Heft 2/2004 - Rip-off Culture


Osteuropäische ©opymanie

Zur Problematik der Übertragung westlicher Urheberrechtsstandards auf postkommunistische Staaten

Ana Peraica


Vor wenigen Wochen sind zehn osteuropäische Länder der EU beigetreten. Eines der vielen Kriterien, die sie im Zuge dessen erfüllen mussten, bestand darin, den grundlegenden Forderungen nach dem Schutz des Urheber- und Vervielfältigungsrechts nachzukommen, wie in der entsprechenden EU-Richtlinie festgelegt.
Die jüngsten Gesetze stimmen noch immer nicht mit den international gültigen Gesetzen überein, und es würde Jahre dauern, hier zu einer Angleichung zu kommen. Die größte Diskrepanz besteht dabei in der Definition des Zeitraums, der nach dem Tod der AutorInnen vergangen sein muss, damit der Schutz des Urheberrechts ausläuft. Variationen von 25 bis zu 75 Jahren führen auf internationaler Ebene einerseits zu »Urheberrechtslöchern«, andererseits zu Unsicherheiten, was die Auslegung der Gesetze angeht. So ist oft nicht klar, ob es um das Veröffentlichungsrecht oder um ein Vervielfältigungsverbot geht. Je nach Definition dieses national festgelegte Zeitraums dürfen Texte in manchen Ländern nur reproduziert, in anderen nur importiert werden, auch wenn man sie dort eigentlich gar nicht lesen darf, da das Werk dort immer noch geschützt ist. So darf ein Buch, das in Osteuropa nach Auslaufen des Urheberechts publiziert wird, beispielsweise in den USA nicht gelesen werden.
Da es sich hier um ein strikt nationales Gesetz handelt, das sich zudem auf Bücher und ältere (oder gar altmodische) AutorInnen bezieht, wird die Debatte darum aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so hitzig ausfallen, wie das beim Musik- und Softwarecopyright der Fall ist. Bei digital reproduzierbaren Kunstwerken ist die Anspannung um Einiges höher, insbesondere dort, wo ein äußerst profitabler Sektor der Popkultur betroffen ist. Die Copyrightbürokratie hat weit weniger Interesse an Büchern als am urheberrechtlichen Status von digitalen Daten, Musik, Filmen und insbesondere Software. Der mächtigste Mitstreiter – Microsoft natürlich – startete seine Illegalisierungskampagnen bereits Mitte der neunziger Jahre und stellte entsprechende Nachforschungen auf einem Markt an, der längst noch nicht dazu bereit war, irgendwelche Koalitionen einzugehen.

Unterdessen verständigte sich die EU am 22. Mai 2001 mit einer bindenden Richtlinie auf ein Verbot, das sich an den umstrittenen US-amerikanischen Digital Millennium Copyright Act anlehnt und derzeit von lediglich zwei westlichen Ländern vollständig eingehalten wird. Durch diese neuen Einschränkungen erhofft sich das westliche und vor allem das US-amerikanische Kapital einen Durchbruch auf dem osteuropäischen Vervielfältigungsmarkt, der zurzeit noch eine Art rechtsfreien Raum darstellt, und zwar nicht nur, weil er sich noch nicht an die diesbezüglichen Gesetze angepasst hat, sondern weil er systematisch kriminalisiert wird. Noch bevor Copyrightbestimmungen durchgesetzt werden konnten, hielten ausländische Copyrightkampagnen mit ihren Prohibitivanmaßungen dort Einzug. Für den Westen waren die Gründe offensichtlich – die ersten Softwareprodukte, DVDs und Musik-CDs kamen schon vor einigen Jahren zusammen mit Lebensmitteln und gefälschter Markenkleidung made in der Türkei oder Bulgarien auf den Markt. Für die Menschen vor Ort waren die Gründe jedoch keineswegs offensichtlich.
Noch interessanter wird das Paradox des »Erlasses« des Copyrights bzw. der Illegalisierung von vervielfältigten Werken, wenn man bedenkt, dass die sozialistischen Länder sich den diesbezüglichen internationalen Bestimmungen bereits vor langer Zeit angeschlossen haben. 1952 unterzeichneten die damaligen sozialistischen Staaten Osteuropas eine universelle Urheberrechtskonvention, die Berner Übereinkunft, benannt nach dem ursprünglich im Jahre 1886 verfassten Vertrag. Aber den internationalen Behörden war die Übereinkunft in der Umsetzung zu »unklar«. So wurde der unterzeichnete Vertrag in der Vergangenheit oft von ganzen Staaten ignoriert, und da oft keine Handelsverbindungen zwischen den betreffenden Staaten existierten, bestand auch keine Notwendigkeit für Strafmaßnahmen. Dennoch stellt sich die Frage, warum bestimmte Länder bestimmte Gesetze einfach nicht anerkannt haben. Die Antwort ist ganz einfach – um Urheberrechte, Vervielfältigungsrechte oder Nutzungsrechte anzuerkennen, muss es einen freien Markt für die Werke geben, auf die sich diese Rechte beziehen. Schließlich wurden sie in einem kapitalistischen System für dasselbe entwickelt (obwohl das Urheberrecht aus Gründen der Authentizitätssicherung erstmals auf den Talmud angewendet wurde) und basieren auf einer Wirtschaftsform, der Marktwirtschaft, die Ländern mit Volkseigentum völlig fremd war. Der entsprechende Diskurs entwickelte sich erst als Folge der kapitalistischen Organisation und, bestenfalls, der Kritik dieser Organisation.

