und Repression, eine Version von Vergangenheit, die längt nicht vergangen ist und es auch nie sein wird.