Heft 3/2013 - Apparate Maschinen


Schreibmaschinen im Weinberg des Textes

Ein Gespräch mit Mathieu Copeland und Kenneth Goldsmith über Konzeptuelle Poesie, das Schreiben der Ausstellung und die Zukunft der Schrift

J. Emil Sennewald


„Irgendwann in naher Zukunft“, schrieb Lucy Lippard 1968 in ihrem Essay The Dematerialization of Art, „wird es für den Schreiber vielleicht notwendig, Künstler, so wie für den Künstler Schreiber zu sein."1 Heute, 45 Jahre später, scheinen beide Bereiche verschmolzen, sind KünstlerInnen auch KuratorInnen, KritikerInnen, VermittlerInnen ihrer Arbeit. Für Kenneth Goldsmith (52), viel beachteter Vertreter „konzeptuellen Schreibens“, Gründer von UbuWeb, einer Webdatenbank avantgardistischer Filme, Videos und Texte, Professor an der University of Pennsylvania, ist das normal: „Über innovative Lyrik gibt es nahezu keinen kritischen Diskurs, also müssen die DichterInnen ihn selbst führen.“ Die Do-it-yourself-Lösung folgt Lippards Ausblick: „Zeitgenössische KritikerInnen werden vermutlich wählen müssen zwischen kreativer Originalität und erklärendem Historizismus“2. Mit Büchern wie Uncreative Writing: Managing Language in a Digital Age (2011) oder Against Expression: An Anthology of Conceptual Writing (2011) richtet sich Goldsmith gegen das Kreativitätspostulat der Kunst. Bücher wie Soliloquy (2001), die Aufzeichnung von allem, was er während einer Woche gesagt hat, oder Day (2003), die Abschrift einer Ausgabe der New York Times, sind für ihn Konzeptkunst: „Die Idee ist in Bezug auf die Texterstellung wichtiger als der daraus resultierende Text. Deshalb wird über meine Bücher auch öfter diskutiert, als dass man sie wirklich lesen würde.“
Auch Mathieu Copeland (36) will als Kurator mehr anstoßen als bloß zeigen, indem er, wie auf seiner Website zu lesen ist, „Poetiken von zwischenräumlichen, neutralen und sonst übersehenen Off-Spaces – sowie Off-Zeiten – von Museen und Galerien“ diskutiert. Ihm geht es um Poetiken, also Funktionsprinzipien der Darstellung künstlerischer Arbeit. Eine choreographierte Ausstellung (Kunsthalle St. Gallen, 2007) ließ drei Mitglieder der Tanzkompanie des Stadttheaters St. Gallen Werke von Jennifer Lacy oder Roman Ondák in Bewegungen übersetzen. Voids (Centre Pompidou Paris, 2009) stellte in neun leeren Sälen historische Ausstellungen leerer Räume wie von Yves Klein oder Maria Eichhorn dar, indem diese einfach leer gelassen – und ausdrücklich nicht, wie aktuell in Germano Celants Remake von When Attitudes Become Form, nachgebaut – wurden, während une exposition parlée (Jeu de Paume Paris, 2013) Künstler wie Vito Acconci oder Gustav Metzger Werkgeschichten erzählen lässt.
Das Hervorheben der performativen Qualität von Text und Ausstellung passt zu den Protagonisten: Copeland wie Goldsmith sind charismatische Persönlichkeiten, mögen den Auftritt als Autoren ihrer Werke, Goldsmith las 2011 während A Celebration of American Poetry vor Präsident Obama im Weißen Haus und genoss sichtlich, mit Vollbart und Paisley-Muster-Anzug, den Status als avantgardistischer Paradiesvogel. Den neukonzeptuellen Ansätzen geht es offensichtlich nicht nur um das Revival einer Kunstrichtung, sondern um jenen „immateriellen“ Teil, der Wert und Bedeutung der Werke bedingt: Gesten, Rahmenbedingungen, Worte, Objekte. Ein neuer historischer Materialismus, notwendig angesichts anhaltender Entfremdung des Publikums von den kulturindustriellen Spektakelmaterialien. Welche kritische Kompetenz dieser zulässt, sollte ein Interview aufzeigen, das mit Copeland und Goldsmith per E-Mail geführt wurde.
