Heft 2/2018 - Netzteil


Bitcoins für ein besseres Leben

Eine Kryptowährung als ultimativer „Life-Hack“

Noam Cohen


Ein befreundeter Akademiker zeigte mir neulich das Manuskript eines Buchs, das er über die Geschichte des „Life-Hacking“ schreibt – jener speziell amerikanische Ansatz zur Bewältigung der Unordnung des Daseins. Einige der Methoden dürften vertraut sein: Sensoren messen, wie viele Schritte wir gehen oder wie tief und lang wir geschlafen haben; Systeme organisieren uns den Tag, den E-Mail-Posteingang oder den Kleiderschrank; wir erklären uns bereit, mit bestimmten Nahrungsmitteln, Nahrungsmittelergänzungen oder gar Körperflüssigkeiten zu experimentieren, um jugendlicher, klarer, produktiver zu werden, was dann ebenfalls wieder mit diesen persönlichen Sensoren gemessen wird.
Life-Hacking im weitesten Sinne ist nichts Neues. Im Westen reichen Ideen wie diese mindestens bis zur Philosophie des Stoizismus im frühen Rom zurück, der eine Strategie der Loslösung propagierte, um mit den Höhen und Tiefen des Lebens fertigzuwerden. Die moderne amerikanische Version des Life-Hacking kam jedoch erst Anfang der 2000er-Jahre auf und hat ihre Wurzeln nicht in der Philosophie, sondern in der Informatik. Das Wort „Hacking“ ist vielsagend, ebenso wie die Abhängigkeit von großen Mengen persönlicher Daten, die nur von Computern verstanden werden können: Statt des Leitspruchs der Philosophie, „Das ungeprüfte Leben ist nicht lebenswert“, haben wir nun den der Informatik: „Was du nicht messen kannst, kannst du nicht lenken.“
Die Life-HackerInnen haben eine Reihe von Ratgeberbestsellern herausgebracht, die praktische Ergebnisse versprechen, was sich in Titeln wie Die 4-Stunden-Woche, Better Than Well (Besser als gut) und Wie ich die Dinge geregelt kriege niederschlägt. Es geht darum, die Lehren aus der Computerprogrammierung auf das Leben jenseits des Bildschirms anzuwenden, indem man das, was mein Freund „einen individualistischen und rationalen Ansatz der Systematisierung und des Experimentierens“ nennt, dazu benutzt, tägliche Herausforderungen zu bewältigen. Life-Hacking hat zwei wesentliche Merkmale. Eines besteht darin, bei dem, was man tut, äußerst rational vorzugehen – also wissenschaftliche Methoden zu benutzen, um eine Hypothese zu testen, sogar eine, die so seltsam ist, wie sein Denken durch das Essen von Butter zu schärfen. Das andere ist, außerordentlich individualistisch zu sein und sich keine Gedanken darüber zu machen, welche Folgen deine „Hacks“ für andere Menschen haben. Dein Körper und dein Geist sind Maschinen, die darauf warten, optimiert zu werden, wenn du nur bereit bist, dein Schicksal und nur dein Schicksal selbst zu programmieren.
Beim Lesen des Manuskripts wurde mir klar, dass einige der prominentesten BefürworterInnen von Life Hacking in letzter Zeit dazu übergegangen waren, sich für Bitcoins einzusetzen, die digitale Währung, die von einem Kryptografen mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto erfunden wurde. Dazu gehört beispielsweise Tim Ferriss, berühmt und aufgrund seiner „4-Stunden“-Bücher sagenhaft wohlhabend. Darin stellt er einfache Methoden vor, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sich in Form zu bringen oder eine Mahlzeit zuzubereiten. In seinem beliebten Podcast interviewt er Bitcoin-InvestorInnen,1 ist währenddessen aber sichtlich bemüht zu erklären, dass er seine Millionen von AbonnentInnen nicht dazu ermutigen will, in Bitcoins zu investieren. (Wer’s glaubt ...) „Dies ist keine Anlageberatung, sondern allein zu Informationszwecken gedacht“, kündigte er an, bevor er ein paar Bitcoin-SpekulantInnen interviewte. „Sprechen Sie also mit Ihrem Finanzexperten, bevor Sie Ressourcen oder Geld anlegen. Okay, damit bin ich aus dem Schneider. Gut.“
Ein weiterer Life-Hacker, der zum begeisterten Anhänger der Kryptowährung wurde, ist James Altucher. Der Silicon-Valley-Millionär aus den 1990er-Jahren machte sich 2013 einen Namen mit dem Ratgeberhit Choose Yourself, in dem vier Säulen für das Glück propagiert werden – physisch, emotional, mental, spirituell. Er macht praktische Vorschläge – „Hacks“, wenn man so will – für Diäten oder auch die Überwindung von Ängsten, die beispielsweise lauten, nach 17 Uhr nicht mehr zu essen, oder auch den „Alien-Trick“, der besagt, man solle jeden Tag so angehen, als wäre man ein frisch gelandeter Außerirdischer, der „keinen Neid, keine Sorgen kennt, sondern nur neue Dinge, die es zu erkunden gilt“. Altucher beschreibt das essenzielle Fazit seines Buchs so: „Wenn man sich nicht selbst entscheidet, wie man leben will, entscheidet das sehr wahrscheinlich jemand anderer für einen. Und was dabei herauskommt, ist vermutlich nicht so schön.“2
