Heft 1/2022 - Artscribe


Frankfurter Hauptschule – kANzELKULTuR

23. Januar 2022 bis 13. März 2022
Aachener Kunstverein / Aachen

Text: Sabine Maria Schmidt


Aachen. Wer cancelt, der kanzelt, herab oder herauf; die Richtung ist oft schwer auszumachen. Das ist eine der ersten Assoziationen beim Anblick des Ausstellungsplakats, das ein Detail der Abtei im Eichwald von Caspar David Friedrich mit einem Buchstabenspiel aus Versalien und Gemeinen kombiniert. Der Begriff „Cancel Culture“ ist eine Zuschreibung der eher politisch Konservativen und Rechten. „Lohnt es sich, bei der Cancel Culture heute nachzuschauen, was wohl wäre, wenn es das beschriebene Phänomen tatsächlich gäbe. Was könnte es sein oder welches reale Problem könnten diejenigen, die diese Polemik betreiben, eigentlich meinen? Hätte es am Ende sogar einen guten Sinn, sich die Schmähvokabel als Geschmähte_r anzueignen?“, fragt Diedrich Diederichsen in seinem Textbeitrag zum Projekt.1
Die erste Ausstellung der Frankfurter Hauptschule hat auf jeden Fall viel Potenzial zur Kunsterziehung. Bis dato hat das gut 20-köpfige Künstlerkollektiv aus Frankfurt mit aktionistischen Interventionen auf sich aufmerksam gemacht. 2018 fackelte die Gruppe ein ersteigertes Polizeiauto ab, um mit ihrer Visionären Ruine gegen die Verdrängung von Drogensüchtigen aus dem Frankfurter Bankenviertel zu protestieren. 2020 sorgte der fingierte Diebstahl einer Beuys-Skulptur und ihre Überführung nach Tansania für Aufregung. Man hätte die Capri-Batterie aus einer Ausstellung in Oberhausen entwendet, verlautbarte die Gruppe. Mittels der berühmten gelben Glühbirne, die über einen Stecker mit einer Zitrone verbunden ist, wurde Licht auf die Dringlichkeit von Restitutionen kolonialer Raubkunst geworfen.
In Aachen kommt nun einiges mehr zusammen, das intensiv auf das aktuelle Gemenge eines ubiquitären Rechtsrucks, Impfgegnerparolen, Esoterikästhetik und organisierten Neonazigruppen reagieren möchte. Vor allem aber geht es um Kritik an die Vertreter*innen des eigenen Gewerbes, junge Künstler*innen, die sich unkritisch-naiv der Sprache einer neuen Eso-Ästhetik und Pseudoromantik bedienen; einer Sprache, die ihre Unschuld längst verloren hat. Die Motive, die gerade allerorten hip sind, werden sorgfältig aufgearbeitet und vorgeführt: Zitate und Szenen aus Gemälden deutscher Romantik und nordischer Mythologie, mittelalterliche Ornamente, Drachen, Ritter, Schwerter, heidnische Symbole, Grotten und Höhlen. Als Materialien dienen Holz, Äste, Stroh, Tuch, Wachs, Heilsteine, Erde, Rauch, der Glaube an psychoenergetische Materialaufladung, Traumfängerei und Wunschbrunnen. „In dieser träumerischen Weltflucht blitzen antiaufklärerische Affekte auf. Hinter dem Hang zum Okkulten lauert die Faszination für die Ästhetik des Faschismus, für Kitsch und Tod. Die Romantik hat den Nazis schon einmal den Weg geebnet. Diese Schwurbelkunst muss gecancelt werden“, fordert die Gruppe, wohl wissend, dass Angriff als beste Form der Verteidigung gilt. Denn zugleich geht sie davon aus, zeitnah selbst gecancelt zu werden. Spätestens in zehn Jahren sei es wieder so weit, bis sich der galoppierende Trend zum Faschismus durch alle Poren durchgetröpfelt habe. Die Künstler*innen halten eine Wette: Wer ein Kunstwerk 2022 kauft, bekommt in zehn Jahren sein Geld zurück, wenn die Prophezeiung nicht eintreffen sollte.
