Heft 2/2019 - Artscribe


David Wojnarowicz

Photography & Film 1978–1992

9. Februar 2019 bis 5. Mai 2019
Kunstwerke Berlin / Berlin

Text: Dietmar Schwärzler


Berlin. Mit 26 Jahren lernte David Wojnarowicz in New York im März 1981 den gut 20 Jahre älteren Fotografen Peter Hujar kennen. Aus einer sexuellen Beziehung wurde bald Freundschaft, in welcher Hujar als Mentor und Kollaborateur agierte. 1987 starb Hujar an den Folgen von AIDS, Wojnarowicz erhielt ein Jahr später seine HIV-Diagnose und verstarb 1992. Der Autodidakt, der zu den exponiertesten Künstlern im Kampf gegen AIDS und Zensur in den USA zählt, betätigte sich zuerst als Schriftsteller, bevor er via Guerilla Art (mit Julie Hair) zur Fotografie und zum Film kam, Medien, die er durch Musik als Bandmitglied von 3 Teens Kill 4, Mixed-Media-Arbeiten und Malerei erweiterte, wobei er für Letzteres erst ab 1982 Leinwände benutzte. Davor dienten für seine Stencils primär Haus- und Zimmerwände, Autowrackteile oder Galerieeingänge als künstlerische Ausdrucksfläche, die er mit seinem Markenzeichen, einem brennenden Haus, besprühte. Ende der 1970er-Jahre entdeckte der rastlose Künstler, der sein Leben lang der institutionellen Kunstwelt, aber auch einer menschenverachtenden Politik mit einer klaren Fuck-you-Haltung begegnete, ein verlassenes Warenhaus. Es verband die Piers von Christopher Street bis zur 14th Street entlang des Hudson Rivers und bildete eine Umgebung, die Schwulen als Cruising Areal diente und bei Kunstschaffenden als eine Art semiautonome kreative Zone Verwendung fand.
Nach einer großen Ausstellung im Whitney Museum letztes Jahr offeriert die nun von Krist Gruijthuijsen in den Kunstwerken Berlin kuratierte Schau den Künstler und sein Umfeld in Form eines Zeitkolorits, welches die selbst gesetzte zeitliche als auch mediale Einschränkung „Foto und Film“ umfasst, sowie die Wechselbeziehungen und ausgewählte Kollaborationen des Künstlers präsentiert. Dabei treffen schön choreografierte Dias von Andreas Sterzing, die die Atmosphäre der 1970er-Jahre in Manhattan atmen, auf einen in einer Vitrine gelegten, mit küssenden Männern bemalten, aber nichts Gutes verheißenden Befund Hujars, dessen extrem einnehmende Schwarz-Weiß-Porträts von Wojnarowicz wiederum in der Ausstellung verteilt sind. Oft sind die einzelnen Exponate in Dialog zueinander gestellt bzw. gehängt. So ist neben der Vitrine auch der Triptychon Untitled (Deathbed Portrait of Peter Hujar) (1989) platziert, der das tote, ausgemergelte Gesicht, die Finger und die Zehen Hujars zeigen. Es sind Aufnahmen, die Wojnarowicz unmittelbar nach dem Tod seines Freundes herstellte, um die Krankheit öffentlich sichtbar zu machen. Daneben läuft ein Digitalisat des Films Bust (1991), gemeinsam mit Richard Morrison realisiert, in welchem Wojnarowicz in beeindruckend ruhiger Art mit tiefer, unverwechselbarer Stimme und in dunkles flickerartiges Licht getaucht, seine Gedanken über den katastrophalen, weil tabuisierten Umgang unserer Gesellschaft mit dem Tod und seine eigene Sterblichkeit zum Ausdruck bringt.
Dabei gelingt es der Ausstellung geschickt, die Kunst der „Postdiagnose“, wie Wojnarowicz diese Phase mal trocken bezeichnete, mit seiner Kunst „davor“ in Beziehung zu setzen und sein bis dahin durchaus erfolgreiches Kunstschaffen nicht nur über seine Infektionskrankheit zu markieren.
