Heft 4/2020 - Artscribe


Curated_by 2020 – Hybrids

5. September 2020 bis 26. September 2020
Wiener Galerien / Wien

Text: Valentinas Klimašauskas


Wien. Das Thema der diesjährigen Galerienfestivals Curated_by lautete Hybrids. Sollte die Bedeutung dieses etwas abgegriffen klingenden Worts nicht klar sein, hier meinte man mit ihm die Beschäftigung mit der „Auflösung der Grenzen von künstlerischer Praxis und ihren Handlungsfeldern“. Die in London lebende Autorin Orit Gat, die ihren programmatischen Essay im Auftrag des Festivals mit „Hybridität: Eine Laiengeschichte und die Möglichkeit von Freiheit“ betitelte, schließt diesen mit der Devise: „Grenzen aufzulösen heißt auch in Erinnerung zu bringen, dass die Aufgabe der Stunde lautet: Prüfe gemeinhin anerkannte Wahrheiten, erzählte und weitererzählte Geschichten und überdenke sie. Darin liegt die Freiheit.“ In ihrem charmant optimistischen Text verortet Gat also Hybridität im Kontext von Emanzipation und Befreiung. Welche Geschichten über die Freiheit wurden nun also 2020 bei Curated_by neu erzählt und bedacht?
Sicherheitsabstand, beschlagene Brillen und Gesichtsmasken ließen die Galerientour eher einem Besuch in einem Covid-19-Testlabor oder gar einer Leichenhalle ähneln. Betrat man die Einzelausstellung The Sadness Descends Again von Olu Oguibe in der Galerie Kandlhofer, so stolperte man mitten in die „Unsicherheit des Daseins und der Allgegenwart katastrophaler oder zumindest riesiger, lebensverändernder Krisen“. Laut dem Kurator Soh Bejeng Ndikung ging es in der Schau um die Erinnerung: „An wen wird hier erinnert, von wem, und aus welchem Blickwinkel?“ Hier fand also der Appell Gats, anerkannte Wahrheiten zu überdenken, seinen Widerhall. Formal erwies sich die Ausstellung als eher schlicht, wenn auch geradezu chirurgisch präzise. Oguibes Arbeit New York, April 2020 zum Beispiel verwandelte einen Bereich der Galerie in eine Leichenhalle für jene namenlosen Covid-Opfer, die sonst Massengräber füllen würden, wie sie im surrealen Frühling in New York ausgehoben wurden. Die Biafra Time Capsule (2017) wiederum erinnerte noch einmal an den Genozid im nigerianischen Bürgerkrieg, allerdings mittels seiner Mediatisierung anhand von Zeitschriftencovern, Büchern und anderen Dingen.
Doch nicht alles bei Curated_by war so brutal, im Gegenteil. SEÑORA!, kuratiert von Kris Lemsalu und Sarah Lucas in der Galerie Meyer Kainer, war ein hybrides Gemeinschaftsporträt einer Señora oder Dame, die laut Ausstellungstext in Venedig geboren wurde und ein Film, ein Magazin, ein Konzert oder eine großartige Ausstellung sein könnte. Was sie ja auch war, aber nicht nur das. Die beeindruckenden, zumeist skulpturalen Arbeiten von zehn Künstlerinnen (neben den beiden Kuratorinnen auch von Kate Boxer, Angela Bulloch, Merilyn Humphreys, Patricia Jordan, Edith Karlson, Michèle Pagel, Bárbara Sánchez-Kane und Johanna Ulfsak) wirkten auch mutig, skurril, emanzipiert, exzentrisch und witzig.
Etliche Ausstellungen spielten tatsächlich mit der Grenze zwischen künstlerischer Praxis und Autorschaft im sogenannten erweiterten Kunstfeld. Die von James Lewis bei Gianni Manhattan kuratierte Schau As Time Went on, a Rumour Started thematisierte, was asynchrone Zeit und Bedeutung heißt. So bestand eine titellose Installation von Guillaume Maraud aus runden Aschenurnen, die nicht für nur Asynchronität oder Hybridität der Zeit standen, sondern auch auf die begrenzte Lebenszeit von Materie und Gegenständen verwiesen. Die freihängende kinetische Skulptur von Mire Lee wiederum sah wie ein vergrößerter hybrider Mechanismus aus, der an die fragile Biomechanik unserer Körper gemahnte. Und ein laut einem Kurator „autorenloses“ YouTube-Video kombinierte den Song „Stone in Focus“ von Aphex Twin mit einer Szene aus dem Film Baraka (1992), in der japanische Makaken ein Bad in einer natürlichen Thermalquelle nehmen. Dies suggerierte, man solle doch die Ausstellung aus dem Blickwinkel dieser Primaten sehen.