Seit dem Wintersemester 2021/22 lehren zwei Mitglieder der Frankfurter Hauptschule an der Universität der Künste, Berlin. Entstanden sind derart zahlreiche Beiträge. So holzschnittartig die Message, so ideenreich ist die Ausstellungsmontage voller „geklauter Bildideen“. Engelstrompeten aus Plastik zieren einen Strauß aus Methornständern und laden zu einer symbolischen Selbstmordvernissage ein. Ein Messer-Mobile pendelt kreiselnd über einer mit weichen Fellen ausgestatteten „Wikinger-Hängematte“. „Jeder Mensch ist ein Künstler“ heißt das Schildwappen, dass ein Konterfei des Kapitolschamanen trägt, heraldisch umrahmt von Schwertern. „Antichristo“, prangert es aus der riesigen Fotomontage von der Fassade des deutschen Reichstags, der nur mehr in nächtlichem Lichternebel, umkränzt von Efeu, strahlt. Anders als Christos legendäre Verhüllung 1995, die eine historische Neuverortung dieses Gebäudes anzuregen versuchte, ist der 2020 angestürmte Reichstag hier in alter Form enthüllt.
Auf dem Weg zum Obergeschoss des Kunstvereins fällt ein hingeraffter Jogginganzug auf, aus dem Heilsteine quellen. Auf dem Rücken ist ein Pentagramm aufgestickt. Für Kenner der Kunstgeschichte ist dieser „Akt, die Treppe hinabfallend“, ein ironischer Kollateralschaden. Im Obergeschoss wandelt ein gemorphtes Mischwesen aus Rudolf Steiner und Donna Haraway als Projektion über eine Erdkugel, deren glühende Landschaften sich im Selbstzerstörungsmodus befinden.
Deftig geht es auch im Außenraum der Parkanlage zu. Ein großformatiges (neonazistisches) Symbol der „schwarzen Sonne“, gerahmt von einem schwarzen Traumfänger, ist an einem kleinen Template im Park angebracht. Osten ist rechts, nennt die Gruppe die Arbeit. Mehrdeutiger geht es kaum. Tatsächlich hat sich auch in Aachen seit Wochen ein neuer Verbund aus Esoteriker*innen, Eso-Nazis, Impfgegner*innen, Fackelträger*innen, Verschwörungsgläubigen und AfD-Wähler*innen zu wöchentlichen Spaziergängen im Aachener Stadtpark verabredet. Die Beflaggung mit roten Fahnen vor dem Gebäude des Kunstvereins durch die Frankfurter Hauptschule wirkt hier noch irritierender. Statt Hakenkreuze finden sich Batikornamente im kreisförmigen Zentrum der Stoffe, die Ähnlichkeit aus der Ferne ist dennoch bestürzend.
Dass die Frankfurter Hauptschule damit vor allem provozieren will, war klar. Und dass das auch gelingt, war vorhersehbar. Das Kunstobjekt der „schwarzen Sonne“ wurde trotz Sondergenehmigung vom Ordnungsamt entfernt, so weit so gut, die Querdenker-Demonstrationen hingegen bleiben dauerpräsent. Solche Paradoxien, die sich auch ästhetisch finden, erinnern nicht zuletzt, welche Verharmlosungen und Geschichtsrelativierungen straffrei bleiben, so etwa der würdelose Selbstvergleich von Querdenker*innen mit Holocaust-Opfern oder Widerstandskämpfer*innen wie Sophie Scholl. Das Lamentieren über eine sogenannte Cancel Culture, die von zunehmend nach rechts gerückten Vertreter*innen behauptet wird, steht mit diesem selten klaren Ausstellungsstatement zur praktikablen Diskussion. Eine Ausstellung, die sowohl als Beitrag zur Kunsterziehung als auch Kunstkritik gelten kann.

 

 

[1] Diedrich Diederichsen, Die romantischen Strohfeuer löschen?! Mit dem coolen Öl der Cancel-Culture?!Pressematerialien des Aachener Kunstvereins, Januar 2022.