Heft 4/2021 - Artscribe


David Tudor – Teasing Chaos

3. Juli 2021 bis 13. Februar 2022
Museum der Moderne Salzburg / Salzburg

Text: Susanne Neuburger


Salzburg. Die Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit dem von David Tudor gegründeten Kollektiv Composers Inside Electronics (CIE) unter der kuratorischen Leitung von Christina Penetsdorfer entstanden ist, sieht sich als „erste Darstellung von David Tudors bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet der Live-Elektronik und seiner interdisziplinären Projekte“ (Pressetext). Sie setzt also nicht bei Tudor als ausführenden Musiker an, sondern will anhand von Tudors Werken, von Archivmaterial, von Video- und Audioaufnahmen das komplexe und vielfältige Schaffen Tudors als „Composer-Performer“ zeigen und „das Narrativ von Tudor als Interpret und Pianist“ erweitern, um so „rezeptionsgeschichtlich eine Lücke in der Wahrnehmung dieses bemerkenswerten Künstlers“ (Pressetext) zu schließen.
David Tudor (1926 Philadelphia, PA, US–1996 Tomkins Cove, NY, US), der einem europäischen Publikum vermutlich mehr als einer der wichtigsten Interpreten zeitgenössischer Musik denn als Live-Elektroniker bekannt ist – beginnend mit seiner legendären Aufführung von Pierre Boulez 2. Klaviersonate –, war in den 1950er- und 1960er-Jahren vor allem durch seine Zusammenarbeit mit John Cage, aber auch mit Earle Brown, Christian Wolff, Morton Feldmann oder anderen Komponisten der neuen Musik hervorgetreten. Es ist ein Anliegen der Ausstellung, Tudor aus dem Schatten von Cage zu holen, ihn als Composer mit einem quasi „zweiten“ künstlerischen Leben auszustatten, in dessen „erstem“ er „nur“ Interpret war. Die Ausstellung ist eine detailliert vorbereitete und reichlich bestückte Schau, die uns das Schaffen von David Tudor in allen Einzelheiten mit vielen Beispielen und Rekonstruktionen nahebringt und trotz ihrer großen Vielfalt klar strukturiert bleibt. Ein Schwerpunkt etwa ist die Komposition Rainforest V, die CIE nach der vierten Fassung Tudors nach seinem Tod ediert hatte. Heute befindet sich diese Version in verschiedenen Sammlungen wie auch im Salzburger Museum der Moderne. Ursprünglich 1968 für Merce Cunninghams RainForest komponiert und mit Kostümen von Jasper Johns und Andy Warhols legendären Silver Clouds aufgeführt, begann das Werk als experimentelle Musik und wurde schließlich zu einer begehbaren Rauminstallation, zu einem „Klanguniversum“ (Katalog), in das sich – wie auch in Salzburg – die Besucher*innen partizipativ einbringen können. Im Katalog gibt uns Matt Rogalsky Einblick in die lange Geschichte von der Entstehung der Arbeit bis zu den späteren Entscheidungen von Rekonstruktion und Edition. Auch auf das Problem der Vergänglichkeit von Tudors live-elektronischen Kunstwerken wird mehrfach hingewiesen. Seine in der Ausstellung zu sehenden „Partituren“ sind Schaltpläne und Diagramme. Entsprechend zeigen ihn viele Fotografien inmitten eines gewaltigen technischen Apparats an Elektroniktischen. Nach Billy Klüver und Julie Martin ist das bestimmende Merkmal von Tudors Musik der Ursprung der Klänge, die „im Verhalten der elektronischen Schaltungen selbst zu suchen sind: in Oszillationen, Verstärkungen, Modulationen, Frequenzfilterung, Dämpfung, Umschaltung und Phasenverschiebung“ (Katalog).
Und dennoch bleibt das Visuelle in Kooperationen mit Künstler*innen wichtig, wie etwa in der Ausstellung Tudors Zusammenarbeit mit der Künstlerin Sophia Ogielska zeigt. Diese hatte so begonnen, dass Ogielska mit Schaltplänen Tudors experimentierte. Die in den 1990er-Jahren entstandenen „Ideogramme“ verbinden Musik und Kunst in großen Bildern. Wenn auch nicht in dieser einmaligen Form war dies dennoch kein Neuland für Tudor. Denn wer Tudor im Kontext der interdisziplinär zwischen neuer Musik und bildender bzw. darstellender Kunst orientierten Neoavantgarden in Deutschland, besonders in Köln, kennengelernt hat, wird derartige Konstellationen kaum als Neuerungen in Tudors späterem Werdegang begreifen. Damals kannte man keine „spartenfremden Künstler“ (Katalog) und um Fluxus, neue Musik und Kunst herrschte ein sehr egalitäres Treiben. Hier war auch keine Hierarchie zwischen Interpret*innen und anderen gegeben, wenn Rollen vertauscht werden konnten, wie etwa Nam June Paik La Monte Youngs Composition 1960 #10 (to Bob Morris) aufführte. Tudor kam in dieser Gruppierung eine wichtige Rolle zu, die jedoch nicht mit dem Terminus „Klangkunst“ zu beschreiben ist, wenn es sich um intermediäre Aktionen handelte, die sich kategorialen Einordnungen widersetzten. Tudor wurde dort auch bestimmt nicht als „Mitarbeiter“ von Cage gesehen, wenn er bei den Darmstädter Ferienkursen, in Düsseldorf oder Köln im Zusammenhang von WDR, Fluxus oder im Atelier von Mary Bauermeister auftrat, sondern war einer der vielen Protagonist*innen im Bündeln von divergierenden Kräften wie Joan Rothfuss dies für die Zusammenarbeit von Charlotte Moorman und Paik beschrieben hat, wo Moorman weniger als Interpretin, denn als Partnerin gesehen wird. Tudor korrespondierte in den 1950er-Jahren mit Jean-Pierre Wilhelm und wirkte bei Karlheinz Stockhausens Originalen als Performer mit. 1959 wollte Stockhausen für ihn sogar eine Dozentenstelle beim WDR schaffen.
Es war gewiss Tudors Ansinnen, sich zu verändern, eigene Projekte zu lancieren und neue Wege zu suchen. Aber es war auch seine Prägung und seine Erfahrung der 1950er- und 1960er-Jahre, die ihm den Weg wies und gerade in einer gleichberechtigten Zusammenarbeit mit anderen mehr Kontinuität denn Bruch aufzeigt. Die Verbindung zwischen Kunst und Musik war niemals so offen wie in den Neoavantgarden der 1950er- und 1960er-Jahre. Tudor hat das weitergeführt, und das macht auch die Ausstellung so spannend. Wenn im Programm der Festspiele zum Schwerpunkt Morton Feldman – eine schöne Parallele zu Tudor, zumal Feldman auch in der Ausstellung vorkommt – eine Ähnlichkeit der Partitur von Feldman mit Mondrian behauptet wird, ist man dort allerdings von Tudor weit entfernt.