Heft 2/2021 - Artscribe


Metahaven – Chaos Theory

4. Mai 2021 bis 27. Juni 2021
donaufestival in Kooperation mit der Kunsthalle Krems / Krems

Text: Kathrin Heinrich


Krems. Bekannt ist das niederländische Kollektiv Metahaven für groß angelegte, raumgreifende Installationen, in deren Zentrum zuletzt vorwiegend Videoarbeiten standen. In grellbunter Manier bedient es sich Typografie und einer gewissen retrofuturistischen Digitalästhetik, um zumeist netzpolitische Themen zu verhandeln: Grafikdesign als Werkzeug der Wissensproduktion und Analyse zeitgenössischer Machtstrukturen. Dabei ist das 2007 von Vinca Kruk und Daniel van der Velden gegründete Kollektiv spätestens seit den parallel gezeigten Ausstellungen im ICA London und dem Stedelijk Museum Amsterdam 2018 nicht mehr nur in Kunstkreisen bekannt. Metahavens Themen haben in den vergangenen Jahren jedoch nicht an Relevanz verloren, sondern sind – im Gegenteil – zunehmend ins kollektive Bewusstsein gerückt: die Bedeutung von Filterblasen und Fake News, die Auswirkungen digitaler Kommunikation auf die Wahrnehmung oder die geopolitischen Implikationen von PR und Branding. Seine spekulative Arbeitsweise bezeichnet das Kollektiv selbst als „truth futurism“ – Wahrheitsfuturismus.
Die neue Arbeit Chaos Theory, eine Auftragsproduktion des donaufestivals, die nun in Kooperation mit der Kunsthalle Krems ebendort gezeigt wird, wirkt vor dem Hintergrund dieser vielschichtigen und zeitgeistigen Praxis geradezu zurückhaltend. Kuratiert von Thomas Edlinger bespielt Metahaven mit dem Film den Oberlichtsaal der Kunsthalle; die Projektion dabei als multimediale Installation zu bezeichnen erscheint allerdings angesichts Metahavens vorangegangener Ausstellungen geradezu euphemistisch. Es ist den monatelangen Schließungen geschuldet, dass die Kinosituation nichtsdestotrotz durch eine erfrischende Sinnlichkeit besticht.
Von diesem reduzierten Setting profitiert Chaos Theory auch durchaus. Lose um die zwei Protagonistinnen Y/Z und X situiert entspinnt sich der Film als eine Erkundung der Beziehung zwischen Mutter und Tochter, von Gesagtem und Ungesagtem, Wirklichkeit und Traum. Anknüpfend an die Vorgängerfilme Information Skies (2016) und Hometown (2018) werden Genres und Stile vermischt und die Wahrnehmung nicht nur im übertragenen Sinn herausgefordert: erzählende Fragmente neben Stop-Motion-Animationen, die grobkörnige Ästhetik schwarz-weißer Filmaufnahmen neben schonungslos ausgeleuchteten Studioaufnahmen, die die Figuren aus Zeit und Raum heben. Dabei ist es die akustische Dimension, deren Erfahrung im abgedunkelten Saal besonders eindrücklich ist.
Mit glockenhellem Klimpern und Knistern schwappen Regentropfen zurück in die Luft – „reversing the rain“ nennt es eine der Figuren. Tiefes, dröhnendes Wummern, Umgebungsgeräusche, die im Nachhall zu White Noise verschwimmen. Dazwischen einzelne, schneidende Klaviertöne, dann eine Mischung aus Regenprasseln und Streicherbegleitung. Geräuschvoll öffnen sich die Türen eines unsichtbaren Lifts, in dem Y/Z und X wenig subtil in tiefere Bedeutungsschichten sausen. Die Transformation der Realität gemäß den bevorzugten Einstellungen habe begonnen, informiert eine Lautsprecherdurchsage. Es bleibt kein Zweifel, wohin die Reise geht: „we are travelling to the heart of the question“ – „that is to say, I mean parents“.
Des Pudels Kern ist hier also das Verhältnis von Eltern und Kind, das hier durch assoziative Andeutungen und Gesten hinterfragt werden soll. Dass Fragen der Zukunft und nachkommender Generationen unweigerlich mit Themen von Ökologie und Energieressourcen verbunden sind, bildet dabei den quasi konstituierenden Hintergrund: Mal spielen sich Szenen an einer Autobahnbrücke ab, während ein Jet durchs Bild donnert, mal fungiert ein Solarpaneel als Stellvertreterobjekt des Alltags. Als Tisch oder als Schlafgelegenheit, auf der sich Y/Z und X unter einer Wolldecke aneinanderschmiegen, ebenso wie als Bildträger für die grafischen Muster aus Neonklebepunkten unterschiedlicher Größe, die in ihren gewundenen Linien entfernt an die Doppelhelix der DNA erinnern.
In seiner Fragmentiertheit ist Chaos Theory ein Plädoyer dafür, Linearität jedweder Erzählung zu hinterfragen. Realpolitik klingt dabei nur an, wenn etwa eine Durchsage die Zuseher*innen wissen lässt: „We are now entering fiction zone 3, disinformation may lay ahead.“ Vielmehr spielen Metahaven – nomen est omen – mit der Metaebene der filmischen Mittel. Szenenwiederholungen verwischen die Grenze von Probe und Aufführung. So wird das Konzept einer solchen Grenze selbst ebenso infrage gestellt wie die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit einer exakten Wiederholbarkeit, auf die die titelgebende Chaostheorie referenziert.
Der Topos der Spur, des fotografischen und also auch filmischen Bilds als Index, wird im Voice-over mit jenem der Sonnenenergie versponnen. Photosynthese sei immer auch Kino, jede Oberfläche eine Kamera. Von den in Metahavens Praxis so präsenten, oftmals im Stil von 3D-Animationen gehaltenen Schriftelementen bleibt lediglich ein Versatzstück übrig: ein schmaler Ring, mehr fotografische Linse als Buchstabe. An ihre Stelle treten in Chaos Theory klassisch cineastische Untertitel, die über die bloße Übersetzung und Beschreibung der Soundkulisse hinaus mit den filmischen Bildern verwoben sind. Analog zu den gelben Untertiteln setzt X einen gelben, akkurat gespitzten Buntstift an; auf Erde, auf Gras und auf grobem Papier, von dem die kreisförmige Zeichnung im Rückwärtsgang wieder verschwindet. So gelingt es Chaos Theory auf spielerische Weise, Linearität nicht nur im Hinblick auf das filmische Medium, sondern letztendlich auch in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen zu reflektieren.