Heft 1/2021 - Artscribe


Ceija Stojka

30. Januar 2021 bis 23. Mai 2021
Malmö Konsthall / Malmö

Text: Milena Dimitrova


Malmö. Die Kunsthalle Malmö zeigt Arbeiten Ceija Stojkas, die als Romni und Holocaustüberlebende in ihren Bildern die Zeit ihrer Gefangenschaft darstellte. Mit der monografischen Ausstellung Esto ha pasado 2019/20 im Museo Reina Sofia wurde dieses Werk in den kunsthistorischen Kanon festgeschrieben. Die Galerie Kai Dikhas (Ort des Sehens), Berlin, und La maison rouge, Paris, bildeten davor wichtige Stationen, ebenso der Kunstverein Tiergarten. Ceija Stojka lebte in Wien, anfangs wurden ihre Werke im Amerlinghaus und im Jüdischen Museum in Wien gezeigt. Die Ausstellung in Malmö ist davon motiviert, für den wenig bekannten Holocaust an den Roma und Sinti, den Porajmos, eine breitere Öffentlichkeit zu schaffen, was auch die Intention der Werke selbst ist. Das Roma Informations- und Wissenszentrum Malmö war in die Realisierung der Ausstellung eingebunden und das Rahmenprogramm ist Teil des Projekts der Stadt Malmö Öppna Malmö 2020–22 zur Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus.
Nach dem Krieg waren die Roma in Österreich noch weiterhin mit Diskriminierung und mit Gesetzen wie etwa einem Erlass von 1948 „gegen das Zigeunerwesen“ konfrontiert. Ceija Stojka gilt als eine der Ersten, die vor diesem Hintergrund mit ihrem Buch Wir leben im Verborgenen im Jahr 1988, zu der Zeit, als sie auch als Autodidaktin zu malen begann, in Österreich öffentlich über ihr Leben als Romni sprach, sich zu ihrer Identität bekannte und ihre Kultur und Geschichte vermittelte. Andere folgten, wurden aktiv und setzten sich für die eigenen Interessen ein.
Interpretationen ihres malerischen Werks bewegen sich zwischen der als unmittelbarem, expressionistischem Ausdruck zur Verarbeitung des Geschehenen und der als individuelle Darstellungsfindung, die der Mitteilung und der Verhandlung der Darstellbarkeit des Holocaust dient. Beide Aspekte sind wichtig. Wie Ceija Stojkas Sohn berichtet, konnte sie sich ein Stück von der Vergangenheit befreien, indem sie sie auf Papier brachte. Transgenerationale Weitergabe des erlebten Traumas wird von Roma-AktivistInnen diskutiert und auch, wie aus Interviews hervorgeht, von Ceija Stojka und ihrer Familie. Verarbeitung ist ein Thema, doch sie war nie zentrale Intention des Werks. Es geht um Mitteilung, wie auch sie selbst sagte und wie an ihrer Formensprache sichtbar wird.
Auf den Bildern, die Konzentrationslager zeigen, sind Zäune oder Pforten parallel zur Bildfläche angeordnet, sodass sie es gegen einen ins Bild führenden Blick und schon im Vordergrund gegen Tiefenräumlichkeit sperren. Es ist eine unerzählbare Geschichte1, eine, die sich gegen das Erzählen sperrt, was mit der stärkeren Betonung der Zweidimensionalität der Bildfläche korrespondiert. Auch der begrenzte, geschlossene Raum der Lager wird so unterstrichen. Anders die Bilder, die das Leben nach der Gefangenschaft zeigen, es kehrt mehr Farbigkeit zurück und Fluchtpunkte, die in die Bilder hineinführen. Sie sind nicht mehr sperrig durch bildparallele Anordnungen. Die drei Werkgruppen, in die sich ihre Bilder einteilen lassen, die Zeit vor der Verfolgung, die der Gefangenschaft und die Zeit danach, entstanden zeitlich parallel zueinander, unterscheiden sich aber in ihren