Schon Marx hatte sich auf die freie Äußerung von Kritik jenseits materieller Bedingungen bezogen, was später oft als Argument gegen das Copyright herangezogen wurde (beispielsweise als Begründung für die lange Weigerung der Volksrepublik China, die Berner Übereinkunft zu unterzeichnen). In den Ländern Osteuropas fand diese Art von theoretischer Überlegung mit der Entwicklung von Reproduktionstechnologien schnell ihre praktische Anwendung. Bereits im Zweiten Weltkrieg wurden Druckerpressen in fast handlicher Größe gebaut, mit denen die Grenzen der Artikulation leicht zu erweitern waren. Der Marxismus verbreitete sich durch Pamphlete, Flugblätter und eine freie Presse, auf die es kein Copyright gab. Paradoxerweise kam das Fotokopieren, das in den meisten Ländern strikten Vervielfältigungsrechten unterliegt, in den sozialistischen Staaten just in dem Jahrzehnt auf, in dem sie die entsprechenden internationalen Gesetze unterzeichneten. Besonders an Universitäten und in Bibliotheken sollte sich das Fotokopieren zu einer wichtigen Aktivität entwickeln. Bildung durfte nichts kosten, war aber für den Staat eine recht kostspielige Angelegenheit. Aus diesem Grund hatte dieser ein direktes Interesse daran, dass Bücher kopiert werden durften. Während etwa kanadische StudentInnen neben den reinen Materialkosten auch noch die Abgaben für das Vervielfältigungsrecht selbst entrichten mussten, bewahrten osteuropäische Fotokopierer den staatlichen Bildungsfond vor zusätzlichen Kosten für teure Bücher. Letztendlich ging es bei den meisten Klagen über Verstöße gegen das internationale Copyrightgesetz in den sozialistischen und später postsozialististischen Ländern auch um den kostenlosen Zugang zu Kopiergeräten in öffentlichen Bibliotheken. Als die CD- und DVD-Brenner auf den Markt kamen, waren dem »©ommunismus« keine Grenzen mehr gesetzt, denn damit fielen auch bei teuren Büchern, Musik oder Videos die materiellen Barrieren. Der Staat förderte diese Entwicklung zwar nicht offiziell, hatte aber auch nichts dagegen einzuwenden, dass die Filmclubs Kopien klassischer internationaler Kinohits machten.

Heute benutzen viele KritikerInnen den Begriff »Copyleft«, wenn sie sich auf sozialistische Praktiken, wie dem Drucken und Fotokopieren von politischen Materialien beziehen – etwas, das sich später im Raubkopieren von CDs und DVDs fortsetzte. Und obwohl man meinen könnte, der Begriff sei im Osten erfunden worden, ist dies nicht der Fall. Geprägt wurde er von Richard Stallman im Zusammenhang mit seiner Arbeit am Lisp-Interpreter. Osteuropa hatte damit nichts zu tun. Dort wusste man gar nicht, was Copyright bedeutet, und dass es dazu überhaupt Gesetze und Bestimmungen gibt, die darüber hinaus auch für legale Software gelten. Und selbst wenn, was macht das schon, wenn doch eh alles Volkseigentum ist? Was nun den »rechtmäßigen« Besitz angeht, so existierte er vor jeder diesbezüglichen Theorie; und CDs wurden kopiert, lange bevor das Gesetz sich dafür interessierte. Dennoch verweist der »Copyleft«-Diskurs, wenn es um die Kritik an der Diktatur des Copyrights geht, heute gerne auf zwei osteuropäische Kopierphänomene, die augenscheinlich geworden waren im Kontext der Konfiszierung kopierter Videokassetten von Filmklassikern, deren Originale im Westen verloren gegangen waren. Was im Grunde einer Kopier-Inquisition gleich kam.