Bei Ups and Downs of a Flipped Planet, von Chiara Vecchiarelli bei Hubert Winter kuratiert, ging es um die Grenzen des Ausstellungsformats. Von außerhalb betrachtet erinnerte die Schau an ein Luxusgeschäft für Designerlederjacken. Innen jedoch stellte sich alles als dialektisch widersprüchlich heraus und bedeutete genau das Gegenteil des ersten Eindrucks. Der ghanaische Künstler Jojo Gronostay erfand die Kunstplattform und Modemarke DWMC („Dead white men‘s clothes“) mit Rückgriff auf die in den Siebzigerjahren in Ghana populäre Meinung, dass die ins Land kommenden Secondhandklamotten wohl toten Weißen gehört haben mussten, da man sich bei bestem Willen nicht vorstellen konnte, so gute Kleidung wegzugeben. Nichtsdestoweniger zerstörten diese „Hilfslieferungen“ aus Europa die aufkommende Mode- und Textilindustrie in Afrika. Ein Ziel der Modemarke Gronostays ist daher, junge Modeschaffende aus Afrika zu unterstützen. Die dialektische Widersprüchlichkeit des Upcyclings wiederum wurde auch bei den „Antipodos“ genannten Skulpturen von Iván Argote aus Bogotà deutlich, der mit seinen verdrehten Kleinstatuen ebenfalls spielerisch unsere Erwartungen und Blickwinkel unterlief, weil bei den Figuren nicht ganz klar wurde, wo rechts und links oder vorne und hinten war.
Mein Gesamteindruck von Curated_by war, dass das Festival das begriffliche Problem der „Hybridität“ im Hinblick auf das Kuratieren selbst deutlich machte. Einige der genannten kuratorischen Positionen verorteten und thematisierten den Begriff im soziopolitischen Kontext und konnten so auch seine emanzipatorischen Möglichkeiten aufzeigen. Da ich aber meinerseits ein hybrider Ausstellungsbesucher bin – mit Mikroorganismen in und auf mir, mit Genen von anderen Kreaturen, mit den Technologien, die wir benutzen etc. –, vermisste ich im Hinblick auf KuratorInnen, KünstlerInnen und Ausstellungsräume umso mehr neue heterogene Perspektiven und Ansätze zu noch diverseren und hybrideren Räumen. Und hybrid bedeutet bisweilen ja auch inhomogen.
In dieser Hinsicht war die queerste Ausstellung wohl Untitled (MOLLY HOUSE), die Julius Pristauz bei EXILE kuratierte. Der Titel verweist auf das Wort „Molly“, mit dem sich im 19. Jahrhundert in England die Schwulen ironisch bezeichneten, obwohl der Ausdruck älter ist und ursprünglich irische Sexarbeiterinnen meint. Das letzte Werk in dieser Ausstellung ist ein Video von Dominykas Canderis, das er unverhohlen Unsuccessful Porn nannte (2020). Das Video über einen schwulen Pornodreh endet abrupt, als einer der Darsteller erklärt, er müsse nun los zum Flughafen. Das erinnerte mich daran, dass die Hybridität, auch die temporäre, wiewohl sie sehr oft auf das aktuelle gesellschaftliche Umfeld abzielt, nicht leicht zu haben ist, wenn man ihre emanzipatorische Kraft nicht erkennt und freisetzt. Andernfalls wirken solche Ausstellungen eher wie Quarantänebereiche und nicht wie hybride Akte einer befreiten Kreativität – wie ich auf dem Weg zum Flughafen vor dem geplanten Zwischenstopp im Covid-19-Testlabor notierte.

Der Text ist im Rahmen des Projekts Visiting Critics Vienna 2020 in Kooperation mit dem Verein K. entstanden.

 

Übersetzt von Thomas Raab