Auf die Frage, was Goldsmith als bildenden Künstler 1990 in den Bereich der Literatur führte, antwortet dieser: „In der Geschichte der bildenden Kunst wurden experimentelle Bewegungen meist belohnt. Tatsächlich sind seit Anbruch der Moderne Kunstwelt und Avantgarde Mainstream. Das unterscheidet sich erheblich vom Schreiben, wo es tatsächlich zwei getrennte Strömungen gab: Mainstream und Avantgarde. Der Mainstream wurde immer sehr gefördert und war sehr beliebt, während die Avantgarde links liegen gelassen wurde. Der Mainstream blieb für ein ganzes Jahrhundert ästhetisch blockiert, daher seine Popularität und seine Geistesarmut. Der Dichter Brion Gysin meinte 1959, dass die Literatur 50 Jahre hinter der Malerei herhinkt. Heute würde ich das glatt verdoppeln. Man kann in der Literatur immer noch Sachen machen, die Leute aufregen – es gibt jede Menge an Ideen, die von der bildenden Kunst aufgegriffen wurden, ohne im Schreiben je auch nur angerührt worden zu sein. Indem wir solche Strategien jetzt im Schreiben einsetzen, können wir den schriftstellerischen Diskurs vorwärts bringen, ihn zeitgenössisch und bedeutsam machen. Das hat viel mit den digitalen Umgebungen zu tun, die alle auf alphanumerischem Code beruhen (denken Sie nur an die Zeit, als ein JPEG per Mail verschickt wurde und als Code ankam, nicht als Bild). Das ist dasselbe Material, aus dem Shakespeare seine Sonette geschmiedet hat, bloß nicht in derselben Reihenfolge. Alle heutigen Medien – Film, Sound, Fotos – bestehen aus kilometerlangen alphanumerischen Codes. Daher ist ganz klar: Das ist der große Moment für das Schreiben.“
Natürlich hat Shakespeare seine Sonette nicht aus demselben Material geschmiedet, aus dem heute Texte gemacht werden. Seine Schrift mit Tinte und Feder ist weit vom Code entfernt, der sie heute sichtbar macht. Goldsmiths historischer Rösselsprung macht deutlich, dass er sich auf Text bezieht, also auf von Schrift-Objekt gelöste Bedeutungsketten. Die Trennung von Schrift und Text als Material ist älter als die Erfindung des Buchdrucks, Ivan Illich datiert sie um ca. 300 Jahre weiter zurück.3 Mit der Einführung des stillen, „inneren“ Lesens wurde die körperliche Präsenz des Manuskripts in die mentale Repräsentation des Textes übersetzt. Solcherart vom Korpus gelöst wurde Schrift zu Text, einem Gewebe aus Vorstellung und Darstellung, das verschiedene Gestalt annehmen konnte. Seither trat Schrift als Objekt immer dann hervor, wenn Medienentwicklungen dem Eindruck einer Entmaterialisierung von Inhalten Vorschub leisteten. So verbindet sich die Laut- und grafische Poesie Anfang des 20. Jahrhunderts, wie etwa Duchamps Anweisung, alle abstrakten Begriffe aus einem Larousse-Wörterbuch zu kopieren und sie durch neue Zeichen zu substituieren, mit der Verbreitung akustischer Aufzeichnungsgeräte.
Das aktuelle Bewusstsein für den Objektcharakter der Sprache reagiert auf den Wandel der Schrift vom analogen zum digitalen Zeichen – zum Code reduziert wird Text Material, kann alle möglichen Gestalten annehmen. Aber was genau bezeichnet Goldsmith als Material? „Wir neigen in unserem kulturellen Diskurs zu einem sehr engen Gebrauch von Sprache, einem transparenten, einzig der Kommunikation dienenden Gebrauch, ungefähr so, wie ich jetzt schreibe. Das ist der Diskurs des Logos: Geschäftswelt, Gesetze, Patriarchat. Es fällt mir auf, dass fiktionales Schreiben seit Langem aufgegeben hat, mit Formen der Sprache zu experimentieren, das wurde den LyrikerInnen überlassen. Daraus ergibt sich, dass der Dichtung eine wesentliche Rolle im zeitgenössischen Sprachgebrauch zukommt.“
Dieser Wendung zum Gebrauch von Sprache als Datenmaterial widerspricht, wie Goldsmith in einem anderen Interview sagte, dass „konzeptuelle Poesie nicht gelesen zu werden braucht“. Geht es konzeptuellem Schreiben nur um die Erinnerung an Schrift bzw. um den Gestus des Schreibens? Goldsmith meint: „Konzeptuelles Schreiben befasst sich mit der Wiederaufnahme von bereits Geschriebenem, will gebrauchten oder abgenutzten Texten ein anderes Leben geben. Durch diesen Recyclingakt schafft es eine neue Erinnerungsbank, aber nur, um die Texte erneut in den Sumpf zirkulierender (und zyklischer) Sprache zurückzuwerfen, was deren Instabilität betont. Konzeptuelles Schreiben stellt Nutzung über Bedeutung.“ Textnutzung statt Sinnfindung, Erinnerungsbank, die Sprache als zirkulierende Währung ausgibt – Goldsmith macht keinen Hehl aus der symbolischen Entfremdung von Ding und Arbeit, die er in digitalen Code überträgt. Daraus bedient sich sein Schreiben, folgt dem Wandel vom Text zum Content, wie er gerade im Multichannel-Publishing, also im Publizieren auf verschiedenen elektronischen Plattformen, vollzogen wird. Dieser bringt eine Nivellierung der Bedingungen mit sich, unter denen Text erscheint, das Buch verliert seine Identität, der Text seine Umgebung. Wie reagiert konzeptuelles Schreiben darauf?
„Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Content nicht länger von grundlegender Wichtigkeit ist“, antwortet Goldsmith, „vielmehr tritt er immer mehr gegenüber den Prozessen seiner Zurichtung und Verbreitung zurück. Es geht nicht darum, was wir formen, es geht darum, wie wir es formen. In Zeiten, in denen jeglicher Inhalt verfügbar ist, wird es immer uninteressanter, noch mehr dazu zu produzieren. Wir brauchen uns über die Zukunft des Content keine Sorgen zu machen, schließlich gib es eine Explosion von Inhalten!“ Eine Explosion, die durch maschinelle Textproduktion vorangetrieben wird, wie sie etwa in Andrew C. Bulhaks „Postmodernism Generator“ (1996) ein Vorbild haben. Diese reagierte seinerseits auf den „Alan Sokal Hoax“ – eine Parodie auf postmoderne naturwissenschaftliche Texte, die 1996 als wissenschaftlicher Beitrag ernst genommen und abgedruckt wurde. Das ursprünglich „Dada Engine“ genannte und noch heute im Internet abrufbare Programm4 erzeugt bedeutungslosen, allerdings echt wirkenden Text – beliebigen Content, produziert von einem Computer.
Ist die „unkreative Praxis“, die sich gegen eine in Creative-Writing-Kursen industriell zugerichtete Literatur richtet, ein Weg aus der Verwertungspraxis im Sinne des „Copyleft“? Ist sie mehr der Net-Art zuzurechnen, wie sie Ausstellungen wie Connect (Zürich, 2011) oder Publikationen wie art&cultures numérique(s) (2012) vorführen? Oder führt konzeptuelles Schreiben zu einem neuen Niveau künstlerischer digitaler Praxis, die auch zeigt, wie obsolet die Fixierung auf die technischen Mittel ist? „Technologie wird unsichtbar, wenn wir anfangen, sie wirklich auf interessante Weise zu nutzen“, antwortet Goldsmith. „Es fällt mir auf, dass Netzkunst und E-Poetry mehr die Sache von ProgrammierInnen als von KünstlerInnen war. Als solche haben sie wichtige Fortschritte gemacht, indem sie herausfanden, wozu Maschinen fähig sind. Allerdings hat kaum jemand das je als Kunst wahrgenommen. Heute scheinen die Produktion von Maschinen und das Erstellen von Text untrennbar miteinander verbunden, so sehr, dass laut Christian Bök in Zukunft kein Dichter mehr in der Lage sein werde zu schreiben, ohne verschiedene Programmiersprachen zu kennen.“
Die Entdeckung des Schriftmaterials in der bildenden Kunst wird von einer Bewusstwerdung der Bedingung des Schreibens durch den Code begleitet, wie sie bereits Anfang des neuen Jahrtausends Theoretiker wie Matthew Fuller oder Lev Manovich in Software takes command formulierten.5 Freilich ohne literarischen Anspruch, wie Goldsmith betont. Gleichwohl entstand eine neue Herausforderung für die Präsentation von Werken, die entsprechend ihre Hard- und Softwarebedingungen mit reflektieren. Wie lässt sich das in Bezug auf den Umgang mit Schrift, der unvermeidlich ein Umgang mit symbolisch generiertem Sinn ist, in den Ausstellungsraum übersetzen? Etwa durch „konzeptuelles Kuratieren“?
