Heft 4/2019 - Netzteil


Feminist Server – Sichtbarkeit und Funktionalität

Digitale Infrastruktur als gemeinschaftliches Projekt

Shusha Niederberger


Infrastrukturen sind Dinge, die andere Dinge zirkulieren lassen (Larkin 2013). Das gilt für die Wasserversorgung genauso wie für einen Webserver. In vielen der vom Forschungsprojekt Creating Commons untersuchten Projekten ist diese Schichtung von Infrastruktur und Zirkulation sichtbar: Schattenbibliotheken zum Beispiel ermöglichen die Zirkulation von Texten. Auf die Ebene der zirkulierenden Ressourcen und die sich darum bildenden Gemeinschaften konzentriert sich auch der Diskurs um die digitalen Commons. Unsichtbar hingegen bleiben die Praktiken, die mit der Erhaltung der Infrastruktur verbunden sind. Was als künstlerisches Projekt begonnen hat, wird bisweilen zur Infrastruktur, und damit einher gehen neue Rollen, Abhängigkeiten, Verpflichtungen und viel Servicearbeit.

Unsichtbarkeit von Infrastruktur
Warum ist die Ebene der Infrastruktur so unsichtbar? Die Pionierin der Infrastructure Research, Susan Leigh Star, hat argumentiert, dass eine Eigenschaft von Infrastruktur das Verschwinden hinter ihrer Funktionalität ist (Star 1999). Niemand muss verstehen, wie die Wasserversorgung funktioniert, um ein Glas Wasser zu füllen. Erst bei ihrem Zusammenbruch wird sichtbar, was Infrastruktur ist: nämlich ein ganzes Netz von Dingen, Praktiken ihrer Erhaltung, Verhältnisse, die ihr Entstehen und den Zugang zu ihr regulieren, und auch Verhältnisse unter den mit all diesen Ebenen verbundenen Menschen.
Diese meist verborgene Ebene der Infrastruktur wird von Projekten mit einem feministischen Hintergrund adressiert, vor allem in der Arbeit des Brüsseler Künstlerkollektivs Constant.1 2013 veranstaltete das Kollektiv einen Workshop unter dem Titel Are you being served?, zu dem KünstlerInnen und AktivistInnen eingeladen wurden, um über Server und das in ihnen realisierte Verhältnis zu Technologie nachzudenken.2 Daraus entstanden ist das Feminist Server Manifesto, in dem ein anderes Verhältnis zu Servern und Services formuliert wurde. Es deklariert unter anderem: Ein Feminist Server ist „eine situierte Technologie. Sie hat ein Gespür für den Kontext und versteht sich als Teil einer Ökologie von Praktiken“3.
Feminist Server – und das kann man gut auf digitale Infrastruktur im Allgemeinen ausweiten – werden hier als grundlegend relational bestimmt, eingebettet in soziale Strukturen, Praktiken und Verhältnisse.
Infrastruktur ist aber nicht nur eingebettet in soziale Strukturen, sondern dient auch als Strukturierungsmechanismus. Diese normative Funktion von Infrastruktur wird durch die Unsichtbarkeit der relationalen Natur von Infrastruktur gestützt (Wilson 2016). Auch die feministische Epistemologie betont, dass Unsichtbarkeiten konstituierend sind für Machtverhältnisse (Harding 1987). Wenn man diese verändern will, müssen die Unsichtbarkeiten benannt werden, und in diesem Benennen wird auch das System als solches sichtbar. Star hat dies als methodischen Zugang in der anthropologischen Infrastrukturforschung benannt: die Master Voice identifizieren (Star 1999). Die Master Voice von digitaler Infrastruktur ist die Erzählung (und Erwartung) von selbstverständlicher Funktionalität. Sich auf eine Infrastruktur verlassen zu können, bedeutet also ihr Verschwinden hinter den von ihr ermöglichten Funktionen. Die Unsichtbarkeit von Infrastruktur bezieht sich dabei nicht primär auf ihre materielle Dimension, sondern schließt auch die Praktiken ein, die mit ihrem Betrieb und Unterhalt verbunden sind, ebenso die damit etablierten Beziehungen.

