Heft 2/2020 - Artscribe


... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden

8. März 2020 bis 8. Mai 2020
Kunsthalle Wien / Wien

Text: Christa Benzer


Wien. Es war wie so vieles im März 2020 eigentlich ganz anders geplant: Das Kuratorinnenkollektiv WHW hat ihre erste Ausstellung in der Kunsthalle Wien als eine sehr offene und einladende Schau konzipiert. Auf das, was ihr Vorgänger Nicolaus Schafhausen etwa stets als Nachteil von Haus und Standort monierte, wurde gleich mit mehreren Maßnahmen reagiert: Auf dem LED-Laufschriftband über dem nunmehr mit neuem Logo markierten Eingang adressiert der Satz Songs About Being Free die BesucherInnen des Museumsquartiers. Der englische Performer und Regisseur Tim Etchells evoziert damit ein gewisses Lebensgefühl und eröffnet Assoziationen, die von Janis Joplin bis hin zu MusikerInnen wie Beyoncé und ihrem Song „Freedom“ reichen – im Inneren des Hauses wird diese genreübergreifende Ansage vorrangig auf der inhaltlichen Ebene weitergespielt: Versammelt wurden künstlerische Positionen, bei denen es neben politischen Einsichten in globale Ungerechtigkeiten und akute gesellschaftspolitische Fragen (von Beirut über Moskau bis hin zum Lausitzer Braunkohlerevier) auch um verschiedene Vorstellungen von einem „guten Leben“ geht.
Mit dem Ausstellungstitel ... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden zitieren Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović den libanesischen Schriftsteller Bilal Khbeiz, der in den aufgezählten Dingen die Träume der Menschen im Globalen Süden ausmacht. Dass diese darum kämpfen, „intelligente Wesen zu werden“, also selbst „sehen zu können, auch wenn sie nicht gesehen werden“, ist ein bitterer Schluss in dem Text.
In der Ausstellung werden diese herrschenden Verhältnisse bezüglich der Sichtbarkeit von Menschen verschoben und an den Koordinaten von Sehen und Gesehenwerden gedreht: Da sind beispielsweise die feministischen Gruppen in Kurdistan, in Jinwar in Rojava und der libanesischen Bekaa-Ebene, die Marwa Arsanios in ihrem Video Who is Afraid of Ideology? begleitet hat. Sie erzählen, welche Pflanzen eine heilende Wirkung haben, aber auch von ihren wirtschaftlichen oder sicherheitspolitischen Strategien – etwa jener der libanesischen Gruppe, die eine NGO-ähnliche Struktur, sprich einen „Safe Space“, für aus Syrien flüchtende Frauen aufgebaut hat.
Die Entscheidung von WHW für eine Mehrheit nicht westlicher Positionen korrespondiert in der Ausstellung zudem mit einem höheren Anteil an Künstlerinnen: Gleich im Eingangsbereich, wo früher der Museumsshop war, ist etwa die Arbeit Maggic Cube von Adji Dieye zu sehen: Dieye setzt sich mit den visuellen Kulturen Afrikas und dabei vor allem mit Bildern von Frauen auseinander. In ihrer Collageserie kombiniert sie typische weibliche Rollenmuster mit dem bekannten Werbesujet des Schweizer Suppenherstellers Maggi: Nachdem seine elenden Geschmacksverstärker im Westen niemand mehr will, hat man sich marketingtechnisch auf Zentral- und Westafrika konzentriert, wo man seither pro Jahr 36 Milliarden Maggi-Bouillonwürfel verkauft.
Zu diesen zynischen neokolonialen Ausbeutungsstrategien passt die Arbeit For Marie Antoinette ’68 von Mladen Stilinović sehr gut. Es handelt sich dabei um Brotlaibe, auf denen der 2016 verstorbene Künstler abwechselnd Punschtörtchen und Pflastersteine, unmissverständliches Zeichen für Wut und politisches Aufbegehren, platzierte.
In der Kunsthalle liegen die Brotlaibe auf dem Boden und leiten die BesucherInnen – ähnlich wie die bekannten Zeichnungen von Dan Perjovschi – weiter hinein in die Ausstellungsräume. Auf ein spezielles Display wurde verzichtet, weswegen die Zusammenstellung auf beiden Stockwerken ein wenig den Anschein von do it yourself hat. Verantwortlich dafür ist auch ein Tisch, der der Vermittlungsarbeit geschuldet ist, und einige Werke, die der Instabilität der Verhältnisse gewidmet sind.
Dazu gehören die verbeulten Radkappen (aus Ton!) von Monika Grabuschnigg, die auch wegen des Titels Crash an die apokalyptischen Szenerien in Mad Max erinnern, die Installation von Alice Creischer, bei der die symbolischen Vertreter des Raubtierkapitalismus auf hohen Stelzen laufen, und nicht zuletzt die Skulpturen von Vlatka Horvat: Ihre Arbeit Balance Beam durchzieht die Hälfte des Raums im oberen Stockwerk und besteht aus mehreren Holzbalken, die lose auf Stuhllehnen liegen. Darauf wurden runde Gegenstände platziert, die sich in sichtlich prekärer Lage befinden.
Nähert man sich als BetrachterIn der labilen Struktur, wird man vorsichtiger, aufmerksamer auch in Bezug auf die eigene Anwesenheit, den eigenen Standpunkt, den Saddie Choua in ihrer Installation Am I the only one who is like me? direkt anspricht. Die Künstlerin thematisiert mit Filmausschnitten aus Hollywoodfilmen, mit Büchern von Sigmund Freud oder auch typischen MTV-Musikvideos die identitätszersetzenden Prozesse, die für sie das Aufwachsen als Kind von MitgrantInnen bedeutet hat. Inmitten der Halle platziert lädt die Arbeit trotz Wohnzimmerflairs leider nicht zum Verweilen ein und bleibt so in der Anklage stecken, die nicht weiterentwickelt wird.
Etwas anders verhält es sich mit den Filzdecken, die die Künstlerin Hana Miletić in Kooperation mit dem Brüsseler Kulturzentrum Globe Aroma und gemeinsam mit neu zugezogenen StadtbewohnerInnen hergestellt hat. Im Ausstellungsraum hängen die bunten Decken an der Wand und werfen dort – trotz sicherlich bester Absichten – alte Fragen rund um partizipative künstlerische Positionen auf: Was passiert mit den Frauen, wenn die Decken mal fertig sind? Welcher Name steht auf dem Ausstellungsschild? Wer schöpft den symbolischen Wert ab, wer das Geld? usw.
Dass WHW auch solche Positionen integrierten, erzählt davon, dass diese Fragen für sie noch nicht abschließend oder befriedigend beantwortet sind. Sie begleiten die politische Kunst schließlich schon lange, für die das Kollektiv in 20-jähriger Tätigkeit schon viel vorangebracht hat.
In ihrer Einstandsausstellung in Wien haben sie mit Arbeiten von Hito Steyerl bis Marlene Streeruwitz, von der zu Unrecht vergessenen Vorarlberger Künstlerin Anne Marie Jehle bis HC Playner (aka Verena Dengler, Stefanie Sargnagel etc.) einen sehr breiten Überblick über ihre vielfältigen Interessen gegeben. Man darf nach der erzwungenen Ausstellungspause also gespannt auf Konkretisierungen und spezifischere Statements, sowohl in politischer als auch künstlerischer Hinsicht, sein.