Heft 4/2021 - Artscribe


Ines Doujak – Geistervölker

1. Oktober 2021 bis 16. Januar 2022
Kunsthalle Wien / Wien

Text: Hedwig Saxenhuber


Wien. Retrospektiv wirken die Themen der Ausstellung Geistervölker in der Kunsthalle Wien, welche Ines Doujak mit detailversessener Akribie und Leidenschaft für das Kreatürliche und Schräge konzipiert hat, geradezu hellsichtig. Da ist etwa der Vorhang Das Virus (2021), wie so viele eigenwillige Stoffe schon früher. Er dominiert den schwierig zu bespielenden Raum in grellroten, pinken, türkisen, lila und grünen Faltenwürfen und strukturiert ihn. Das Motiv ist nur peripher erkennbar, ein Gebilde, das normalerweise ein „Igitt“ erregt: ein Nacktschneckenknäuel – unähnlich und doch ähnlich? Ein Strukturmodell des Sars-CoV-2-Virus, die Fühler als Spike-Protein? Ines Doujak beschäftigt sich seit Jahren mit Wissenschaftsbildern von Krankheiten, mit medizinischen Atlanten aus dem frühen 20. Jahrhundert etwa, die Effloreszenzen (Hautblüten) darstellen. Sie montiert diese mit Elementen aus der Pflanzen- und Tierwelt. Fantastische Gebilde und andere Skurrilitäten versammeln sich in diesen Collagen (2016–heute). In Geistervölker sind diese seltsamen Wesen nun in ihre Dreidimensionalität übersetzt und bevölkern in all den schrillen Ausformungen munter einen Pick-up – als satirische Allegorie auf die Verletzbarkeit der Gegenwart.
Die Pandemie ist über das Visuelle hinaus in der Ausstellung zudem in fünf Podcasts, die gemeinsam mit John Barker für die Liverpool Biennale 2021 produziert wurden, gegenwärtig: Transmission: über Seuchen und Pandemien in einer verdrehten Welt. „Schuldzuweisung“, „Klasse“, „Gespaltene Zunge“, „Fleisch“ und „Impfstoffe“ sind singspielhafte Essay-Dramolette über die Seuchen, Parasiten und Befall.1 Die historischen Rückblicke über die Diskurse zu Pandemien bringen eine entmenschlichte Sprache zum Vorschein, die wir heute im politischen Vokabular im Umgang mit Migrant*innen, Minderheiten und Armen wiederfinden. Die Geschichte der Ausbreitung von Seuchen wird in den Untersuchungen eng an die Rolle des europäischen Kolonialismus samt rassistischen Strukturen sowie die gegenwärtige globale Ökonomie rückgebunden. Zum Zuhören lädt in der Kunsthalle eine lange Bank ein, deren Polster mit einem zweiten „rhetorischen“ Stoff überzogen sind. Tote Fliegen bevölkern diesen. Robert Musils Das Fliegenpapier liefert die perfekte Beschreibung dieser Qual der Kreaturen, die uns manchmal lästig sein können.
Und damit nicht inkriminierte Fauna genug: Im Raum tummelt sich eine ganz Menge an weiterem Getier. All diesem gemeinsam ist unsere Panik über seine Eigenschaft als Krankheitsüberbringer: Taube, Fledermaus, Milbe und Bandwurm (die pinke Skulptur Verdrehte Sprache (2021), aus deren Anus allerlei Parasiten kriechen), die Ratte, die als Verursacher des „Schwarzen Todes“ gesehen wird. Ein besonders ramponiertes Exemplar einer Ratte mit einer Schraube im Kopf (Ähnlich und doch nicht, 2021) steht im Zentrum der Schau, furchterregend und beinahe sympathisch. Neben ihren Pfoten hat sie auch Räder. Ihr ist eine wichtige Funktion zugewiesen: Sie verlässt die Ausstellung immer wieder und wird zum Köder für Besucher*innen. Dafür wurde ein Prozessionsbanner aus dem Fliegenstoff Fliegenfriedhof (2018–21) mit vielen flatternden Bändern und dem Slogan „… run fast bite hard run fast bite hard run ...“ geschaffen. Es erinnert in der Form eher an eine katholische Maiprozessionsfahne als an Demotransparente.
Für Ines Doujak ist die Erweiterung des Museumsraums auf die Straße bzw. die Einbeziehung der Straße seit Beginn ihrer ästhetischen Praxis ein zentrales Anliegen: seit ihrer ersten Einzelausstellung Vater Arsch (2002) in der Wiener Secession, wo das Modell einer Wagenburg dann in realiter in einen Wagen der Regenbogenparade vergrößert wurde, um dort die Themen „Heterosexismus und Heteronormativität“ zu befragen, bis in die Gegenwart zum Beispiel der Favoritener Bezirksfestwochen, wo Doujak in einem Umzug Arbeiterlieder aufführte, oder der Entwurf Skizze für eine Parade (2020) für Liverpool, wofür sie bereits an einem überdimensioniertem Magengebilde gearbeitet hatte.
Ines Doujak agiert dabei nicht nur als Künstlerin, sondern nimmt auch die Rolle der Forscherin, Archivarin und Sammlerin ein. Ihre Inszenierungen zeigen ein außergewöhnliches Regietalent – auch in der Verwendung künstlerisch ästhetischer Praktiken zur Herstellung der Verbindung zwischen Wahrnehmung und Sinnstiftung. Ihre Untersuchungen, in die John Barker seit mittlerweile zehn Jahren durch ein „gleiches Interesse an der politischen Dimension des kulturellen Austauschs“ eingebunden ist, operieren in Form von konstruktiven, interdisziplinären Methodenbündelungen. Doujaks Darbietungen sind schrille Appelle, die Aufklärung und Ambivalenzen herstellen und an die Verführungskraft einer Liaison des Grauenerregenden und des Ekeligen mit dem Filigranen und Schönen glauben. Oftmals erschöpft sich eine Ausstellung im Visuellen, bei Doujak ist dieses die Eintrittspforte in einen durch Texte, Stimmen, Musik, Songs und Kompositionen vervielfachten ästhetischen Raum, ein Rahmen, der Faktisches mit Fiktivem verknüpft wie in der Arbeit Verzweiflungsökonomien (2018), ein tapisseriehafter Digitaldruck über Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, Prostitution, Migration, Sklaverei, Organhandel. Doujak entwirft einen nahezu manieristisch-frühbarocken Groteskenraum, in dem sich komplexe Themen bildgewaltig verweben, und unternimmt damit den Versuch einer Neuinterpretation des volksbildnerischen Zugangs im postfaktischen Zeitalter.