Heft 1/2019 - Artscribe


Ricarda Denzer – Erste Fassung (Interpretation) / Stefanie Seibold – Centerfolds

8. September 2018 bis 10. November 2018
Tiroler Künstlerschaft (Neue Galerie, Kunstpavillon) / Innsbruck

Text: Sabine Mostegl


Innsbruck. Ricarda Denzers Personale beginnt noch vor Betreten der Galerie mit einer kleinen Splitscreen-Projektion im Schaufenster. Die Sicht liegt auf Händen, die Metall bearbeiten. Material und Handwerk, damit ist ein Grundstein gelegt: a star is born. Der achtzackige Stern, eingepasst in ein Oval, ist ein Motiv aus der Hagia Sophia. Als die Basilika zur Moschee wurde, bedeckte man damit die Gesichter der Seraphim im Kuppelmosaik. Bei Denzer potenziert er sich zum Leitmotiv, tritt vielgestaltig und räumlich verteilt auf, als Zeichnung auf Papier, als Abguss in Gips, Silikon und Bronze, glatt, glänzend und ganz, aber auch bruchstückhaft und historisierend präpariert am Boden. Ja selbst als Reflexion im Spiegel – je nach Standpunkt der BetrachterInnen.
Diese Heterogenität wird mit weiteren Objekten zu einer Kollektion kostbar anmutender Exponate und Artefakte umgedeutet, deren Aneinanderreihung auf einem länglichen Podest ein Ausstellen in der Tradition natur- und völkerkundlicher Sammlungspräsentationen mimt. Wie schon in früheren Projekten Denzers spricht aus der Vielfalt Transmedialität und das ist der springende Punkt: Zwischen Glasplatten, Blaupausen und bedruckten Papierbahnen, Ocker und Eisenerz wird via Flipdot-Panel ein Dialog von Susan Sontag und John Berger zum Thema „Voices“ visualisiert, bewegungsreich und weiß auf schwarz.
Das wohl sperrigste Objekt der Ausstellung ist eine Bühnenkonstruktion aus Verschalungsplatten (zum Schutz freigelegter Fresken in der Galerie). Mit Blick auf die verstrebte Kehrseite ist sie zunächst kaum mehr als ein irritierender Fremdkörper und Träger für die Reprografie eines Freskendetails, die Ausstellungstitel und Einladungsmotiv liefert. Auf der anderen Seite aber, als situative Installation, die sich in den verbleibenden Raum öffnet, dockt sie an mehrere Elemente gleichzeitig an und zieht die eingangs ausgelegten Fäden der Ausstellung subtil zusammen. Angesichts des dicht gedrängten Equipments auf kleiner Fläche ist sie gar nicht bespielbar. Die Komplexität verstärkt das diffuse Gefühl einer Abwesenheit. Diesem Fehlenden Zentrum (ein wiederkehrender Werktitel) ist auch der nächste Raum gewidmet, diesmal in Form eines liegenden Spiegelobjekts. Mit irregulärem Umriss (ebenfalls eine Wiederholung) erinnert es an Wasser, der Mythos von Narziss und Echo drängt sich auf. Die Nymphe, die dem akustischen Phänomen seinen Namen gab, ist laut Denzer auch die eigentliche Quelle der Inspiration.1 Der abschließende Videoloop eines Glasorgelspiels mit in Tinte getauchten Fingerspitzen ist ein weiterer Nachhall und rekurriert auf die Bilder des Anfangs. Schall und Stimme verstanden als Material, unsichtbar, aber mächtig in der hin und her strömenden Bewegung, ein Ein- und Ausatmen von Welt.

