Heft 1/2014 - Artscribe


Lois Weinberger

17. Mai 2013 bis 27. Oktober 2013
Ferdinandeum / Innsbruck

Text: Georg Schöllhammer


Innsbruck. Gleich hinter dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, das Lois Weinberger eine Retrospektive ausgerichtet hat, ganz nahe dem historischen Hofgarten der Innsbrucker Residenz, lebt wildwuchernd in einem Käfig aus eng gesetzten, rostigen Torstahlstäben eine Gesellschaft aus Pflanzen und Objekten. Der Wind, Tiere und Menschen haben diesen Garten – seine Form ist ein Zitat auf minimalistische Skulpturengesten – gleichsam gänzlich absichtslos angelegt. Er kann nicht betreten werden und duldet keine gärtnerischen Eingriffe. Auch Unrat, der hinter dem Gitter zu liegen kommt, wird nicht entfernt, sondern bleibt zeithaltiger Teil des Objekts. Ende der 1990er hatte Lois Weinberger mit dieser kraftvollen und anspielungsreichen Geste seines Kunst- und Bauprojekts für den Neubau der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Innsbruck den Widerstand der indigenen Gärtner und Heimatschutzbeflissenen hervorgerufen. Denn Weinbergers anarchistische Asyl für Vegetation bezieht sich auf eine Konzeption von „Natur“ als gesellschaftlicher Konstruktion, die nicht durch identitäre Vorstellungen definiert ist: Es ist eine Art Secondhand-Natur, es ist ein Raum des naturgesellschaftlichen Wildwuchses, die ein durchgängiges Thema im Werk Weinbergers ist, welches das gesellschaftliche Leben der Pflanzen – wie hier z.B. ihre globale Migrationsgeschichte – im Blickfeld hat.
Fast 20 Jahre früher hatte Weinberger in seiner Heimatgemeinde, auch in Tirol, seine Arbeit begonnen, ebenso anarchisch, wie in der nicht thematisch oder chronologisch, sondern nach Konstellationen und Kohärenzen geordneten Schau im Landesmuseum auf frühen Fotoarbeiten zu sehen ist. Eine, Baumfest (Baum Celebration) (1977) betitelt, zeigt einen kleinen Kirschbaum auf einem Wiesenhang in den österreichischen Alpen. Sein Stamm und seine Zweige sind über und über mit bunten Plastiksäcken umbunden und verhüllt. Wie die Gebetsbäume in Lhasa oder die Wunschbüsche, die an den Schlachtopferplätzen nahe der altchristlichen Klöster Armeniens stehen und dort rituell mit bunten Bändern oder Gebetsfahnen dekoriert werden, wirkt der Baum im Land. Fremd wie ein Paria oder Bastard, der sich unter die Prozessionszweige der Palmenweihe gemischt hat. Der Wind beult die Folien festlich: Zivilisationstreibgut, Müll.
Es ist ein beachtliches und in seiner Konsequenz und Beharrlichkeit irritierendes Werk, in dem sich Lois Weinberger in Gesellschaft mit den aus den kleinen Gartenparadiesen der Einfamilienhaussiedlungen ausgewiesenen Unkräutern, mit Outlaws und Kosmopoliten der Fauna begeben hat, welches die Schau im Überblick erschließt: Wurzelstockfiguren und von Vegetationsnamen überzogene Mappings bilden da Wegweisungen zu den Brachen und ungenutzten Flächen, den Brüchen im Stadtraum. Lakonisch-poetische Kommentare auf mäandernden Wandbildern fassen die Widersprüche zwischen den geordneten, kultivierten, agrarökonomisierten oder touristisch gesäuberten bzw. bewachten Landschaften und dem, was unbeobachtet, subversiv oder endemisch an ihren Rändern, in ihren Fugen oder Resträumen wuchert.
Neben Installationen, Materialcollagen, Textbildern und Zeichnungen, Aktionsdokumentationen, die den formalen Reichtum der Arbeit ausbreiten, den gleichsam lebendigen Objekten, aus denen sich Weinbergers Verortungsszenarien aufbauen, ist in der Schau auch eine Reihe der Gärten oder eigentlich Gegengärten zu sehen, die über die Jahre projektiert und realisiert wurden und dem Smithson’schen Konzept des Restraums ebenso geistesverwandt sind wie dem rhizomatischen Denken in sporadischen Fugen und die mit Beuys’schen Rhetoriken vergleichbar einen ökologisch erweiterten Begriff von Gesellschaft adressieren, wie sie auf die Befreiungsgesten der Beatniks und Rockmusiker referieren: Born to be Wild, Voodoo-Childs.
Am Eingang der Retrospektive findet sich eine Gesellschaft von Baumschwämmen am Boden liegend, die Wände hinaufwachsend: „Das Erscheinen der Pilze ist unberechenbar / Besiedeln und Abbauen / Da und dort / Wanderungen / Ein Hypernetzwerk / Dem Reiz des Resultats zugrunde liegend / Abhängig von anderen Lebewesen / An deren Ende sie beginnen und leuchten“, schreibt er dazu.
Als solches Hypernetzwerk stellt sich auch die Ausstellung dar. Zwischen dem stillen Baumfest und dieser Arbeit breitet sich sein Werk aus, lange vor den ökologischen und angewandten Fantasien des „Urban Gardening“ – und immer auch mit einem Hinweis auf die andere Seite des Vegetativen, dessen Geister sich aus psychogenen Stoffen und alraunischen Mythen entwickeln und das Weinberger in alle wichtigen Ausstellungen des Kunstbetriebs geführt hat. Als wollten sie dessen modischen Anmaßungen widersprechen, stehen zwischen den konzeptuellen Verortungen von Weinbergers Pflanzenatlanten in Innsbruck immer wieder anthropomorphe Figuren aus Moos, Kletten oder Wurzeln, greifen gipserne Hände und Füße durch Barrieren und grinsen Fratzen wie lebendig, sprechen symbolhaft reduzierte Bilder. Oder es steht auf einem Brett in altdeutscher Fraktur „Kein Unkraut mehr“. Doch Weinbergers Gärten zum Beispiel der, den er im niederösterreichischen Gars am Kamp pflegt, sind voll von ihm. Und von Tieren wie Mardern, Fischottern, Amseln und Bisamratten. Als Gegenbild zu den Materialcollagen der Neoavantgarde hat er ihre Exkremente gesammelt und säuberlich auf kleinen Blättern zu Bildern angeordnet. Sie leben in „Gärten der Vielfalt, links, wie sie sind, sich mit unseren Erfordernissen / die Wahrnehmung von Zäsuren / Verbindungen und ihre Schwingungen / sehen den Garten als Zeichen des freiwilligen Verzichts / Ruhe / der Nicht-Einmischung“. Wie der Container im Hofgarten ist diese Schau ein Triumph des Realen.