Heft 1/2019 - Artscribe


Iris Andraschek/Hubert Lobnig – Empfindliches Gleichgewicht

25. Oktober 2018 bis 20. Januar 2019
Museum Moderner Kunst Kärnten / Klagenfurt

Text: Nora Leitgeb


Klagenfurt. Der Tigerpark in Wien markiert örtlich wie inhaltlich das erste Gemeinschaftsprojekt von Iris Andraschek und Hubert Lobnig im und über den öffentlichen Raum mit reger Einbeziehung der AnrainerInnen und Interessierten. In den Jahren 1998, 1999 und 2000 gestalteten die beiden partizipativ angelegte Veranstaltungen, Konzerte, Ausstellungen und Interventionen im benachbarten Tigerpark, in dem von ihnen konzipierten Tigerpark Projektraum und im Schaukasten im Park. Zu den Monatsletzten gab es die Tigerparksuppen, bei denen sich große Teile der Nachbarschaft beteiligten und somit das Ansinnen auf Gedankenaustausch, Diskussion und Dialog untermauerten. Schon hier zeigt sich deutlich, in welche Richtung sich ihre zukünftigen gemeinsamen Projekte und ihr jeweils eigenständiges Werk weiterentwickeln: in die einer intensiven Vertiefung in soziokulturelle Fragestellungen, einer ernsthaften Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Gesellschafts- bzw. Randgruppen, eines reflexiven Aufarbeitens historischer und gegenwärtiger Ereignisse und Phänomene.
In der von Christine Wetzlinger-Grundnig kuratierten Ausstellung Empfindliches Gleichgewicht lässt sich diese Entwicklung und die Beziehung beider Positionen zueinander anschaulich nachvollziehen. Es werden die seit 1998 kontinuierlich weiterverfolgten Gemeinschaftsprojekte von Iris Andraschek und Hubert Lobnig ebenso vorgestellt – zumeist im öffentlichen Raum und in den Ausstellungsräumen jeweils durch Leuchtkästen angezeigt –, wie die eigenständigen Arbeitsweisen der beiden hervorgehoben und mit autonomen Projekten dargestellt. Der Titel der Schau meint aber, wie Wetzlinger-Grundnig betont, über die Kooperation und das Zusammenspiel der beiden hinausgehend auch eine besondere eigene und damit verbundene künstlerische Haltung zu Natur, Umwelt und Gesellschaft.
Die Räume selbst sind von Anfang bis zum Ende inhaltlich und formal ineinander verzahnt, begonnen wird im ersten Raum mit einer historischen Auseinandersetzung zur Geschichte der „Burg“, des Gebäudes, in welchem das Museum untergebracht ist und das seit seinem über 400-jährigem Bestehen unterschiedlich genutzt wird. In der Zeit des Nationalsozialismus diente die „Burg“ als Gestapoleitstelle für Kärnten und Oberkrain, neben den Büroräumen gab es Verhörräume und einen kleinen Zellenbereich. Hubert Lobnig nähert sich der Geschichte des Hauses über den Wandstaub, eine Sammlung von Bohrstaub aus Bohrlöchern seit 2016 in unterschiedlichen Kunstinstitutionen gesammelt, aus aktuellem Anlass auch im MMKK. Symbolisch aufgeladen steht der Staub für die Geschichte und das Bewusstwerden, wie sich die Verwendung der Räume über die Zeit verändert. Iris Andraschek bringt einen Globus aus dem Besitz der Gauleitung Kärntens, auf dem die territorialen Begehrlichkeiten der Nationalsozialisten abzulesen sind, mit einer großen ornamentalen Zeichnung des Polenteppichs in Verbindung, eines persischen Teppichs aus der Kunstsammlung Görings. Daneben aufgestellt ein museales Eisenregal mit fragmentarischen syrischen Mosaiken, stellvertretend für die geraubten und zerstörten Ausgrabungen und