„In gewisser Weise ist Kuratieren immer konzeptuell“, erklärt Mathieu Copeland. „Es gibt keine Ausstellung ohne die Kunstwerke, die sie existieren lässt, gleichwohl ist eine Ausstellung ganz bestimmt mehr als die Kunstwerke oder die Institution, die sie ermöglicht – ihre Materialität ist von radikal anderer Natur. Kuratieren bedeutet, jene abstrakte Struktur zu schaffen, die der Ausstellung ihre Existenz verleiht. Aber abgesehen vom konzeptuellen Kuratieren sollte eine Ausstellung eher als ,choreografierte Vielstimmigkeit‘ angesehen werden – sowohl im Sinne einer Vielstimmigkeit im Sprechen, aber viel mehr noch in der Weise, wie ihre Orchestrierung im Raum die physische Präsenz von Zeit und Erinnerung dessen, was erfahrbar gemacht werden soll, aufzeigt, und zwar für einen gegebenen Zeitabschnitt und ausgehend von einem bestimmten Script.“
Diese Arbeit ist demnach alles andere als „entmaterialisiert“. Vielmehr geht es ihr – wie Goldsmiths Schreiben auch – um das Aufführen der körperlichen, performativen Eigenschaften, die jeder Text, jedes Bild mit sich bringt, wie Nancy Spero bereits 1969 vorführte, indem sie „All writing is pigshit. Artaud“ mit einem Pinsel auf Leinwand schrieb. Sie zitierte damit Artaud. Und malte ein Bild. Das Drama des Textes im Bild zeigte schon damals: ohne Schrift kein Bild, und ohne das Bild gibt es nichts zu lesen. Wo ist das Bild im konzeptuellen Schreiben angesiedelt? Goldsmith meint: „Die konkrete Poesie war Mitte des 20. Jahrhunderts der Raum, in dem Bild und Wort aufeinanderprallten, was uns dazu zwang, beider Definition zu überdenken, und so die materiellen Qualitäten der Sprache in den Vordergrund rückte. Digitale Sprache kann kopiert, ausgeschnitten, eingesetzt, verschoben, gespammt usw. werden, was alten Vorstellungen linguistischer Materialität neues Leben einhaucht und sich dabei auf Saussures Konzepte des Klangbildes beruft oder auf das von Joyce und der Noigandres-Gruppe entwickelte Konzept des ,verbi-voco-visuellen‘ Ausdrucks. In unserer digitalen Welt verkörpert Sprache das Konzeptuelle, wie auch das Materielle. Ähnlich wie Duchamps Konzept des ,inframince‘ flackern Wörter hin und her zwischen Materiellem und Konzeptuellem, Signifikat und Signifikant, Sprache und Bild.“
Diese Oszillation übersetzt Copeland in den Ausstellungsraum, begreift Kuratieren als ein Schreiben: „Harald Szeemann sprach immer davon, ,Ausstellungen zu schreiben‘“ erklärt er, „Schreiben steht sowohl am Anfang wie am Ende des Spektrums des Ausstellungsmachens – man schreibt zuerst die Partitur einer werdenden Ausstellung, und eine Ausstellung wird bestimmt durch den Apparat, der ihr ihre Form gibt: Titel, Wandtexte, Erläuterungen usw. – überall Geschriebenes. Das war zum Teil auch der Grund, weshalb ich Jacques Villeglé eingeladen habe, alle Ausstellungstexte für an exhibition without texts in der Jeu-de-Paume-Serie mit seinem soziopolitischen Schriftfont zu setzen, weil die Texte der Ausstellung sich dadurch in diesem ,unlesbaren‘ Font auflösen, und auf diese Weise neue Bedeutung ermöglichen!“ Der Plakatabreißer Villeglé bearbeitet als Poet Schrift. In seinen Plakatabrissarbeiten ebenso wie in eigenen Alphabeten ging es um die visuell-poetische Qualität von Schrift. Insofern ist Copelands Einbindung von Villeglé in eine Ausstellung „ohne Text“ keine Verweigerung, sondern eine Hervorhebung der visuell-materiellen Qualität von Schrift. Wie sieht das aus, wenn er rein akustische Ausstellungen kuratiert?