In der wohl bekanntesten, mehr als 40 Fotos bestehenden Serie Arthur Rimbaud in New York (1978/79), in der Freunde eine Maske des französischen Outlaw-Literaten tragen, entwirft Wojnarowicz eine Stadtkarte urbaner, mitunter illegaler Orte einer Subkulturszene, implementiert darin aber auch autobiografische Notizen, die die Lieblingsplätze des Künstlers genauso beinhalten wie Experimente mit Drogen oder Verweise auf seine Zeit als Stricher in den Pornokinos auf der 42nd Street. Diese in Teilen in mehreren Magazinen publizierte Arbeit bildet die Koordinatenlinie einer eng gehängten Seitenwand, die auch das achtteilige Werk Untitled, Sex Series (for Marion Scemama) (1988–89) umfasst. Dunkel gehaltene Negative von ruralen Kriegsgebieten, Zügen, Schiffen oder einer Stadtansicht sind mit teleskopartigen Löchern besetzt, die Sexszenen meist zwischen Männern, aber auch Embryos, Spermien, Geldscheine oder Soldaten umspannen. Einige dieser Fotocollagen sind mit Anklagetexten überschrieben, die sowohl ausrangierte, konservative Moralvorstellungen angreifen, als auch die drastischen Regierungsmaßnahmen unter Reagan und George Bush lautstark kritisieren, die zu lange nicht auf die Epidemie reagierten und dann Armen, zahlreichen Nicht-Weißen, Lesben und Drogenkranken Medikamente für die Infektionskrankheit verweigerten.
Überhaupt zählen die Bild-Text-Collagen, die verstreut in der Ausstellung auftauchen und ein Markenzeichen im Kunstschaffen Wojnarowiczs in den späten 1980er-Jahren darstellen, zu den stärksten, auch emphatisch extrem wirksamen Werken. Einzelne Textpassagen kehren unter anderem auch in gesprochener Form in ganz unterschiedlichem Tonfall in When I Put My Hands on Your Body (1989) und Last Night I Took A Man (1989–90) wieder. Beide Filme liefern persönliche Setzungen auf den damals heftig diskutierten Zwiespalt, Sex trotz der Krankheit zu praktizieren; einerseits durch das Zeigen affektiver, erotischer Liebesszenen, andererseits anhand eines zornigen Monologs, der die Ausdruckskraft der Sprache von Wojnarowicz nochmals deutlich vor Augen führt.
Dem inhaltlich gebündelten Themenfeld „Tiere“, welche nicht nur im fotografischen Werk des Künstlers ein häufiges Sujet darstellen, widmet sich eine andere Seitenwand des Hauptraums, wobei dessen Zentrum der Work-in-Progress-Film A Fire in My Belly (1986–87) bildet. Auch hier sind Ameisen in Aktion zu betrachten, unter anderem krabbelt eine Horde über ein Kruxifix, das von Geldmünzen umringt ist. Diese Szene führte noch 2010 zu heftigen Protesten von rechten religiösen Gruppen, sodass der Film aus der Ausstellung Hide/Seek in der Portrait Gallery in Washington D.C. entfernt werden musste – woraufhin das MoMa in NY aber gleich die Arbeit für ihre Sammlung ankaufte.
Von den rund zehn Filmen, die fast alle in der Ausstellung gezeigt werden, blieben einige unfertig, zum Teil fragmentarisch oder es gibt sie in unterschiedlichen Fassungen. So ist Heroin (1981), entgegen der im Netz zu findenden Version hier lediglich auf knapp drei Minuten konzentriert, ein Film, der als Warnhinweis und als Parasit des Cinéma vérité das Setzen der Nadel, das Injizieren und mehrere zur Seite kippende, geradezu leblos wirkende Körper auf Zelluloid bannt.
Wojnarowicz artikulierte 1989 in einem ausführlichen Interview mit Sylvère Lothringer – welches auch den Kern der im Kellerraum gezeigten und aufschlussreichen Dokumentation Self-Portrait in 23 Rounds: a Chapter in David Wojnarowicz‘s life, 1989–1991 (2018) seiner langjährigen Freundin Marion Scemama bildete –, dass er kein „Memorial“ wolle und stattdessen lieber sein Leichnam auf die Stiegen vor dem Weißen Haus oder die Gesundheitsbehörde (FDA) geworfen werden sollte. Zwei Institutionen also, die aufgrund ihrer Politik für den Tod unzähliger Menschen verantwortlich zeichnen. Im Zuge der Act-Up-Aktion Second Ashes 1996 ist sein Partner und Nachlassverwalter Tom Rauffenbart diesem Wunsch insofern nachgekommen, als dass er zumindest einen Teil der Asche auf dem Rasen des Weißen Hauses verstreute.