Ausdrucksmitteln und der Farbigkeit. Eines der Bilder, die den Auftakt in der Ausstellung in der Kunsthalle Malmö bilden, ist Dachau KZ (1994). Zu sehen ist über einen großen Teil des Bilds die geometrische Rechteckform eines Tors. Dachau ist das KZ, in das Stojkas Vater kam, der nicht überlebte. Frauenlager Ravensbrück von 1992 zeigt im Vordergrund vertikal und parallel zur Bildfläche angeordnete Baracken, die sich dann rhythmisch über die restliche Fläche wiederholen. Text und Bild sind in der künstlerischen Praxis von Ceija Stojka eng miteinander verknüpft, um die verstörenden Inhalte zu transportieren. Auf den Rückseiten mancher Bilder, auch von ebendiesem, ist Text. Die Orthografie ist eigenwillig bis schwer zu lesen. Es wird von der Grausamkeit der Wächterinnen erzählt sowie die gegenwärtige Situation der Gedenkstätte kommentiert. In Malmö sind die Texte auf Tafeln neben das jeweilige Bild angebracht, von ein paar wenigen wird sowohl die Vorder- als auch die Rückseite präsentiert. Manche ihrer mit ungegenständlichen All-over-Strukturen gefüllten Tuschezeichnungen sind durch Text gebrochen. Auf einer liest man „Tot“, auf einer anderen „Leichen“.
Ohne Titel von 2008 zeigt einen Vortex aus Stacheldraht, in den ein Vogel gleichsam hineingesogen und gefangen zu werden scheint. Vögel sind ein Schlüsselmotiv ihrer Werke, sie tauchen immer wieder auf, fliegend oder auch verelendet, am Boden oder in einem Stacheldraht verfangen. Sie haben vielfältige Bedeutung, für Ceija Stojka sind Raben spirituelles Symbol, in ihren Bildern stehen Vögel auch für die menschlichen Figuren. Sie streichen das Kreatürliche der Menschen hervor oder nehmen deren Schicksale vorweg. Mich holt der Hungertod (1995) zeigt eine im Schnee sitzende menschliche Figur und einen im Drahtzaun verfangenen, umgekommenen Vogel. Die Generierung von Bedeutung mit dem Mittel der Nebeneinanderstellung ist in ähnlicher Weise etwa aus Charlie Chaplins Metroszene in Modern Times bekannt. Aus Eisensteins Streik kennt man die Szene, in der die Schlachtung eines Tiers gegen die in die Flucht geschlagenen Streikenden montiert wird.
Auf Z 6399 von 1994 ist ein roter Arm zu sehen, abgetrennt, ohne Körper, auf dunklem Grund, kontrastiert durch einen Lichtkegel am gegenüberliegenden Bildrand. Der Arm weckt lose Assoziationen zu Edvard Munchs Selbstporträt mit Armskelett von 1895. Vor dem Hintergrund dieser Referenz eröffnet sich auch für Stojkas Bild eine Lesart als Selbstbildnis. Z 6399, wie auf dem roten Arm zu lesen ist, mit dem „Z“ am Beginn für „Zigeuner“, ist Ceija Stojkas tätowierte Nummer. Mama Mamooo Wier Sind Frei. Noch Hatten Wier keine Gesichter ist der Titel einer Zeichnung von 2004 über den Tag der Befreiung durch die Alliierten.
Die Referenzen zum kunsthistorischen Kanon sind nicht an sich von Bedeutung, sie zeigen vielmehr die Bildfindung, die Ceija Stojka im Hinblick auf den Charakter ihrer Inhalte leistet. Wie Mats Stjernstedt, der Leiter der Kunsthalle Malmö ausführt, beschloss sie, Künstlerin zu werden. Sie eignete sich die Mittel bildender Kunst an, um diese Geschichte erzählen zu können.

 

 

[1] Timea Junghaus, Auschwitz schläft nur – Die Kunst der Ceija Stojka, in: Ceija Stojka, (1933–2013). Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz. Wien: Verlag für moderne Kunst 2014, S. 251–263.