Heft 3/2019 - Artscribe


The Mouth is about Language. Joyce Wieland in Close-Up

28. Mai 2019 bis 6. Juli 2019
das weisse haus / Wien

Text: Monika Vykoukal


Wien. Mit einem programmatischen Fokus auf die Körperlichkeit von Sprache präsentiert die von Bettina Brunner kuratierte Ausstellung die Spannbreite der Arbeiten von Joyce Wieland (1930–98), die außerhalb Kanadas vor allem für ihre im Kontext der New Yorker Avantgardefilmszene entstandenen Filme bekannt ist. Die gezeigten Filme werden in Bezug zu Textilien und Druckgrafiken gesetzt. Eine Auswahl von Archivmaterialien, Fotos, Texten und Publikationen der Künstlerin zu ihrer Ausstellung True Patriot Love (1971) an der National Gallery of Canada, Ottawa, zu Kollaborationen wie zu den beiden Filmen Pierre Vallières (1972) und Solidarity (1973) und zu Tieren öffnet die Perspektive auf die Anliegen und den historischen Kontext der Künstlerin.
Durch die Ausstellungsgestaltung der Künstlerin Elisabeth Kihlström wird die präzise Auswahl aus Wielands Schaffen buchstäblich auf die Bühne gebracht. So unterteilen zwei rechteckige Teppichböden, mal rot, mal grün, die Ausstellung in drei Abschnitte. Eine neue Arbeit von Kihlström für die Ausstellung Skin and Structure (2019) trennt als delikat gewebter Paravent die Filmprojektionen des zweiten Raums vom ersten.
„The Mouth is About Language“, das Zitat von Wieland im Ausstellungstitel, ist hier ein zentrales Element, das im Motiv der sprechenden, aktiven Lippen in vielen ihrer Arbeiten wiederkehrt, darunter den gezeigten Lithografien O Canada (1970), The Arctic Belongs to Itself (1973), Squid Jiggin‘ Grounds (1974) und dem Quilt Maple Leaf Forever II (1972). Sie zeigen Abdrucke der geschminkten Lippen der Künstlerin, die die Laute der jeweiligen Texte formen, was mitunter auch BetrachterInnen dazu anregt, die Geste (unwillkürlich) zu wiederholen, um sich den Text anzueignen.
Dieses Motiv zeigt Wielands Perspektive aus einer persönlichen, intimen und privaten Sphäre, wobei die Künstlerin – so wie auch ihre textilen, kooperativ produzierten Quilt-Assemblagen –eine (durchaus kritische und feministische) weiblich definierte Position einnimmt. In den Filmen Catfood (1967) und Rat Life and Diet in North America (1968) sind jeweils Haustiere in der Wohnung Wielands zu sehen, wobei Letzterer als Fiktion in Form einer Fabel den Ausbruch von politischen Gefangenen in den USA im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg und ihre Flucht nach Kanada darstellt. Die Gerbils der Künstlerin verkörpern hier die als Ratten präsentierten Gefangenen, während Katzen die Gefängniswärter darstellen. Diese häuslichen Motive werden mit den strukturellen Mitteln des Avantgardefilms verwoben, der fixen Kamera und dem Close-up, mit Untertiteln, Texten über Bildern, Collagen, Backflashes, Loops, die Wieland auch in ihre Arbeiten in anderen Medien einfließen lässt.
Der Kontrast unterschiedlicher Register produziert ein humorvolles Element, das Ambivalenzen verdeutlicht. Im Film Solidarity (1973), der eine Kundgebung im Rahmen eines Streiks zeigt, wird dies durch den Kontrast des Pathos der Rednerin (die unter anderem einige Strophen der Gewerkschaftshymne „Solidarity Forever“ deklamiert) zu den gefilmten Beinen der Protestierenden subtil inszeniert. Der Gegensatz von Ratten und Katzen im häuslichen Bereich zu den Thematiken von Krieg und Imperialismus, pointiert in einem wiederholten Still einer Fotografie der aufgebahrten Leiche von Che Guevara, bringt eine noch stärkere Absurdität hervor.
Das humorvolle, zumeist satirische Element in Wielands Arbeiten schwingt letztlich so gut wie immer, mal stärker, mal schwächer mit und vermittelt Satire und Ehrlichkeit in einem, zum Beispiel als die Ratten nach ihrer gelungenen Flucht nach Kanada, wie im Zwischentitel proklamiert, „organic farming“ betreiben – eben gleichzeitig Utopie und spießige Verweigerung des im Kurzfilm auch dargestellten Heldentods. Diese Ambivalenz rückt Wielands Darstellung von Kanada als Nation wie auch ihre Stellung und ihre Projekte an zentralen kulturellen Institutionen Kanadas in ebenso affirmatives wie satirisches Licht, wie Kirsty Holmes schreibt.1 Als kleine Ausschnitte eines weit entfernten Moments – „Gelobtes Land“ und zugleich Entlarvung des Mythos der Nation – führt die Ausstellung unsere Gedanken subtil hinter die Kulissen aktueller politischer Fragen, während Inszenierung und Auswahl der vielschichtigen Ambiguität von Wielands Arbeiten Raum geben und gleichzeitig ihre eigene kontingente Bedeutungsgebung offenlegen.

 

 

1 Kirsty Arlene Holmes-Moss, Negotiating the Nation. The Work of Joyce Wieland 1968–1976. Department of Art, Queen’s University Kingston, Ontario, Kanada 2007.