Feminist Server
Feminist Server sind im Manifest ein „Thinking Tool“4, das es erlaubt, über ein Verhältnis zu Infrastruktur nachzudenken. An die feministische Technologiekritik des Feminist Server Manifesto schließt auch eine aktivistische Bewegung an, welche Feminist Server als konkrete Implementation umsetzen.5 Entstanden sind die Feminist Server aus dem konkreten Bedürfnis von Frauen, nicht-binären Personen und LGBTI-Menschen, welche die Erfahrung gemacht haben, dass das Internet für sie kein sicherer Raum ist und dass die großen Plattformen, die das Internet seit Anfang der 2000er-Jahren zunehmend dominieren, ihre Inhalte, Anliegen und Bedürfnisse nicht schützen – weder vor Angriffen anderer InternetnutzerInnen noch vor dem Zugriff repressiver Staaten.
Feminist Server gehen in ihrer Implementierung von Servern als „safer spaces“ weiter als andere aktivistische Initiativen für alternative digitale Infrastrukturen, die vor allem Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen zum Ziel haben: Sie berücksichtigen die ideologische Dimension von Infrastruktur. Inzwischen gibt es eine Vielzahl feministischer Server, vor allem in Europa und in Lateinamerika.6 Sie werden von den Benutzerinnen selbst betrieben und gewartet, wobei nahtlose Funktionalität nicht ihr erklärtes Ziel ist. Wie ein weiterer Punkt im Manifest deklariert: „vermeidet Effizienz, Benutzerfreundlichkeit, Skalierbarkeit und Unmittelbarkeit, da dies Fallen sein können.“ Statt durch die Tür der nahtlosen Funktionalität in die Falle der normativen Unsichtbarkeit von Infrastruktur zu tappen, wollen die AktivistInnen den Feminist Server zu einem Ort machen, der bewohnt werden kann und der ein Ort geteilter Praxis ist.
Feministische Server sind deshalb brüchig, transparent in Hinblick auf die Produktionsbedingungen von laufenden Services. „Ein Server ist ein Dienst. Das impliziert Arbeit und Care, und es ist illusorisch zu denken, dass das immer gratis sein kann, oder dass sie [bewusste feminine Bezeichnung für Server durch die Aktivistinnen, Anm. d. A.] immer für dich da sein kann, wenn man die Bedingungen kennt, die notwendig sind, damit ein Dienst funktioniert“ sagt Spideralex im Interview mit Claire Richard (Richard 2019). Dass die Weigerung, die Unsichtbarkeit von Infrastruktur zu reproduzieren, oft auf Kosten der Funktionalität geht, ist aus feministischer Perspektive kein Zufall, sondern Absicht. Sie ermöglicht den Feminist Servern, nicht wieder als Infrastruktur unsichtbar zu werden, sondern ein dezidiert gemeinschaftliches Projekt zu bleiben.
Dieses Spannungsverhältnis ist den Aktivistinnen bewusst. Der letzte Punkt im Manifest heißt denn auch: „[Sie] versucht sehr, sich nicht zu entschuldigen, wenn sie manchmal nicht verfügbar ist.“ Spideralex spricht von einem Tausch: „Du verlierst und du gewinnst andere Dimensionen. Und alles hängt [...] von den Bedürfnissen der Menschen ab, die den jeweiligen Server bewohnen.“7 Verloren gehen in diesem Tausch die selbstverständliche Funktionalität und Effizienz, gewonnen wird ein selbstbestimmtes Verhältnis zu Technologie.

Commoning
Das Zirkulieren von digitalen Gemeingütern baut auf digitale Infrastruktur auf, die sich nicht selber erhält und auch nicht selbstreproduzierend ist. Der feministische Technologieansatz macht diese unsichtbare und vom Commons-Diskurs bis anhin vernachlässigte Ebene zugänglich.8 Indem die von Funktionalität überdeckten Verbindungen, Praktiken und Verhältnisse benannt werden, können sie als Teil des „Commoning“ (Schaffung, Unterhalt und Reproduktion von Gemeingütern) erkannt und behandelt werden. Und durch die Infragestellung des Primats von Funktionalität und Effizienz wird eine andere Vorstellung vom Verhältnis von Gemeinschaften zu Technologien möglich. „Feministische Technologie ist unvollständig, wenn man nicht durch alle Ebenen geht.“9 Anders gesagt erlaubt sie es, den Commons-Diskurs auszuweiten, die unterschiedlichen durch Technologie verbundenen Praktiken in ein Verhältnis zu setzen und diese Verhältnisse auch zu verändern.

Literatur:
Federici, Silvia, Feminism and the Politics of the Commons, in: Hughes/Peace/Van Meter (Hg.), Uses of a Whirlwind: Movement, Movements, and Contemporary Radical Currents in the United States. Oakland, California: AK Press 2010.
Harding, Sandra, Introduction. Is There a Feminist Methodology?, in: dies. (Hg.), Feminism & Methodology. Bloomington: Indiana University Press 1987.
Larkin, Brian, Politics and Poetics of Infrastructure, in: Annual Review of Anthropology, 42, 2013, S. 327–43.
Richard, Claire, Pas d’internet féministe sans serveurs féministes. Entretien avec Spideralex, in: Panthère Premiere, 4/2019.
Star, Susan Leigh, The Ethnography of Infrastructure, in: The American Behavioral Scientist, 1999, Vol. 43 (3), S. 377–391.
Wilson, Ara, The Infrastructure of Intimacy, in: Signs, 2016, Vol. 41 (2), S. 247–280.

 

 

[1] http://constantvzw.org/site/
[2] https://areyoubeingserved.constantvzw.org/
[3] https://transhackfeminist.noblogs.org/post/2014/06/03/version-0-1-a-feminist-server-constantvzw/
[4] Vgl. Forms of Ongoingness, Cornelia Sollfrank in conversation with Femke Snelting and Spideralex, 2018; http://creatingcommons.zhdk.ch/forms-of-ongoingness/.
[5] Unterschiedliche Perspektiven auf die Geschichte der feministischen Server eröffnen https://alexandria.anarchaserver.org/index.php/History_of_Anarchaserver_and_Feminists_Servers_visit_this_section sowie Femke Snelting; http://www.newcriticals.com/exquisite-corpse/page-8.
[6] Eine Auflistung findet sich bei Spideralex, Neue Welten erfinden – mit cyberfeministischen Praxen und Ideen, in: Cornelia Sollfrank (Hg.), Die schönen Kriegerinnen. Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert. Wien 2018, S. 84.
[7] Forms of Ongoingness.
[8] Was auch die Kritik von Federici war (Federici 2010), mit der sie die Möglichkeiten von digitaler Technologie für die Commons allerdings grundsätzlich verwarf.
[9] Spideralex in: Forms of Ongoingness.