In letzter Zeit begegnet man Altucher in allgegenwärtigen Online-Werbungen, wo er mit geschürzten Lippen, zerzaustem Haar, verrutschter Brille und einem leichten Grinsen im Gesicht zu sehen ist. Daneben steht „Kryptogenie“ und das Versprechen, etwas über das von ihm entwickelte „nächste Bitcoin“ zu erfahren. Als sich der Bitcoin-Kurs an den Dollarmärkten Ende letzten Jahres auf einem ausgedehnten Höhenflug in Richtung 20.000 US-Dollar befand, schwärmte er: „Das ist die größte tektonische Verschiebung von Geld und Reichtum, die wir erleben werden.“ Seine Begeisterung ist noch immer groß, auch wenn der Bitcoin-Kurs gefallen ist. Sein Bild ist jedoch etwas weniger omnipräsent, da Facebook vor Kurzem beschlossen hat, Werbeanzeigen für Kryptowährungen wie die seine zu sperren.
Die berühmteste Person, die bei Life-Hacking und Bitcoin mitmischt, ist der Milliardeninvestor und Silicon-Valley-Entrepreneur Peter Thiel. Das Engagement des 50-jährigen Thiel für Life-Hacking ist mittlerweile berüchtigt, insbesondere seine Unterstützung für die Parabiose, die Menschen im mittleren und fortgeschrittenen Alter durch Infusionen mit dem Blut junger Menschen verjüngen will. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass er den Tod für einen Konstruktionsfehler hält, der sich beheben ließe, wenn wir unsere hellsten Köpfe dafür abstellen würden. Auch Thiels Einsatz für Bitcoin erfolgte im ganz großen Stil. Zu Beginn des Jahres 2018, als der Bitcoin-Kurs noch in die Höhe schoss, verkündete seine Investmentfirma Founders Fund stolz, Bitcoins im Wert von mehreren Hundert Millionen Dollar zu besitzen.
Worin genau besteht die Verbindung? Was hat eine virtuelle Währung damit zu tun, ein gutes Leben zu führen? Wenn das Streben nach Geld um des Geldes willen ein sinn- und nutzloses Unterfangen ist, dann ist das Streben nach virtuellem Geld sicherlich noch viel sinnentleerter. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten. Wenn es beim Life-Hacking darum geht, eine persönliche, technische Lösung für alltägliche Probleme des Lebens zu finden, dann sind Bitcoins der ultimative Finanzhack, eine individualistische Umgehung von Eingriffen der Regierung, die wir Regulierung und Besteuerung nennen. Angesichts der Tatsache, dass Bitcoins in weniger als zehn Jahren im Wert von einigen Pennys auf Tausende von Dollar gestiegen sind, haftet Cyberwährungen eindeutig etwas Wundersames und persönlich Befreiendes an. Im Februar gab Thiel bei einem Vortrag in Stanford eine kurze, bündige Erklärung ab. „Krypto ist dezentralisiert“, sagte er. „Oder, wenn man es ideologischer ausdrücken möchte, Krypto ist libertär.“3 Thiel liegt mit seiner Beschreibung absolut richtig, obwohl er es natürlich als Kompliment für Bitcoin meint, während ich darin eher eine Warnung sehe.
Bitcoin begann 2009 als Gedankenexperiment – als kryptografisches Experiment, um genau zu sein: Ist es möglich, eine Währung nur aus Reihen von Einsen und Nullen zu schaffen? Wie könnte man unter anderem verhindern, dass diese digitale Währung kopiert wird, wie nahezu alles andere, was online ist? Wie könnte ihr Wert für alle, die zufällig darauf stoßen, transparent sein? Für Nakamoto bestand die Lösung darin, die „Münze“ aus den Berechnungen, die den Kopierschutz sichern würden, sowie aus einer Aufzeichnung all ihrer EigentümerInnen zu entwickeln.
Es muss spannend gewesen sein, diese Idee in einem wissenschaftlichen Artikel in die Welt hinauszuschicken und zu beobachten, wie sie einschlägt. Dass daraus mehr werden sollte, hat sicherlich niemand erwartet. Ich erinnere mich, wie ich damals, im Jahr 2011, als Bitcoins 17 US-Dollar kosteten, ein Interview mit einem der ersten Entwickler führte, Gavin Andresen, der ganz offen meinte, Bitcoins würde niemals eine zuverlässige Währung werden. „Warum hat jedes Werkzeug einen Wert?“, fragte er. „Es ist wertvoll, weil es nützlich ist.“4 Das heißt, er sah in Bitcoins keinen inhärenten Wert, sondern nur einen Wert, den die Leute ihnen gaben.