Es geht um zwei Praktiken alternativen Kopierens bzw. Druckens, Samisdat (im Selbstverlag) und Tamisdat (im Fremdverlag), beide ohne legale ISBN-Nummer oder andere wichtige Katalogisierungsdaten. Und doch wurden so hergestellte Kopien auch von offizieller Seite anerkannt und durften in den Biografien der AutorInnen aufgeführt werden, sogar auf höchster Ebene. In den meisten Fällen handelte es sich um Übersetzungen oder um kopiertes, im Westen geschütztes Material, historisch wurden jedenfalls beide Plattformen dazu benutzt, die restriktiven Praktiken der Behörden zu bekämpfen. Da Kopieren als illegal galt, hätte man diese Praktiken als »Copyleft« bezeichnen können, ihre eigentlichen Ziele hatten jedoch nichts mit der Ablehnung der Marktwirtschaft zu tun. Die »Copyleft«-Bewegung lehnt die Einschränkungen des Marktes ab, während Samisdat ein dezidiertes Verbot unterläuft. In der Tat kann der Markt als vorwegnehmende Zensur verstanden werden, wo einerseits der Wettbewerb befürwortet und gefördert wird, andererseits kleinere Initiativen von monströsen Großunternehmen zerstört werden, ähnlich einer Diktatur, die jede Art der freien Meinungsäußerung untersagt. Nur ist die »Copy-Rechte« etwas anders organisiert: Während politische Diktatoren ihre Propaganda immer umsonst verteilt haben, verlangen die Marktdiktatoren Geld dafür. Und auch die Strafen unterscheiden sich. All das macht deutlich, dass das Copyright auch als Werkzeug der Zensur eingesetzt werden kann, etwas, das KritikerInnen des Copyrights erst durch das Bekanntwerden der im Osten gängigen Kopierformen bewusst wurde.

Viele AutorInnen haben in Anlehnung an Walter Benjamins berühmte These auf die Kunst im Zeitalter der digitalen Reproduktion als den idealen Ort erwiesen, an dem das Original nicht nur seine Aura verloren hat, sondern auch von der eigenen Kopie nicht mehr zu unterscheiden ist, und daher aus neoplatonischer Sicht degradiert wird. Interessanterweise ist kurz vor der drohenden Explosion des Kopienmarktes, die im Osten mit jeder neuen Kopiertechnologie drohte, eine Situation eingetreten, in der die Copyrightgesetzgebung die Reproduktion vom Original emanzipiert hat, selbst in kommerzieller Hinsicht. Mit dem Aufkommen der Digital Image Library gelang es, die Entwicklungen des Copyrightsystems in den Bereichen Kunst und Kultur wieder auf die ursprüngliche Bedeutung, also auf die des Schutzes der Rechte des Urhebers/der Urheberin, zurückzulenken.
Gemäß der Berner Übereinkunft gilt das Urheberecht des Künstlers/der Künstlerin, sobald das Werk in materieller Form vorliegt, aufgezeichnet oder dokumentiert wurde. Dennoch ist es weniger die Reproduktionstechnologie selbst als vielmehr die Copyrightkontrolle, die dazu führt, dass Bilder der Obhut ihrer »ursprünglichen« Schöpfer zu entweichen drohen. Folglich werden wir immer öfter mit Copyrightsymbolen konfrontiert, und zwar an Stellen, an denen sie bislang nicht zu sehen waren, nämlich in den Bereichen Kunst und Kultur. Früher autorisiert, heute geschützt, Videos, Fotos, sogar Gemälde. Eine neue Paranoia wird spürbar, ein Produkt des Authentizitätsverlusts in der Kultur, mit dem die Copyrightindustrie als Agent vormals selbst konfrontiert war, und der nun den Künsten ihren historisch ihnen vorbehaltenen Platz der Kreativität und Originalität streitig macht.

Im Fall von Osteuropa, wo mit einem Mal überall das Copyrightsymbol erscheint, mutet der Versuch, die eigene Geschichte urheberrechtlich zu schützen und gleichzeitig mit den wirtschaftlichen Bedingungen des Westens mithalten zu wollen, etwas unbeholfen an. Wenn man an Geschichten denkt, wie die der Slowenen, die sich den Namen einer traditionellen mazedonischen Sauce haben schützen lassen, kann man sich vorstellen, was dort los ist. Jeder versucht schnell noch irgendwelche Rechte zu erwerben, bevor es zu einer neuen Enteignung von Eigentum kommt. Alles Anzeichen für das Vordringen des globalen Marktes und seiner Gesetze an Orte, an denen vor ein paar Jahren noch kaum jemand damit gerechnet hätte. Eine Entwicklung, die paradoxerweise oft in Verbindung mit der Forderung nach neuen Copyrightgesetzen genannt wird, ist, dass osteuropäische KünstlerInnen damit begonnen haben, das ©-Symbol unter jeden ihrer Texte zu drucken. Ideenklau, etwas, das zusammen mit den Copyrightgesetzen und ihren Konsequenzen selbst in den entlegendsten Kunstkreisen sehr heftig diskutiert wird, und die damit in Verbindung stehenden neuen internationalen Einschränkungen des Millennium Copyright Act führen dazu, dass das ©-Symbol sich noch weiter ausbreitet als zunächst befürchtet. Die Panik, dass die Gesellschaft ihre Authentizität verlieren und zur Kopie einer anderen Gesellschaft werden könne, unterstreicht die Illegalität eben dieser Kopie.

