Heft 4/2021 - Artscribe


Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR

25. September 2021 bis 30. Januar 2022
Museum Ludwig / Köln

Text: Tom Holert


Köln. Näherte man sich diesem Ausstellungsprojekt ausschließlich über seinen Gegenstand oder die ihm zugrunde liegende These, ginge vieles verloren. Das mag trivial klingen, weil es so ja eigentlich immer sein sollte. Aber im Fall von Der geteilte Picasso ist es wohl die eigentliche Herausforderung – sowohl für die Betrachter*innen als auch für die Produzent*innen.
Dass es bei diesem Vorhaben um Pablo Picasso geht, von dem sich knapp tausend Werke in der Sammlung des Kölner Museums Ludwig befinden, hat dabei etwas von Lockmittel, von trojanischem Pferd. So sehr Picasso der Künstler ist, zu dem auch heute noch jede*r eine Meinung hat, so sehr kann er auch als ein großer Abwesender, als ein von Merchandise und Mythenkitsch verschluckter Altstar der Moderne gelten. Richtig auf der Rechnung hat man ihn und sein Werk augenblicklich jedenfalls nicht. Gleichzeitig pilgern die Leute unverdrossen in die Picasso-Museen in Paris oder Málaga und in die zahllosen Picasso-Ausstellungen, die immer irgendwo laufen. Picassos kanonischer Status, der Ruf seiner „proteischen“ Genialität, sein Marktwert, sein Verhältnis zu Frauen – all das scheint längst an die Stelle anderer Qualitäten und Aktivitäten dieses Künstlers getreten zu sein, etwa an die seiner politischen Ansichten.
Aber selbst um die geht es in Der geteilte Picasso eher vordergründig. Die Kuratorin Julia Friedrich, die für die Ausgangsidee und eine extensive Archivrecherche verantwortlich zeichnet, und der Künstler Eran Schaerf, den Friedrich etwa auf halber Strecke der Vorbereitungen zur Mitarbeit eingeladen hat, konzentrieren sich stattdessen auf Picasso als ideologische Projektionsfläche, als Diskursfigur, als semantischer Shifter. So können sie gleich eine Vielzahl von Institutionalitäten zu den eigentlichen Gegenständen der Analyse, Kritik und Aktivierung machen: die Institution der (monografischen) Kunstausstellung, die Institution (und Funktion) der Autorschaft, die Rolle von Didaktik und Vermittlung auf dem Feld der (vermeintlich didaktophoben) modernen Kunst sowie das Museum Ludwig selbst und dessen Verortung im System der von Peter und Irene Ludwig gegründeten gleichnamigen Stiftung.
Selten ist eine Museumsausstellung derart konsequent als Metaausstellung konzipiert (und realisiert) worden, und das gelingt, weil Picasso methodisch jedem Authentizitätsbegehren entzogen und dafür als Signifikant, als Text, als Archivalie behandelt wird. Dass dies funktioniert, verdankt sich auch einem subtilen Humor im Umgang mit dieser Ausnahmegestalt und der sie umgebenden Aura. Konsequent durchkreuzen Friedrich und Schaerf die Hierarchien von Original und Reproduktion, vergilbtem Taschenbuch und Abermillionen Euro schwerem Hauptwerk, Fotografie und Malerei, Text und Bild, Produktion und Rezeption.
Dazu ermöglicht der gewählte historische Ausschnitt – die Zeit des Kalten Kriegs –, die Wege und Wandlungen der Figur „Picasso“ auf einem klar strukturierten, weil bipolaren weltanschaulich-geopolitischen Spektrum zu beobachten und ebendort zu inszenieren. Die Teilung der Welt in Kapitalismus und Kommunismus, die Teilung Deutschlands in BRD und DDR, die „Teilung“ Picassos in einen Darling des Kunstmarkts und des Boulevards auf der einen und eines kommunistischen Artiste engagé auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs sind Regieanweisung und Storyboard.
Es gibt eine Vorder- und eine Rückseite, ein Diesseits und ein Jenseits, einen Standort im Westen und einen Standort im Osten. Schaerf entschied, diese Binarität der Narrative architektonisch aufzugreifen und zu übersetzen. Er rückte die gesamte Ausstellung von den Bestandswänden des Museums ab (in wenigen Fällen musste mit dieser Regel gebrochen werden) und ordnete die Materialien auf den zwei weißen und/oder farbigen Seiten einer modularen Wandeinheit an, die gelegentlich ein Dach und zumeist auch ein Vitrinenfach erhielt, in das Textdokumente (mit Hervorhebungen der entscheidenden Stellen ) gehängt oder Bücher gestellt wurden, wobei das Plexiglas zumeist nur einen Teil des Fachs abdeckt, Zuhandenheit der Objekte suggerierend.
Für die unterschiedlichen Volumina der langen Galerienflucht im Südflügel des Museums mit ihren Riesenhallen, kleinen Seitenkabinetten, Treppen und Nischen galt es, jeweils spezifische Lösungen zu finden. Ebenso sind die Exponate von sehr unterschiedlicher Größe und Materialität. Manches kostbare, konservatorisch bedenkliche Original entgeht dem ersten Blick aufgrund der für diesen Ort ungewöhnlichen Präsentationsweise, dafür wuchsen vorderhand nebensächliche, vom „Thema“ wegführende Motive aus historischen Pressefotografien zu monumentalen Wandarbeiten heran. Solche V-Effekte (Brecht kommt auch vor) sorgen für Irritationen einer kunstliebenden Haltung bloßer Verehrung. Und immer begegnet etwas Unerwartetes in dem bald eng, bald weit gesteckten Rahmen der Displayelemente, keine Präsentationssituation gleicht der anderen, obwohl oberflächlich alles auf Uniformität und Kargheit hin gestaltet scheint.
Der Reichtum dieser Ausstellung liegt in diesen Gesten der Zurückhaltung und Entauratisierung begründet und in dem respektlosen Raffinement, mit dem sich das Grafikdesign von Plakaten, Katalogen, Broschüren, die Bildsprache der zeitgenössischen Magazin- und Ausstellungsfotografie, die Rhetorik der Kunstkritik und der politischen Inanspruchnahme, die Film- und Fernsehbeiträge über Ausstellungen seit den 1950er-Jahren begegnen.
Und so ergeben sich fortwährend zündende Konstellationen. Wie die zwischen einem Vortrag von Picassos altem Freund und Galeristen Daniel Henry Kahnweiler, gehalten auf einer DDR-Reise im Jahr 1966, in dem dieser vom „instinktiven“ Kommunismus des Meisters schwärmt, und einem unweit davon installierten Monitor, auf dem Peter Ludwig im Jahr 1977 für einen Beitrag im DDR-Fernsehen in der Nationalgalerie in Ostberlin vor Picasso-Leihgaben aus seiner Sammlung steht und im Aachener Dialekt darüber doziert, dass es bei Kunst um „Information“, nicht um „Bewunderung“ gehe. In seinem Gilbert-&-George-haften Anzug wäre der Mäzen aus dem Westen auf einem Gruppenbild mit Mitgliedern des SED-Politbüros nicht weiter aufgefallen. Doch das ist nur eine der zahllosen Pointen, die diese kluge Ausstellung bereithält.