In den Anfangsjahren diente die Währung vornehmlich zur Abwicklung illegaler Geschäfte – Drogen- und Waffenverkäufe, Glücksspiel. Eine legendäre kommerzielle Website im Dark Web, Silk Road, florierte einige Jahre lang als illegaler Markt mit Bitcoins als Reichswährung. Die Regierung der Vereinigten Staaten machte Silk Road Ende 2013 dicht und verhaftete ihren Gründer, Ross William Ulbricht alias Dread Pirate Roberts. Damals wurden Bitcoins für etwas weniger als 1.000 US-Dollar gehandelt. Letztendlich bestand der einzig wahre Nutzen der Bitcoins in dem, was der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz als „ihr Potenzial für Umgehung, fehlende Kontrolle“ bezeichnete.5 Angesichts dieses einzigen Zwecks der Bitcoin-Währung, fuhr er fort, „sollte sie verboten werden“, da sie „keinerlei gesellschaftlich nützliche Funktion erfüllt“.
In den nächsten zwei Jahren fiel der Bitcoin-Preis und verlor drei Viertel seines Werts, bis neues Interesse an der letzten möglichen Verwendung für die Kryptowährung entstand – als Investition. Das heißt, Bitcoins konnten sich für jene als nützlich erweisen, denen es gelang, andere davon zu überzeugen, ihnen die Bitcoins mit einem Aufschlag abzukaufen, in der Hoffnung, selbst wiederum Leute zu finden, die die Bitcoins zu einem noch höheren Preis erwerben würden. Paul Krugman, Ökonom und Kolumnist der New York Times, erläuterte diese Logik in einem kurzen Artikel über Bitcoin im Jahr 2011 wie folgt:
„Also, wie läuft’s? Der Dollarwert dieser Cyberwährung schwankte stark, schnellte aber insgesamt in die Höhe. Daher war der Kauf von Bitcoins, zumindest bisher, eine gute Investition. Aber ist das Experiment deshalb erfolgreich? Äh, nein. Was wir von einem Währungssystem wollen, ist nicht, dass Menschen, die Geld besitzen, reich werden; wir wollen, dass es Transaktionen vereinfacht und die Wirtschaft als Ganzes reich macht. Und das ist ganz und gar nicht das, was bei Bitcoin passiert.“6
Vor dem Hintergrund von Krugmans Analyse erweist sich das Bitcoin-Experiment als hilfreiche Veranschaulichung der Schwächen einer libertären politischen Ideologie. Auch der Libertarismus ist ein gescheitertes Gedankenexperiment, eine Vorstellung, die das Individuum gegenüber der Gruppe bevorzugt. So befähigt die extreme Redefreiheit derjenigen, die in der Mehrheit sind, mutig das Wort zu erheben, während sie die Schwächsten unter uns ignoriert und eingeschüchtert schweigen lässt. Ebenso sorgt ein Ende der Finanzierung von Sozialhilfeprogrammen dafür, dass diejenigen Geld bekommen, die bereits Geld haben, weil die Steuern gesenkt werden, während jene übergangen werden, die am verwundbarsten sind.
Die Wahrheit ist, dass Bitcoins und Libertarismus Systeme, Institutionen und Gemeinschaften ausnutzen, die mit der Zeit aufgebaut wurden. Man könnte sogar sagen, dass sie parabiotisch sind, indem sie ihre Vitalität aus dem gewinnen, was die Gesellschaft ohnehin schon belebt. Bitcoins verkaufen die Fantasievorstellung von einer dezentralen Wirtschaft, obwohl sie ohne funktionierende Volkswirtschaften und Märkte nicht existieren würden. Auch der Libertarismus argumentiert, dass alles, was ein Mensch verdient, ihm allein gehört, als Produkt seiner harten Arbeit, ohne dabei Eltern, die Gemeinschaft, NachbarInnen, Schulen, Regierung, Institutionen zu berücksichtigen. Er kommt auf magische Weise als voll ausgebildeter Erwachsener auf die Welt, bereit zu ernten, was ihm gebührt.
Das Gefährliche an Bitcoins und am Libertarismus ist, dass ihr Erfolg zulasten dieser grundlegend notwendigen sozialen Struktur geht. Life-Hacker können leicht umschalten, wenn sie merken, dass die Hacks nicht so gut funktioniert haben, wie sie es sich vorgestellt haben, was häufig der Fall ist. Wie ein Kritiker bemerkte, ist der beste Indikator dafür, ob jemand ein neues Life-Hacking-Buch kaufen wird, dass er vorher schon andere gekauft hat. Menschen sind in guter wie in schlechter Hinsicht sehr flexibel.
Gesellschaften könnten sich in dieser Hinsicht jedoch als vergleichsweise fragil erweisen. In den Vereinigten Staaten erleben wir bereits, was passiert, wenn libertäre Ideen unser politisches System übernehmen, wenn Anstand und „ineffiziente“ Institutionen wie Gewerkschaften, Universitäten, Nachrichtenorganisationen eingehen und disruptiven Technologieunternehmen im Silicon Valley Platz machen. Bis jetzt war das nicht besonders schön.

Noam Cohen ist der Autor von The Know-It-Alls: The Rise of Silicon Valley as a Political Powerhouse and Social Wrecking Ball (The New Press 2017).

 

Übersetzt von Anja Schulte