Heft 4/2019 - Artscribe


Anna Daucíková

7. Juni 2019 bis 18. August 2019
KW Institute for Contemporary Art / Berlin

Text: Michael Hauffen


Berlin. So sehr wir uns auch bemühen: Wir können die Begehrensstrukturen, die unseren individuellen Gefühlen und Sichtweisen vorausgehen – und vor allem auch unserer geschlechtlichen Identität – rational nicht einholen. Ein Problem ist das spätestens dann, wenn Gefühle in Hass und Gewalt umschlagen oder wenn eine Person wegen ihrer von der Norm abweichenden Selbsterfahrung auf der Basis abstrusester „wissenschaftlicher“ Konstrukte zum Objekt martialischer Zurichtungen wird. Das ist der düstere Hintergrund, vor dem sich Anna Daučíková seit Langem dem Projekt widmet, ihren Körper als mediales Objekt ästhetischer Reflexion einzusetzen, um dadurch nicht so sehr die eigene Situation, ihre Zerrissenheit als Transsexuelle, zu manifestieren, als vielmehr einen kommunikativen Raum zu eröffnen, in dem die gesellschaftlich produzierte Subjektivität mit ihren Mängeln und Tücken als Austragungsort politischer Widersprüche wahrgenommen werden kann.
Dass Sex als ein reflexiv konstituierter Trieb zu verstehen wäre, fordert gleich das erste Video ein, in dem die Kamera auf das Geschlecht einer AkteurIn gerichtet ist bzw. auf deren Hosenschlitz: Dieser ist geöffnet und gibt den Blick auf einen Spiegel frei, der die Umgebung verwackelt ins Bild bringt, in der sich unter anderem auch eine aufblasbare Sexpuppe befindet. Die Neugier wird auf sich zurückverwiesen, der Trieb nicht künstlerisch sublimiert, sondern hinterfragt. In einer Reihe von Schwarz-Weiß-Fotografien inszeniert Daučíková ihren Körper, indem sie mit Glasflächen arbeitet, die einerseits die Plastizität der körperlichen Formen registrieren, andererseits wieder das optische Medium, also den Schein selbstverständlicher Transparenz und visueller Objektivität ins Bild einführen. Eine spätere Videoarbeit widmet sich in liebevoller Beobachtung der Situation von KünstlerInnen, die im Ostblock lebten und arbeiteten. Auch sie selbst hatte sich trotz ihres starken Wunschs nach einer Geschlechtsumwandlung gegen die Auswanderung in den Westen und für eine Liebesbeziehung in Moskau entschieden. Nach dem Fall der Mauer nahm sie auch im Westen an größeren Ausstellungen teil und konnte sich im zeitgenössischen Kunstdiskurs als engagierte Transgender-Aktivistin Geltung verschaffen. Da die Ausstellung in den KW mit einem Preis verbunden war, konnte sie zudem eine neue Arbeit realisieren, die hier als raumgreifende Videoinstallation die Hauptattraktion ist.
Man kann es auch so verstehen, dass der historisch-retrospektive Teil der Ausstellung nur den einen Teil einer Gesamtinstallation bildet. Alle Räume sind nämlich in einem höhlenartigen Halbdunkel gehalten, während die zentrale Arbeit eine Performance in einer realen Höhle inszeniert, womit sich eine Art Kreis schließt. In dieser Höhle (der Domicahöhle im slowakischen Karst) gräbt sich die Künstlerin durch verschiedene geologische Schichten, die sie wieder unter Verwendung von Glasscheiben und mit hohem körperlichen Einsatz als stumme, aber dynamische Materialität präsentiert. Auf parallel abgespielten Sequenzen werden dieser eher männlich konnotierten Geste weiblichere beigesellt – etwa das Falten und Glattstreichen von wertvollen Kleidungsstücken, wobei hier wiederum weibliche und männliche Konnotate in subtiler Differenz ins Spiel kommen, insofern die Kamera den Bewegungen von Händen folgt, die durch aufgetragenen Nagellack oder eine bestimmte Art von Manschetten den geschlechtlichen Binarismus aufrufen. Weitere große Glasscheiben mit eingeritzten Texten, die im Ausstellungsraum am Boden liegen, stellen noch mehr Bezüge her. Dazu kommen quer zu den Blickachsen in den dunklen Raum fallende Lichtschneisen, die sich im Glas brechen. Diesem in seiner Gesamtheit vielschichtigen und ästhetisch überbordenden Zusammenspiel stehen die anderen Exponate der Ausstellung als konzentrierte Proben konzeptueller Strategien gegenüber. Die neue Arbeit ist der bekannten Dragqueen Zak Kostopoulos gewidmet, die 2018 in Athen bei einem nächtlichen Überfall vor den Augen von PassantInnen zu Tode kam. Ein illustriertes Heft, für das Daučíková einen kritisch-poetischen Text verfasste, liegt in der Ausstellung auf – ein Manifest gegen die Brutalisierung der Gesellschaft und für die Stärkung des Selbstbewusstseins derjenigen, die als abnorm eingestuft werden, weil in ihnen die Ungereimtheiten sexueller Normen den lustvollen Ausbruch wagen. Falls mit dem Fokus auf dieses Ereignis die Ausstellung zu sehr in den diskursiven Mainstream driften sollte, wirken dem auf jeden Fall die Arbeiten aus dem Archiv der Künstlerin entgegen. Auf dem Rückweg passiert man/frau sie nochmals, und ihre Konzentration auf das Uneinholbare schärft das Bewusstsein für die individuelle Vereinzelung, der wir trotz allpräsenter medialer Oberflächen unterworfen sind.