Heft 2/2019 - Artscribe


Hate Speech: Aggression und Intimität

2. Februar 2019 bis 18. April 2019
Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien / Graz

Text: Christoph Chwatal


Graz. Als Baustein der liberalen Demokratie ist die Redefreiheit ebenso in Transformation begriffen wie etwa Fragen politischer Teilhabe. Auch in der sprachphilosophischen Debatte zeichnet sich ein deutlicher Bruch ab, ein Übergang von der Vorstellung einer vernünftigen Sprache – einer „idealen Sprechaktsituation“, wie Jürgen Habermas sagt – hin zu einer stetig wachsenden Forschung zum Verhältnis von Sprache und Gewalt.
Auf den Hauptraum mitsamt Nebenräumen und das Untergeschoss verteilt widmen sich in Hate Speech mehr als 20 Arbeiten von 16 KünstlerInnen unterschiedlichen Ausprägungen verletzender Sprache. Den Hauptraum markiert ein Gerüst mitsamt Treppe, die so etwas wie ein begehbares Panoptikum erschließt. Dabei sorgt ein weißes Gewebe, das auf mittlerer Raumhöhe verspannt ist, für eine horizontale Gliederung und Segmentierung. Vom Gerüst aus sind etwa Signe Pierces bizarrer Videoloop, Photoshop (2017), mitsamt Kendrick-Lamar-Soundtrack oder von der Decke abgehangene, aus Zeitungspapier, Latexhandschuhen und ähnlichen Materialen gedrehte „Henkerschleifen“ aus Joseph Zehrers Werkreihe Egoplastik (2018/19) zu sehen.
Im Untergeschoss versammelt Candice Breitz‘ Videoarbeit Sweat (2018) zehn kurze Statements fast ausschließlich weiblicher, schwarzer Sexarbeiterinnen. Der enge filmische Rahmen – es sind Close-ups sprechender Münder zu sehen – lenkt den Blick auf das Sprechen als performative Handlung und sinnstiftende Tätigkeit. „Let us set our own agendas“, fordert eine der Sexarbeiterinnen mit einem Seitenhieb auf die Indienstnahme marginalisierter Positionen durch die Deutungsmacht von „white feminists“. In den Berichten über ihre männlichen und zumeist weißen Kunden kehrt sich das Rollenverhältnis um: Die Festschreibung von außen – etwa als „black pussy“ – wird als Selbstbezeichnung angeeignet und durch eine Neubestimmung produktiv umgedeutet. Damit wird ein neues Bild, eine neue Sprache hervorgebracht, durch die Breitz‘ Arbeit eine Wandlung vom marginalisierten Subjekt hin zur Interpretin beschreibt.
Diese Art von „Gegenaneignung“ und Reformulierung sprachlicher Gewaltakte steht im Zentrum der philosophischen Debatte rund um sprachliche Verwundbarkeit. Judith Butlers Buch, Excitable Speech: A Politics of the Performative (1997), ist hier weiterhin ein zentraler Ausgangspunkt. Sie resümiert: „Wenn man den Namen, den man erhält, aufgreift, tut man mehr als sich nur einer vorgängigen Autorität unterzuordnen, denn der Name hat sich vom vorgängigen Kontext bereits gelöst und ist in das Projekt der Selbstdefinition eingegangen. Das Wort, das verwundet, wird in der neuen Anwendung, die sein früheres Wirkungsgebiet zerstört, zum Instrument des Widerstandes.“1 Für Butler sind Wiederholung und Umdeutung Mittel, um einer sprachlichen Verletzung zu entgegnen. Sie stellt sich somit gegen die Forderung, der Staat und die Gerichte (oder heute Social-Media-Plattformen) seien für die Regulierung des Sprechens verantwortlich. Denn schließlich sind diese selbst Teil jener Gesamtheit, die das Sicht- und Sagbare reguliert. Diese Position muss dabei auch im Kontext des US-amerikanischen Diskurses gesehen werden, in dem das Recht auf Meinungsäußerung in der First Amendment zur Verfassung der Vereinigten Staaten fest verankert und integraler Bestandteil des Freiheitsverständnisses ist. Hingegen sieht man in Europa punktuelle Beschränkungen der Redefreiheit als die parlamentarische Demokratie stärkende Notwendigkeiten an, was vor allem auf wiederkehrende antisemitische Übergriffe in der Nachkriegszeit zurückzuführen ist. Jedoch birgt eine staatliche Regulierung des Sprechens auch einige Gefahren.2
In der Form einer Doppelprojektion geben Tony Cokes‘ Videoarbeiten Evil.66.1. (DT.sketch.1.8) und Evil.66.2. (DT.sketch.2.7) (beide 2016) Zitate des amerikanischen Präsidenten wieder. Begleitet von einem Soundtrack der Pet Shop Boys verbinden sich hier Trumps truthful hyperboles (als vermeintlich „unschuldige Form der Übertreibung“) mit dessen verbalen Übergriffen auf Frauen und MigrantInnen. Dies ist jedoch keine bloße Verdoppelung von sprachlichen Zeichen, sondern verweist – hier in der Figur des Staatsoberhaupts – auf die institutionalisierten, hegemonialen Sprechformen einer männlichen, weißen Oberschicht. Die Herausstellung der Rahmenbedingungen ist auch für Butler bei der Untersuchung von Äußerungen unabdingbar; sie plädiert für „eine Untersuchung der institutionellen Bedingungen“3.
Dass die Macht sprachlicher Verletzung nicht ausschließlich vom isolierten Standpunkt eines einzelnen, sprechenden Subjekts aus betrachtet werden kann, sondern abhängig ist von sozialen Praktiken und Institutionen, wird indes in Hate Speech weitestgehend nicht thematisiert. Auch die Kraft der Aneignung, die Candice Breitz‘ Arbeit freisetzt, verpufft in der restlichen Ausstellung rasch. Dennoch eröffnet sie einige Fragen: Welche Institutionen und Akteure regulieren das Sagbare? Welche Formen der Ansprache gibt es? Wie sähen mögliche Antworten aus und welche anderen Formen des Sprechens sind denkbar? Auch wäre deutlich herauszuarbeiten, dass es sich bei der Hassrede um eine unter unzähligen Erscheinungen – wie Fake News, Trolling oder Flat-Earth-Theorien – handelt, die auf eine Krise der liberalen Demokratie hindeuten. Die Hassrede als Phänomen ist Teil eines Verbunds diskreter Zeichen an der Oberfläche der gesellschaftlichen Vorgänge, die in der Diagnose einer Postdemokratie münden. Diese Diagnose deutet sich in der Ausstellung punktuell an, sie verfängt sich jedoch zu häufig im einzelnen Subjekt und verpasst es damit, strukturelle und analytische Ansätze mit Potenzial zur Widerständigkeit, wie die von Breitz oder Cokes, stärker abzubilden und produktiv zu machen.

 

 

1 Judith Butler, Haß spricht. Zur Politik des Performativen [1997]. Berlin 2006, S. 254.
2 Man denke etwa daran, dass sich der freiheitliche Sportminister Heinz-Christian Strache unlängst wünschte, die Bezeichnung „Nazi“ gerichtlich verfolgen zu können, um so die Verfemung parteinaher Personen gesetzlich einzudämmen.
3 Butler, S. 27.