Copeland: „Im Hinblick auf die Serie An Exhibitions to Hear Read erzeugt die Behandlung von Kunstwerken als geschriebener Text ein anderes Verständnis der Rolle des Katalogs. Im besten Falle folgt der Katalog dem Bemühen der Ausstellung oder stellt es infrage, im schlechtesten – und der tritt zu oft ein – agiert er einfach als Checkliste dessen, was präsentiert wurde. Mit dieser Serie von Ausstellungen, die man gelesen hören muss, wird der Katalog sowohl zur Partitur der erst entstehenden Ausstellung als auch zur Erinnerung an sie: Ohne die Ausstellung zu beschreiben, vermittelt er eher ihr Empfinden.“ Auch Goldsmith geht es um das Gefühl, bei der Arbeit am Text: „Die Kunstwelt ist der falsche Ort fürs Schreiben“, erklärt er auf die Frage, welche Rolle er dem Schreiben in einer Kunstausstellung einräumen würde. „Kunstbetrachtung ist schnell; die vertiefende Beschäftigung mit Text in einem visuellen Raum verläuft langsam. Deshalb sind Mathieus Ausstellungen, die entweder durch DarstellerInnen oder durch die MuseumsbesucherInnen laut gelesen werden müssen, so klug. Er denkt die Rolle von Text in einem Ausstellungsraum neu, zieht ihn von den Wänden direkt in den Raum und verwandelt so tote Textualität in ein lebendiges und das Publikum einbeziehendes Schauspiel.“ Dieses „lebendige Schauspiel“ liefert Goldsmith mit Gesten: „Früher war ich Künstler; dann wurde ich Dichter; darauf Schriftsteller. Wenn man mich jetzt fragt, bezeichne ich mich selbst als Wort-Prozessor oder Wort-Bearbeiter.“ Mit diesen Worten beginnt Goldsmith die schmale Publikation, die er für Copelands Ausstellung publiziert hat und die sich wie ein Manifest liest, voll wenig differenzierter Setzungen und kraftstrotzender Behauptungen wie „Internet zerstört Literatur (und das ist gut so)“. Marx’ Aussage, „alles, was fest ist, schmilzt in die Luft“ wird hier zum apodiktischen Satz „nicht allein verschmilzt Schreiben mit allem, es schmilzt auch alles in das Schreiben“. Während er vorgibt, „nicht-eingreifendes Schreiben“ fördern zu wollen, reduziert Goldsmith die Vielfalt literarischer Strömungen auf kommerzielle Produkte, gegen die konzeptuelle Poesie als Heilmittel erscheint. Braucht es hier keine Differenzierung, keinen Respekt des Singulären? „Die Arbeit, die ich für das Jeu de Paume gemacht habe, ist tatsächlich eine viel konventionellere Art von Text als meine konzeptuellen Schreibarbeiten“, räumt Goldsmith ein. „Sie ähnelt mehr einem gewöhnlichen Buch über meine Gedankenwelt, ist eher tagebuchartig und sollte daher mit anderen Augen betrachtet werden als meine eher interventionistischen Texte. Ich funktioniere nicht immer nach demselben Modus.“
Emotionalität spielte bei Goldsmith zuletzt eine immer größere Rolle. In seinem jüngsten, nach Warhol benannten Buch Seven American Deaths and Disasters montiert er Medienberichte nationaler Tragödien wie der Ermordung John F. Kennedys oder John Lennons. Eine narrativ-historistische Arbeit, wie er sie zuvor durch die maschinelle Reproduktion von Text unterlaufen wollte. Wird der Konzeptualist nun zum Epiker? „Das Buch unterscheidet sich stark von meinen vorhergehenden Arbeiten“, erwidert Goldsmith, „mich langweilte es, so langweilig zu sein, weshalb ich mich entschieden habe, etwas nach genau derselben Methode zu machen. Nur dass ich diesmal mein Kameraobjektiv auf Dinge gerichtet habe, die emotional, historisch und spannungsgeladen sind, anstatt auf mondäne und geistlose Dinge.“
Die Befreiung, auf welche die Praktiken von Copeland und Goldsmith abzielen, weist auf die Verantwortung im Umgang mit Schrift und Bildern, fordert die Zuwendung zu Geschichte und je singulären Eigenheiten der Texte, die als Content ihren Kontexten entrissen sind wie Bilder ohne Legende. De facto leisten neukonzeptuelle Ansätze, was ein industrieller Zwang zur Innovation verdrängt: den Blick zurück auf jenen „pile of debris“ zu lenken, den Laurie Anderson 1989 in The Dream Before besingt, damit Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ zitierend. Der Engel kann nicht reparieren, ihn bläst der Fortschritt rücklings in die Zukunft. Goldsmith oder Copeland sind keine Engel, keine Genies. Sie bleiben auf der Erde zurück, wühlen im Schutthaufen, stapeln neu auf, was sie dort finden. Und laden zum Nachmachen ein.

 

 

1 Lucy R. Lippard, The Dematerialization of Art (1968), in: dies.: Changing. Essays in Art Criticism. New York 1971, S. 275.
2 Ebd.
3 Ivan Illich, Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand. Frankfurt am Main 1991.
4 Siehe http://www.elsewhere.org/pomo/
5 Eine aktualisierte Version des 1999 erstmals publizierten Textes ist für Ende 2013 in Vorbereitung; http://lab.softwarestudies.com/p/softbook.html