Heft 4/2021 - Zeuge/Zeugin sein


Lawrence Weiner 1942–2021

Stille versus Frieden

Silvia Eiblmayr, Susanne Neuburger


Als 1979 die Kölner Sammlung Hahn ins Wiener Museum moderner Kunst (später mumok) kam, befand sich unter den Objekten, gemeinsam mit einem handschriftlichen Zettel mit dem Wortlaut A SQUARE REMOVAL FROM A RUG IN USE, ein Teppich aus dem Wohnzimmer von Wolfgang und Helga Hahn, aus dem ein Quadrat ausgeschnitten war. Es handelte sich dabei um eines von Lawrence Weiner bei Konrad Fischer gezeigten „Statements“, das Hahn erworben und das Weiner im April 1969 in Anwesenheit der Hahns, von Konrad Fischer, Sol Le Witt und Christine Kozlov ausgeführt hatte. Hahn hat den Vorgang, inklusive aller Rechten und Pflichten gegenüber Werk und Künstler detailliert notiert, wie es auch Weiners drei programmatischen Grundsätzen entspricht:

DER KÜNSTLER KANN DAS WERK SELBER AUSFÜHREN
DAS WERK KANN VON EINER ANDEREN PERSON HERGESTELLT WERDEN
DAS WERK MUSS NICHT AUSGEFÜHRT WERDEN
JEDE MÖGLICHKEIT IST GLEICHWERTIG UND ENTSPRICHT DER ABSICHT DES KÜNSTLERS DIE ENTSCHEIDUNG ÜBER DIE ART DER AUSFÜHRUNG LIEGT BEIM EMPFÄNGER IM MOMENT DER ÜBERNAHME

Es war dies vermutlich das erste Werk, das von Weiner nach Wien bzw. in eine Wiener Sammlung kam. Das Mitschicken des Teppichs wäre vermutlich nicht wichtig gewesen, da ja das Werk jederzeit wiederholbar ist und allenfalls als Dokument bestehen bleibt, wie auch Weiner strikt untersagte, den Teppich auszustellen.
Die ersten Werke, die Weiner gelten ließ, schuf er mit 19 Jahren als Malereistudent in einem Park in Kalifornien, in den er unerlaubterweise Krater sprengte, die er als Skulpturen bezeichnete. An der Malerei begann er seine radikale Neudefinition von Kunst zu erproben, seinen „kompromisslosen Angriff auf die tröstlichen Konventionen der Malerei und Skulptur, die damals immer noch die Arbeit der Minimalisten und Post-Minimalisten bestimmten“, schreibt Benjamin H.D. Buchloh.1 Waren die „Statements“ noch Handlungen, die sich teilweise auch auf seine frühere Malerei bezogen, waren es später reine Spracharbeiten, „Sprachskulpturen“. Die Sprache ist für Weiner das Material der Kunst, jedoch nicht als Poesie oder als Formalismus, sondern, in seinen Worten, „etwas vollkommen Unbegrenztes. Sprache, weil sie das ungegenständlichste Ding ist, das wir jemals in dieser Welt entwickelt haben, hört nie auf“.2 Im Frühjahr 1968 hatte Weiner die „folgenreiche Wendung“ vollzogen, „indem er die sprachliche Formulierung einer Skulptur als ihrer physischen Ausführung gleichwertig erklärte“, so Dieter Schwarz im Katalog zu Weiners bekanntestem Werk in Wien, SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT).3
Das Werk als (fragmentarische) Sprache lässt das Feld der Repräsentationen offen, es kann die unterschiedlichsten Realisierungen und somit in den jeweiligen Kontexten, auch sprachlichen Übersetzungen, ihre jeweiligen Formen der Wahrnehmung und Bedeutungen erhalten. Das Museum oder die Privatsammlung werden bewusst nicht programmatisch eliminiert, was eine rhetorische Pose wäre, sondern genauso miteinbezogen wie jeder andere Ort, wie der „Polarkreis“ oder die „Grenze zwischen zwei Ländern“. Ursprünglich auf Papier, waren Weiners Arbeiten, seiner Logik folgend, dann im Außenraum, im Kontext von Architektur installiert, um dort, wie er in einem in Wien gegebenen Interview 1989 konstatiert, „ein Knoten in Beziehungen zu sein“. Er als Künstler sei „natürlich kein Romantiker“, vielmehr „Materialist“: „Meine Arbeit ist Skulptur. Sie ist das, was Skulptur ist: Nämlich die Idee davon, was du siehst.“ Im Raum Sätze zu installieren, bedeute die Repräsentation des Werkes: „Das ist der professionelle Aspekt davon, ein Künstler zu sein. Das ist das Design-Konzept.“4
Seit der Zusammenarbeit mit der Galerie Hubert Winter (und später auch als humorvolles, gender-überschreitendes viertes Mitglied der DAMEN) war Wien ein Ort geworden, wo Wiener präsent war. 1991 realisierte er am Flakturm Esterhazy-Park die Arbeit SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT) innerhalb der Projektreihe „Topographie. Sachdienliche Hinweise“, die die Stadt Wien initiiert und die ein Beirat5 ausgearbeitet hatte. Der Beirat wählte den Ort, das Werk stellte Winter zur Verfügung. Es war eine Arbeit, die schon bestanden hatte und deren gestalterische Umsetzung am Flakturm vom Künstler festgelegt wurde. In diesen Jahren war viel von der (unmöglichen) Sprengung der Flaktürme die Rede, die mit einer Zeit der Aufarbeitung von Geschichte und NS-Zeit zusammenfielen. Weiner sah die Türme nicht als Monumente und schon gar nicht als „Sockel“ für sein Werk. Der Sockel war für ihn ein Scheinproblem, da er das Kunstwerk auf eine neue Basis gestellt hat: „Es ist der virtuelle Raum, es ist die spezifische Gebrauchssituation des Kunstwerks, die immer anders sein kann, der Ozean, ein Buch, der Innenraum usw. Die Bedeutung verbleibt innerhalb der Beziehungen von Menschen zu Objekten“ (Lawrence Weiner). Der Ort und die Übersetzung des Dichters Ferdinand Schmatz ZERSCHMETTERT IN STÜCKE (IM FRIEDEN DER NACHT) gaben dieser Arbeit eine Bedeutung, die etwas auslöste, was nur hier und nicht anderswo möglich gewesen wäre.

 

 

[1] Benjamin H.D. Buchloh, „The Posters of Lawrence Weiner“; in: B. Buchloh (ed,.)Lawrence Weiner, Posters. November 1965 – April 1986, The Press of the Nova Scotia College of Art & Design and Art Metropole, Toronto, Canada, 1986, S. 171.
[2] Lucy Lippard, Hg., Six Years. The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972, Praeger Publishers, New York, 1973, S. 132.
[3] Dieter Schwarz, In Stücke zerschmetterte Schrift; in: Lawrence Weiner, In the Still of the Night. Im Frieden der Nacht, Wien 1991, S. 47.
[4] „Jedes Wort hat ein eingepflanztes Geschlecht. Die Sätze des Bildhauers Lawrence Weiner“; Gespräch mit dem Künstler von Ulli Lindmayr; in: Der Standard, 6. Juni, 1989, S. 10.
[5] Beirat: Helmut Draxler, Silvia Eiblmayr, Eichinger oder Knechtl, Susanne Neuburger, Georg Schöllhammer. Organisation: Büro der Wiener Festwochen.