500 Meter weiter, im Kunstpavillon bei Stefanie Seibold, stößt man fast unmittelbar nach dem Eingang auf schmale, vertikal gesetzte Stahlstangen, bald erkannt als drei separate, raumgreifende Metallobjekte, die die Eintretenden unterschiedlich hoch überragen, sie zugleich überraschen und „empfangen“. Vorbild für dieses loungeartige Raumkorsett bildete ein von der Architektin Lilly Reich in den 1920er-Jahren entworfenes Messedisplay. Die Gitterstruktur der Oberlichtdecke vor Ort passt ausgezeichnet zum Gestus der Moderne. Der Titel des Ensembles, Joy in Repetition (ein Song von Prince), ist eine Ansage, die für alle gezeigten Arbeiten gleichermaßen gilt: nicht nur der bloße Akt der Wiederholung, sondern die schiere Freude daran als ästhetische Strategie.
Es ist ein verspielt-subversiver, „de-archivierender“ Umgang mit kunsthistorischem Material im Sinne eines „retro-aktiven“ Eingriffs in den Kanon.2 In dichten, farbenfrohen Collagen zeigt sich Seibolds Fähigkeit, Schneisen für unvermutete Querverbindungen zu schlagen und damit neue Blickachsen zu öffnen, stets auch mit Verweis auf Kollaboration und FreundInnenschaft. Wie bei Denzer manifestiert sich in fortwährender Recherche und freimütigem (nie willkürlichem) Zusammenfügen von Fundstücken ein labyrinthisches Denken. Der kritischen Auseinandersetzung mit Original und Kopie im Spannungsfeld von Überlieferung, Wiederholung und Abweichung entspringen neue Erzählungen. Die von Seibold bezeichnenderweise A Reader genannten großformatigen Poster mit Text- und Bildzitaten quer durch Popkultur und Theorie geben im Doppelsinn das wieder, was schon Jorge Luis Borges (seinerseits Schopenhauer abwandelnd) bemerkte: „Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn“. (Re-)Lektüre und Aneignung führen des Öfteren zu neuen Perspektiven – auch in selbstreferenzieller Wiederaufnahme und Überprüfung eigener Verfahren. Von Seibolds vor 20 Jahren entwickelter Performance Clever Gretel, queere Interpretation einer gewitzten Märchenfigur, nunmehr re-enacted mit anderen AkteurInnen, bleiben die Requisiten und Aufzeichnungen – alt wie neu – integrativer Bestandteil der Ausstellung.
Auch vermeintlich Marginales wie die minimalistische Praxis, einem Werk mit „o. T.“ den Status des Individuellen zu nehmen, wird übernommen und gleichzeitig unterminiert, indem – vor allem bei den Collagen – quasi im gleichen Atemzug redselig und unter Berufung auf bedeutsame Vorbilder ein voll gültiger Titel in Klammer „mitgeliefert“ wird. Das reduzierte, hoch hängende o. T. (Eckobjekt VI), ein in Frontalansicht vertikal verlängertes Hexagon aus neonfarbenem Karton, wiederum, verwandelt sich im auratisch-bunten Widerschein auf den weißen Wänden in eine (leere) Mandorla, ein abstrahiertes Götzenbild im Herrgottswinkel. Solche Effekte haben – wie auch die mehrdeutigen Implikationen der Centerfolds genannten Fotoserie dieser Objekte – im Kontext der oft klischeebehafteten Körperzentriertheit queer-feministischer Kunst durchaus ironisierende Wirkung.
Seibold wie Denzer schaffen beide auf je eigene Weise einen Echoraum, „der nicht von Bipolarität geprägt ist, sondern in dem sich das permanente Oszillieren zwischen den Polen als selbstreflexive Praxis konstituiert. […Ein] solcher Raum, in dem der dauerhafte Fluss und Rückfluss zwischen Original und Kopie maßgeblich für die Einheit der beiden Elemente steht, hat das Potenzial, neue Formen des Erkenntnisgewinns und neue künstlerische Praktiken hervorzubringen“3.

 

 

1 Ricarda Denzer im Artist-Artist-Talk mit Stefanie Seibold am 10. November 2018; vgl. dies.: Echo, oder die Abweichung vom Original (Text als Teil der Ausstellung).
2 Vgl. Stefanie Seibold, De-Archivierung!; www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2011/anarchivieren/seibold.htm (Stand 30.11.2018).
3 Franz Thalmair, Kopieren als performative Recherche, in: springerin 2/2018.