Heft 1/1999 - Translocation


Zwischen Zeiten und Orten

Projektnotizen zum Problem der Translokation

Renée Green


Für mich wirft der Begriff »Translocation« eine Reihe von Fragen auf, vor allem in bezug auf die Möglichkeiten, wie er sich gedanklich fassen und imaginär bearbeiten läßt, aber auch wie er sich in der Realität gestaltet. Offensichtlich kann man diesen Fragen auf vielerlei Weise nachgehen. Worauf ich mich hier aber in erster Line konzentrieren – und dies mit einigen jüngeren Arbeiten belegen – möchte, sind bestimmte Übergänge und Querungen, die mit dem Hin- und Herpendeln zwischen verschiedenen Orten und Zeiten zu tun haben. Dies stellt einen wichtigen Ausgangpunkt vieler meiner Projekte der letzten zehn Jahre dar.

Mein Fokus liegt dabei auf jenen Bedeutungen des Präfixes »trans-«, die sich rund um die Wörter »hinüber«, »jenseits« und »hindurch« gruppieren; ebenso aber auf jenen Genealogien, die wir übernehmen oder selbst kreieren. In weiterer Folge gilt mein Interesse der Frage, was es bedeutet, den Geburtsort zu verlassen und später dorthin zurückzukehren, sowie der Frage, welche Verbindungen daraus entstehen können. Dies scheint mir ein zentraler Aspekt von »Translokation« zu sein, und ich möchte hier nur kurz darauf verweisen, daß es vielerlei Gründe gibt, warum jemand den Ort, an dem er/sie geboren wurde, verläßt oder gezwungen ist, ihn zu verlassen. Wichtig scheinen mir aber jene ganz konkreten Situationen zu sein, in denen sich Menschen wiederfinden, nachdem sie disloziert wurden. Diese individuellen Situationen im Auge zu behalten, ist deshalb so entscheidend, weil Begriffe wie »Translokation« oder »Hybridität« leicht zur Amorphie neigen.

Eine meiner Arbeiten, die sich mit diesen Fragen beschäftigt, ist das Video »Partially Buried« aus dem Jahr 1996. Sein Ausgangspunkt ist das Jahr 1970 und die Tatsache, daß Robert Smithsons Projekt »Partially Buried Woodshed« in diesem Jahr in Kent, Ohio, realisiert wurde. Daneben interessierte mich, warum es in den neunziger Jahren auf stilistischer Ebene zu einem enormen Interesse an der Wiederentdeckung der siebziger Jahre kam. Meine Überlegung ging dahin, wie sich dies im Hinblick auf andere – etwa kunsthistorische oder politische – Genealogien interpretieren ließ. Zu der Zeit setzte ich mich auch intensiv mit der Frage auseinander, was der Begriff des »Zuhauses« bedeutet – was es heißt, nach Hause zurückzukehren und warum man überhaupt weggeht. »Partially Buried« handelt aber auch vom Zusammentreffen ganz unterschiedlicher Ereignisse in den frühen siebziger Jahren; eines davon war Smithsons Arbeit, die eine Art Anti-Monument sein sollte. Die Idee dahinter war, soviel Erde auf eine Holzhütte zu schütten, bis das Gebälk einstürzte. Sobald dies geschehen war, war der aktive Teil des Projekts beendet, und es sollte ein entropischer Prozeß folgen. Einige Monate später demonstrierten StudentInnen der Kent State University in Ohio gegen den US-Einmarsch in Kambodscha. Acht von ihnen wurden von der Nationalgarde angeschossen, vier davon starben. Zufällig studierte auch meine Mutter damals an dieser Universität, und ich erinnere mich noch gut an Fernsehsendungen über die Studentenunruhen. Dies alles passierte mehr oder weniger gleichzeitig im Jahr 1970, und ich versuchte, diese Gleichzeitigkeit in dem Video festzuhalten.

Ein anderes Video, »Partially Buried Continued«, beschäftigt sich gleichfalls mit einer ganz bestimmten Genealogie (vgl. meinen Beitrag »Site-Specificity Unbound« in springerin 1/98). Zum einen liegt der Fokus hier auf einer imaginären Gruppe von KünstlerInnen, der auch ich mich zugehörig fühle; zum anderen geht es um verwandtschaftliche Beziehungen – diesmal um das Verhältnis zwischen Tochter und Vater – und die Verbindungen des Vaters zu Korea infolge seines Einsatzes im Koreakrieg. Zufällig wurde ich 1997 auch zur Teilnahme an der Kwangju Biennale in Korea eingeladen, wodurch sich eine weitere Koinzidenz ergab, was im Video festgehalten ist.

Das Video »Some Chance Operations«, das Teil der Ausstellung »Between and Including« in der Wiener Secession (9. Februar bis 11. April 1999) ist, geht vom Gedanken aus, daß Geschichte selbst so etwas wie ein Zufallsgenerator sei. »Some Chance Operations« wurde in Neapel, Wien und New York aufgenommen und untersucht den Begriff einer Archivierungsform, in diesem Fall Film, als instabilen Erinnerungsträger, der verloren gehen kann. Es geht um eine Betrachtung von Geschichte und der Art, wie Geschichte erzeugt wird, als eine von vielen operationellen Varianten.

Die Filmemacherin Elvira Notari, die in den Jahren 1906 bis 1930 eine Produktionsfirma in Neapel besaß, spielt in »Some Chance Operations« als Impulsgeberin eine wesentliche Rolle. Obwohl sie eine produktive Filmemacherin war und mehr als sechzig Filme schuf, sind nur drei davon erhalten geblieben. Notaris Filme waren nicht nur im Raum Neapel äußerst populär, sie wurden in ganz Italien und sogar in New York gezeigt, um den italienischen Einwanderern die alte Heimat nachzubringen. Ob sich heute jemand an diese Filme erinnert oder nicht, ist eine der Fragen, die im Video »Some Chance Operations« gestellt werden. Wie stellen sich die Menschen etwas vor, das in zeitlicher und räumlicher Distanz zu sein scheint? Die Aspekte von Traum, Fiktion und Projektion, die in der Imagination von einst Vertrautem hervorgerufen werden, und die Art, wie diese Erinnerungen an Worte, Klänge, Empfindungen und Bilder gebunden sind, werden zu einem Thema des Videos. Die Vorstellung von Neapel wird für verschiedene Menschen zum Zentrum dieses Nachdenkens.

Nachdem solche Verluste nicht selten sind, stellt sich die Frage, was als Filmgeschichte rezipiert wird. Wie manifestiert sich die Angst vor dem Vergessenwerden? Wie stellt man sich heute, in dieser Endzeit, Archive, Geschichte und Erinnerung vor – am Ende eines Jahrhunderts, einer Dekade, eines Jahrtausends? Auf welche Systeme stützen wir uns, und welche Methoden entwickeln wir, um mit Unsicherheiten fertig zu werden und unser Leben zu organisieren – welche Schritte, vom Ernsthaften bis zum Weltlichen, ergreifen wir? Diese Fragen treten auch in der Ausstellung immer wieder in verschiedenen Formen auf: […] durch die Suche nach den Spuren eines verlorenen Filmschaffens im heutigen Neapel, das Durchleuchten historischer Strategien der Konzeptkunst – besonders der Serialität und der strukturalistischen Tendenzen im Film –, durch die Schaffung eines idiosynkratischen Systems von Querverweisen, schließlich durch die Frage nach dem, was zum Denkmal wird, und nach der Zeitlichkeit dessen, was bleibt.