Kunstschätze. Malereien Hubert Lobnigs zum Bombenattentat auf das Heimatmuseum in Völkermarkt von 1979 im Zuge einer ganze Reihe von Sprengstoffanschlägen in Kärnten nach dem sogenannten Ortstafelsturm ergänzen den Raum. Darüber hinaus finden sich Zeichnungen von Iris Andraschek und Malereien Hubert Lobnigs mit Ornamentsfragmenten aus Teppichen, Fliesen oder Mosaiken. Immer wieder bedienen sich die beiden kultureller Informationsquellen, entweder in Form von Ornamenten, von Ereignissen oder als Gegenstände quer durch die Kulturgeschichte. So begegnet man im Lauf der Ausstellung auch weiteren metaphorischen Objekten wie einer Schutzmantelmadonna aus der Sammlung Joanneum in Beziehung zu Geschichten geflüchteter afghanischer Frauen, der Alepposeife in Verbindung mit der alten syrischen Tradition der Seifensiederei oder alte händisch gefertigte Bienenstöcke.
Über die inhaltliche Dimension der Arbeiten hinausgehend kommt in der Ausstellung auch sehr deutlich die mannigfaltige Umsetzung der einzelnen Projekte zum Vorschein, die sich in aufwendigen, formalästhetisch stimmigen Settings niederschlägt, so bei Iris Andrascheks Gegenüberstellung von Fragile Territorien/Chongqing von 2017/18, einer fotografischen Bestandsaufnahme bäuerlicher Kleinstlandwirtschaft in der chinesischen Metropole Chongqing, und Sekundäre Wildnis von 2017, Fotografien und Filme zu alternativer europäischer Landwirtschaft. Beide Serien fokussieren auf die Menschen und ihre selbstgewählten Lebensentwürfe, arrangiert sind die Fotografien an Bambusrohren hängend oder an gestellte Aluplatten fixiert. Dazwischen laufen die in gebrauchten Bienenkästen platzierten Videos.
Auch die Videos von Hubert Lobnig sind immer auf die dazupassenden Konstruktionen projiziert, welche die gezeigten Inhalte mittransportieren, wie die Projektion Die Baustelle auf die im Film von Bauarbeitern geschleppten und im Ausstellungsraum architektonisch arrangierten Rigipsplatten. Oder das im Rahmen des Forschungsprojekts Das ist wirklich hier passiert enstandene, sich drehende Spiegelobjekt, auf das der Film von Arnulf Ploder zur Hausbesetzung in der Reitschulgasse 4 in Klagenfurt von 1979 fällt und sinnbildlich lediglich Erinnerungsfetzten an die umliegenden Wände wirft.
Die Auseinandersetzung mit dem Museum selbst und dem musealen Sammeln im Allgemeinen findet im letzten Raum in einer gemeinsamen Arbeit ihren Abschluss. Vor einer schwarzen Wand, dem Schlussstrich der Ausstellung, ist ein Regal aufgestellt, versehen mit Köpfen mit Echthaar und Büchern aus dem MMKK zur Kunst im Nationalsozialismus, unter anderem in Anlehnung an nationalsozialistische Vermessung und Kategorisierung. An der Rückwand und im Übergang zu den Sammlungsräumen sind Bilder aus der Sammlung des Museums, zum einen Malereien eingestürzter Brücken von 1941 im Südkärntner und slowenischen Raum, zum anderen Gouachen vom Außenlager Mauthausen am Loibl, beides dokumentarische bzw. bildnerische Zeitzeugnisse, ausgestellt. Auch hier stellen Iris Andraschek und Hubert Lobnig die Frage nach wechselnder Ästhetik und Ethik quer durch die Geschichte.
Abseits von Inhalten funktionieren die Arbeiten aber auch eigenständig, so zu sehen in der Galerie 3, wo zeitgleich die Ausstellung Think about it mit Zeichnungen, Malereien und Objekten von Iris Andraschek und Hubert Lobnig läuft.