Im Zuge der Ausbreitung des Copyrightsymbols wurde mitunter aber auch Kritik spürbar. Einige Verwendungen des Symbols schienen sogar eher zynisch gemeint. In der Signatur eines Wandgraffitis, das heißt, an einem Ort mit zweifelhaftem Eigentumsrecht, der zur Wand des Hauses von jemand anderem gehört und doch gleichzeitig von jedem auf der Straße gesehen wird, und zudem noch in der Kontinuität desselben überall erscheinenden Symbols, wird es vollends lächerlich. Die sarkastische Überstrapazierung des Symbols, es mit der ursprünglichen sozialistischen Unlesbarkeit zu überfrachten, es zu »overcopyrighten«, ist zu einer Methode geworden, die Zensur zu unterlaufen, das Copyright quasi selbst raubzukopieren. Das Symbol wurde gestohlen und kopiert und verliert somit seinen Sinn.
Und auch die Gesetze ergeben keinen Sinn. Eines davon besagt: »Wer unter seinem oder einem anderen Namen das Werk eines Dritten, das nach dem Gesetz als urheberechtlich geschütztes Werk gilt, der Öffentlichkeit durch Veröffentlichung, Präsentation, Ausführung, Transport oder auf andere Art und Weise zugänglich macht oder dies erlaubt, wird mit einer Geldstrafe oder einer Gefängnisstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.« (Artikel 229, Strafgesetz, Kroatien 1991) Dieses Gesetz erklärt viele der Kunstwerke Osteuropas der vergangenen Jahrzehnte als illegal und wirft sie somit mit Raubkopien auf dem Videomarkt in einem Topf. Ausgehend von der heute herrschenden Copyrighthysterie sind AutorInnen wie der »Belgrader Malewitsch« oder Braco Dimitrijevic und Goran Trbuljak, die unter dem Namen des Rentners Tihomir Simcic veröffentlichen, gezwungen, das ©-Symbol zu benutzen, um damit einen symbolischen Diebstahl zu kennzeichnen und gleichzeitig eine gewisse Ignoranz gegenüber den Originalen zu markieren.

Zum Zeitpunkt des »Riesenschwindels« mit Kasimir Malewitschs »Letzter Futuristen-Ausstellung«, ursprünglich präsentiert in Sankt Petersburg vom 17. Dezember 1915 bis zum 19. Januar 1916, reproduziert und erneut präsentiert in Belgrad im Jahr 1986 von einem Künstler gleichen Namens, waren diese Gesetze noch nicht in Kraft. Mit ihnen änderte sich aber die Bedeutung einer solchen Aktion. Vorher konnte die Öffentlichkeit den Unterschied zwischen dem Zitierten und dem Zitat, dem Namen und der Referenz, dem Original und der Kopie erkennen – die Sache war relativ klar. Nicht unterscheiden kann es jedoch zwischen dem Eigennamen und dem Markennamen, und somit auch nicht zwischen Original und Fälschung. Da die Voraussetzung für eine Fälschung eine Absicht ist, die sich in Marktwerte übersetzen lässt, ist nicht das Original, sondern das Copyright die eigentliche Voraussetzung für die Fälschung. Ein Jahrzehnt später wurden die Urheberrechte schließlich in Nutzungs- und Vervielfältigungsrechte umgewandelt, und diese müssen nun nicht einmal mehr bei derselben Person liegen.

Kürzlich fragte ein Künstler: »Wenn ich mir nun den Namen ›Bill Gates‹ schützen lasse, dann gehört doch alles mir, oder? Dann wäre ich mehr Bill Gates als Bill Gates selbst, und könnte Microsoft übernehmen.« Ich bin nicht sicher, ob es so funktioniert, aber man sollte sich zweifellos die Copyrights auf alles Mögliche sichern. Kopiert die Kopiergerechten! Und eines Tages wird das Copyright auf das Copyright auf das Copyright schlichtweg explodieren.

 

Übersetzt von Gaby Gehlen